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Nano-Mineralien

»Bayern-Pillen« in Studien gescheitert

22.08.2006  10:49 Uhr

Nano-Mineralien

<typohead type="3">»Bayern-Pillen« in Studien gescheitert

Von Conny Becker

 

Der Konflikt um die Nano-Mineralien der Firma Neosino geht in die Verlängerung. Zwei von »Spiegel-Online« in Auftrag gegebene Studien zeigen, dass die beim FC Bayern München beliebten Kapseln keinesfalls effektiver aufgenommen werden als herkömmliche Brausetabletten.

 

Mineralstoffpräparate über die Schiene »Lebensmittel« an den Mann zu bringen, scheint so manchem Hersteller einem Freifahrschein gleichzukommen: Lästige, teure Studien wie für Arzneimittel sind hier nicht nötig, das Geld kann in die Werbung für die oft vielfach überteuerten Produkte gesteckt werden. Besonders gut macht sich da eine vermeintlich überlegene Formulierung der Mineralstoffe. Innovativ anmutende Begriffe wie »Nanotechnologie« wecken das Interesse des Kunden, öffnen seine Brieftasche und machen sich des Weiteren gut an der Börse.

 

Doch auch Lebensmittel unterliegen gewissen Regeln. So gilt: Was drauf steht, muss auch drin sein. Dies sollte die südhessische Firma Neosino Nanotechnologies AG bereits dieses Frühjahr gelernt haben: Das ARD-Magazin »Panorama« hatte damals Untersuchungen der Nano-Mineralien initiiert, bei denen keine Partikel in der deklarierten Größe von 3 bis 10 Nanometern gefunden wurden (siehe auch PZ 15/06). Auf Grund von Gegengutachten konnte die Firma ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs beenden, die Staatsanwaltschaft Darmstadt prüft jedoch weiterhin auf einen möglichen Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz. Dieses verbietet nämlich in § 11, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung in den Verkehr zu bringen oder mit irreführenden Darstellungen zu bewerben. Dabei gilt zum Beispiel als Irreführung, wenn »einem Lebensmittel Wirkungen beigelegt werden, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht gesichert sind« oder wenn »zu verstehen gegeben wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften hat, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften haben«. Beides stellen nun zwei kleine, von »Spiegel-Online« in Auftrag gegebene Studien infrage.

 

Selbst Supermarkttablette ist besser

 

»Außer Wirkungslosigkeit bietet das Konzept nichts«, urteilt Studienleiter Professor Dr. Fritz Sörgel vom Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung. In einer Untersuchung mit sechs freiwilligen Probanden fand sein Team heraus, dass weder Neosinos »Nanosilimagna Kapseln« noch die »Sport Nano Liquid«-Ampullen gegenüber Brausetabletten aus dem Supermarkt und der Apotheke standhalten konnten.

 

Dies bestätigte eine weitere Studie am Osteoporose-Forschungszentrum der Creighton-Universität im amerikanischen Omaha. Hier prüften Professor Dr. Robert P. Heaney und sein Team, inwieweit Calcium und Magnesium aus den »Nanosilimagna Kapseln« resorbiert werden. Schließlich wirbt der Hersteller damit, dass die Mineralstoffe in Form von Nanopartikeln besser und schneller in den Organismus gelangen als in anderer physikalischer Form. Verglichen wurden die Kapseln daher mit deutschen Calcium- sowie Magnesium-Brausetabletten aus dem Supermarkt, die in etwa dieselbe Menge an Mineralstoffen enthielten.

 

13 gesunde Probanden nahmen innerhalb einer Woche Montag und Freitag eines der beiden Testprodukte sowie am Mittwoch ein Placebo ein, der als Bezug diente. Dabei nahmen die Studienteilnehmer ein Standard-Test-Frühstück zu sich und mussten ihren Urin bis sechs Stunden nach der Supplement-Einnahme sammeln. Vor der Einnahme mussten sie jeweils zehn Stunden fasten und während der Studiendauer gewisse diätetische Vorgaben einhalten.

