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Antibiotika

Wege aus der Resistenz

07.08.2018  13:10 Uhr

Von Hannelore Gießen, Lindau / Ob im Stall oder in der Klinik: Antibiotika versagen immer häufiger, multiresistente Keime bedrohen die Gesundheit. Auf unterschiedlichen Wegen suchen Wissenschaftler nach Lösungen.

»Jedes Jahr sind rund 700 000 Todes­fälle auf antimikrobielle Resistenzen zurückzu­führen«, berichtete Professor Dr. John Ernest Walker bei der 68. Nobelpreisträgertagung im Juni in Lindau.

2050 könnten es bis zu 10 Millionen sein, wobei vor allem Asien und Afrika betroffen seien. Die Gründe für die zunehmende Wirkungslosigkeit von Antibiotika, aber auch von Virostatika sieht der Molekular­biologe in

 

  • überflüssigen Verordnungen in der Humanmedizin
  • Therapieabbrüchen durch Patienten
  • unzureichender Hygiene in Kliniken
  • mangelhaften Sanitäreinrichtungen in zahlreichen Ländern
  • massivem Einsatz von Antibiotika in Tierhaltung und Fischzucht
  • dem Fehlen neuer Antibiotika

Vor allem die beiden letzten Punkte wiegen nach Walkers Ansicht schwer: In der Veterinärmedizin werden 70 Prozent aller Antibiotikadosen verbraucht, wogegen sich der Einsatz in der Humanmedizin mit 30 Prozent fast bescheiden ausnimmt.

 

Der Nobelpreisträger wies auf eine Unterbrechung in der Antibiotikaentwicklung zwischen 1960 und 2000 hin. Diese Lücke habe es den Mikroorganismen leicht gemacht, Resistenzen zu entwickeln und untereinander auszutauschen. Immerhin seien seit der Jahrtausendwende mit den Oxazolidinen, Mutilinen und Lipopeptiden drei neue Substanzklassen dazu gekommen. Zu den Oxazolidinen zählt Linezolid, Daptomycin zu den Lipopeptiden. Als ­Vertreter der Mutiline nannte Walker Retapamulin, das vorwiegend als Tierarzneimittel eingesetzt wird.

 

Problem Tuberkulose

 

Allein eine Viertelmillion Todesfälle ­gehen auf multiresistente Tuberkulosebakterien zurück. Weltweit seien 2 Milliarden Menschen mit diesem Erreger infiziert und 7,3 Millionen hätten eine aktive Tuberkulose, berichtete Walker. Wenn man einen solchen oft resistenten Erreger besiegen möchte, müsse die Therapie konsequent über 20 Monate durchgehalten werden. Vor allem in ärmeren Ländern sei dies kaum umzusetzen, da die Patienten nur unzureichend Zugang zur ärztlichen Versorgung hätten, und Medikamente sowie Schulung und Beratung der Patienten fehlten. Das Ergebnis seien meist neue Resistenzen.

 

Besondere Probleme bereiten die schlafenden Tuberkuloseerreger, die sich in Granulomen »verstecken« und nicht von Arzneimitteln erreicht werden. Antibiotika können nur Erreger angreifen, die sich vermehren. Zudem tritt Tuberkulose oft zusammen mit einer HIV-Infektion auf, sodass eine schwer zu behandelnde Mehrfach­infektion entsteht. Resistenzprobleme gebe es in unterschiedlichem Ausmaß, erläuterte Walker: Neben einer multiresistente Form (MDR-TB) seien eine extensiv resistente (XDR-TB) sowie eine vollständig resistente Tuberkuloseinfek­tion bekannt.

 

Vor zehn Jahren erfolgte endlich ein Durchbruch in der Arzneistoffentwicklung: Der Wirkstoff Bedaquilin wurde von der US-amerikanischen Zulassungsstelle FDA nur aufgrund von Phase-II-Studien zugelassen. Bedaquilin greife sowohl aktive als auch schlafende Stadien an und wirke gegen MDR-TB und XDR-TB, berichtete Walker, der für die Aufklärung der physiologischen Rolle von Adenosintriphosphat (ATP) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war und jetzt bakterielle ATP-Synthasen erforscht. Die europäische Zulassung von Bedaquilin, das die ATP-Synthase des Tuberkulosebakteriums angreift, folgte 2014.

 

Walker plädierte dafür, diesen Ansatz weiter zu erfolgen und die ATP-Synthase besser zu erforschen. Unterscheidet sich doch das bakterielle Enzym deutlich vom menschlichen und bietet daher Ansatzpunkte für die Arzneistoffentwicklung. Der Referent zeigte noch weitere Quellen in der ­Natur auf: »Bisher haben wir unsere Antibiotika aus den Böden gewonnen. Wir sollten noch mehr in anderen ökologischen Nischen suchen, beispielsweise im Meer.«

 

Angriff am Ribosom

 

Andere Wege, dem Resistenzproblem die Stirn zu bieten, beschrieb Professor Dr. Ada Yonath. Die israelische Wissenschaftlerin, die 2009 den Chemienobelpreis für Studien zur Struktur und Funktion des Ribosoms erhalten hatte, sieht eine Chance für neue Antibiotika in Wirkstoffen, die am Bakterienribosom ansetzen. Mehr als 40 Prozent der heute verfügbaren Antibiotika binden zuerst an das Ribosom in den Zellen der Bakterien.

 

Die Chemikerin arbeitet bereits an neuartigen Antibiotika, und zwar an solchen, die nur gegen einen bestimmten Bakterienstamm wirken sollen. Das Team um Yonath hat dazu verschiedene Bakterienstämme untersucht. Der detaillierte Vergleich der unterschiedlichen Ribosomen bietet Ansatzpunkte für neue Substanzen, die speziell das Ribosom eines Bakteriums ausschalten, ohne andere Keime zu beeinträchtigen.

 

Nur über ein vertieftes Verständnis der Wirkungsweise ließen sich bessere Antibiotika entwickeln, die selektiver arbeiten und weniger schnell ­resistent werden, erläuterte Yonath. Antibiotika, die nur ganz gezielt ­gegen eine Bakterien­art wirken, wären nicht nur wirksamer, sie würden auch die Mikrobiota im menschlichen Darm schonen.

 

Yonaths Konzept ist der Gegenentwurf zum Breitbandantibiotikum. Voraussetzung für den Erfolg dieser gezielten Therapie ist allerdings eine bessere und schnellere Diagnostik. /

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