 

Wie die nachfolgende Harn-Untersuchung ergab, waren die Calcium-Werte nach Einnahme des Vergleichs höher als bei dem Nano-Supplement. Für Magnesium war die Differenz sogar signifikant; hier unterschieden sich die Urinkonzentrationen der Nano-Kapseln nicht signifikant von Null. Die Autoren der kleinen Cross-over-Studie kommen daher zu dem Schluss, dass die Mineralstoffe aus »Nanosilimagna« weder verstärkt noch schneller resorbiert werden als aus gängigen Brausetabletten. Für Magnesium sprechen sie gar von einer Bioverfügbarkeit von Null.

 

Neosino bleibt kämpferisch

 

Zu den aktuellen Studienergebnissen hat die Firma dem »Spiegel« zufolge nur teilweise Stellung genommen. Demnach kritisiert sie die kleine Probandenzahl und die statistischen Methoden in der Nürnberger Pilotstudie und bezweifelt, dass ihre Produkte anhand von Urinwerten beurteilt werden können. Ihr Argument: Schließlich sollten die Mineralien vom Körper absorbiert und nicht wieder ausgeschieden werden.

 

Die Reaktionen Dritter auf die erneuten Zweifel an den Nano-Produkten sind indes uneinheitlich. Während Neosino-Partner FC Bayern München die Präparate weiter im Online-Shop verkauft, hat der Deutsche Olympische Sportbund gegenüber dem »Spiegel« angekündigt, den Vertrag im Herbst nicht zu verlängern.

Gastkommentar: Grenzenloser Unverstand

Der  Artikel bringt es auf den Punkt: Hier gibt es Grauzonen, die dringend bereinigt werden sollten. Apotheker müssen diese Themen offensiv angehen und den Neosino-Skandal zum Anlass nehmen, verstärkt über »Nahrungsergänzungsmittel« aufzuklären und zu beraten. Denn das Verhalten des Deutschen Sportbundes (DSB, jetzt DOSB) und des nimmersatten FC Bayern München und seines Mannschaftsarztes Müller-Wohlfarth ist nicht weniger skandalös als das der Herstellerfirma Neosino. In einer Zeit, in der selbst die »Durchschnittsfamilie« erhebliche Einschränkungen in qualitativ guter Ernährung und bei den Ausgaben für schulmedizinisch geprüfte Arzneimittel und medizinische Maßnahmen hinnehmen muss, wird Eltern auch noch durch solch teure Placebos Geld aus der Tasche gezogen. Was will ein Familienvater denn tun, wenn in der Fußballmannschaft seines Sohnes oder seiner Tochter alle anderen Spieler dieses Zeug von ihren (wohlhabenderen) Eltern bekommen?

 

Die Datenlage zu den Produkten ist eindeutig. Professor Dr. Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung und international anerkannter Forscher auf dem Gebiet der Nanotechnologie, suchte ebenso wie wir die Nanoteilchen in Neosino-Produkten vergeblich.Was unsere eigenen vom »Spiegel« veranlassten Untersuchungen im Detail anbetrifft, war das Ziel klar. Kann man belegen, dass das Nicht-Vorhanden-Sein von Nanoteilchen in den Neosino-Produkten sich auch auf das »In-vivo-Verhalten« der Präparate auswirkt? Aufgrund zahlreicher Arzneimittel-Zulassungsstudien mit Mineralien am hiesigen Institut können wir auf einen umfangreichen Datenschatz zurückgreifen und deshalb ziemlich sicher aus Pilotstudien wichtige Schlussfolgerungen über die Sinnhaftigkeit einer großen Studie ziehen. Aber die schaurigen Ergebnisse verblüfften selbst uns: Die Neosino-Präparate waren so schlecht, dass selbst diese kleine Studie ausreichte, weitgehende und statistisch abgesicherte Ergebnisse zu liefern.

 

Dennoch schlugen wir dem »Spiegel« vor, bei dem renommierten Calciumresorptionsspezialisten Professor Dr. Robert Heaney von der Creighton University in Omaha eine weitere Studie anfertigen zu lassen. Die Probandenzahl sollte 12 betragen, da dies die europäische Gesundheitsbehörde EMEA als Mindestzahl für Zulassungsstudien vorsieht. Es hätte auch eine geringere Anzahl gereicht und die Behauptung, die Probandenzahl wäre »niedrig«, ist falsch! Übrigens würden auch Ethikkommissionen einschreiten, wenn man solche Studien an statistisch unbegründbar hohen Probandenzahlen durchführt. N = 12 ist »State-of-the-Art«, wenn man vorher die Varianz geprüft hat. Die Studie in Omaha bestätigte erwartungsgemäß unsere Ergebnisse  und bescheingte den Neosino-Kapseln bestenfalls Placebocharakter.

 

Weiteres müssen nun möglicherweise Gerichte klären. Diese werden im September, spätestens Anfang Oktober, sicherlich  gespannt nach Bad Nauheim schauen, was eine »leistungsphysiologische« Studie erbracht hat, mit der vier wissenschaftliche, bisher nie und nirgendwo in Erscheinung getretene Ökotrophologen zusammen mit einem ebenso wenig wissenschaftlich ausgewiesenen Arzt die pharmazeutisch-pharmakologische Fragestellung und den ultimativen Beweis der »klinischen Wirksamkeit« von Neosino-Produkten herbeiführen wollen.

 

Zur Behauptung, dass ein weiterer Inhaltsstoff der Neosino-Produkte, nämlich Sand, vornehmer ausgedrückt Siliciumdioxid, laut Antonietti in gar nicht nachgewiesenen Nanoteilchen leistungssteigernd wirkt, äußere ich mich ausdrücklich nicht. Irgendwo hat alles seine Grenzen, auch was die Leidensbereitschaft anbetrifft, auf jeden öffentlich vorgetragenen Unsinn antworten zu müssen. Für den Pharmazeuten aber der Tipp, sich die Herstellung der Neosino-Produkte aus Sand in dem eindrucksvollen Bericht des ARD-Magazins »Panorama« in Ruhe anzusehen.  Herstellungsleiter Gerd Thöne (kein Apotheker, Gott sei Dank!) dort im Originalton: »Wenn Sie sich's einfach vorstellen: wir nehmen einen Eimer, schütten in die Maschine Wasser, und dann nehmen wir Sand, schütten den hintendrein in einem bestimmten Verhältnis, und lassen die Maschine laufen.« Übrigens ist nicht richtig klar, wo die Produkte überhaupt hergestellt werden. Bei einer größeren Charge musste man einen Zettel beilegen, dass der Aufdruck des Präparatnamens nicht stimmte. Eine neue Umverpackung war anscheinend zu teuer. Sieht alles ziemlich stark nach GMP-konformen Arbeiten aus, oder? Hoffentlich stimmte wenigstens der Inhalt.

 

Der grenzenlose Unverstand der Firma Neosino zeigt sich nicht zuletzt in der Ankündigung, die diese uns noch als «Aufklärung« über ihr Präparat wie folgt anbot: »... schließlich sollten die Mineralien vom Körper absorbiert und nicht wieder ausgeschieden werden ...« Man verzeihe mir die sarkastische Antwort, aber will die Firma Neosino das, was die Natur in dreieinhalb Milliarden Jahren zu einem ausgeklügelten System von Calcium- und Magnesium-Stoffwechsel und insbesondere der Calcium- und Magnesiumresorption erdacht hat, mit ihrem Produkt überlisten? Würden diese Stoffe »absorbiert und nicht wieder ausgeschieden«, müsste man glatt den Nobelpreis für Medizin/Physiologie und Chemie für die Erfindung dieser neuen gegenüber der Natur »stark verbesserten« Calcium- und Magnesiumionen verleihen. Oder eben das Präparat sofort aus dem Handel ziehen, wenn da der Körper irgendwann mit Calcium und Magnesium überquillt (»... und nicht wieder ausgeschieden werden ...«). Tödliche Hypercalciämien und Hypermagnesiämien inklusive.

 

Professor Dr. Fritz Sörgel

 

Professor Dr. Fritz Sörgel ist Leiter des Institutes für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Paul-Ehrlich-Straße 19, 90562 Nürnberg-Heroldsberg, www.ibmp.org

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