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Fertigarzneimittelseminar

Fokus auf Hormongesteuertes

05.08.2014  10:09 Uhr

Von Elke Wolf, Frankfurt am Main / Das Programm des jüngsten Fertigarzneimittelseminars an der Universität Frankfurt versprach spannende und überraschende Einblicke in die Endokrinologie. Das Abschlusssemester Pharmazie hat die rund 300 Zuhörer nicht enttäuscht. Eine Auswahl der Vorträge.

Kurz vor dem Zweiten Staatsexamen steht für die Frankfurter Pharmaziestudenten noch eine arbeitsintensive und nervenaufreibende Aufgabe auf dem Plan: die Ausrichtung des eintägigen Fertigarzneimittelseminars. Diesmal beleuchteten die zukünftigen Apotheker in zwölf Kleingruppen verschiedene Aspekte zu hormonellen Regelkreisen und ihren pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten. Dazu gehörte auch eine ausführliche schriftliche Ausarbeitung. Die wissenschaftliche Betreuung der Vorträge übernahmen Professoren und Hochschuldozenten der Pharmazeutischen Institute.

Im Referat von Kira Zeugner ging es um Minderwüchsige, Giganten und Akromegalie-Betroffene und damit um die Dysfunktion in der Pathophysiologie des Wachstumshormons. Beim Kleinwuchs handelt es sich um ein von der Norm abweichendes, zu geringes Längenwachstum, welches als Körpergröße unterhalb der dritten Perzentile (das heißt nur 3 Prozent der betrachteten Population ist kleiner) definiert ist. Angaben, ab welchen Körpermaßen eine Person kleinwüchsig ist, variieren stark, im Allgemeinen gilt aber eine Körperlänge von weniger als 150 Zentimetern als auffällig. Wie viele Menschen in Deutschland mit dieser Einschränkung leben müssen, ist nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von 100 000 Betroffenen aus. Eine geringe Körpergröße muss nicht zwingend mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung einhergehen, und auch die geistige Entwicklung ist nicht in jedem Fall betroffen.

 

Giganten sind dagegen Menschen, die ein abnormes Wachstum an den Tag legen, das durch einen Überschuss des Somatropins in der Kindheit, also vor Abschluss des Längenwachstums beziehungsweise solange die Epiphysenfugen noch nicht geschlossen sind, zustande kommt. Ursache ist meist ein benigner Hypophysentumor beziehungsweise ein Adenom. Der gutartige Tumor schüttet das Wachstumshormon vermehrt und kontrolliert aus. Die Referentin schilderte eindrücklich die Alltagsbeschwerden, mit denen Personen, die keine alltägliche Körpergröße haben, zu kämpfen haben.

 

Dem hypophysären Riesenwuchs steht die Akromegalie gegenüber, eine Erkrankung des Erwachsenen, da es durch den bereits erfolgten Schluss der Epiphysenfugen nicht zu einem übersteigerten Längenwachstum kommt. Vielmehr zeigt sich ein sogenanntes appositionelles Knochenwachstum, wodurch die Knochendicke zunimmt. Zugrunde liegt die Tatsache, dass Somatropin nicht wie bei Gesunden pulsatil aus der Hypophyse freigesetzt wird, sondern dauerhaft. Das liegt meist an einem gutartigen Adenom der Hirnanhangsdrüse.

 

Charakteristisch für die Akromegalie ist die Vergrößerung der sogenannten Akren, also die Enden des Körpers wie Hände oder Nase. Dabei verbreitern sich Hände und Füße, und auch die Gesichtszüge vergrößern sich. Da dies ein langsamer Prozess ist, fällt Betroffenen dies oft erst dann auf, wenn Schuhe oder Ringe nicht mehr passen und ältere Bilder deutlich feinere Gesichtszüge zeigen. Besonders auffällig sind die geweitete und verdickte Nase, die ausgeprägten Wangenknochen, angeschwollene Augenbrauenwülste sowie die deutlich dickeren Lippen. Die Akromegalie hat allerdings nicht nur äußere Veränderungen zur Folge, sondern auch die inneren Organe sind betroffen. Diese sogenannten Viszeromegalien führen zu einer Hepatomegalie, Splenomegalie, Kardiomegalie sowie zur Bildung eines Kropfs. Auch eine Akromegalie haben nur sehr wenige Menschen, in Deutschland leben damit Schätzungen zufolge zwischen 5000 bis 10 000 Patienten.

 

Endokrine Disruptoren

 

Einem Thema, das sicherlich nicht zu den geläufigen auf Pharmazeuten-Stundenplänen gehört, das aber nicht minder spannend ist, widmete sich die Arbeitsgruppe um Lukas Klumpp. Welche Gefahr geht von endokrinen Disruptoren aus? Seit mehreren Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler eine schleichende Verweiblichung männlicher Organismen, etwa von Fröschen, Fischen oder Vögeln. Ihre Fortpflanzungsfähigkeit nimmt ab, Tumore entstehen. Als Ursache dafür vermuten Experten endokrine Disruptoren, also ein Heer ganz unterschiedlicher Substanzen, die einen Hormon- oder Hormon-ähnlichen Mechanismus haben und dadurch die Gesundheit schädigen. Vertreter findet man unter anderem bei Pestiziden und Fungiziden, Holz- und Vorratsschutzmitteln, Komponenten von Kunststoffen und Verpackungsmaterial.

 

Klumpp nannte ein eindrückliches Beispiel dafür, wie vom Menschen entwickelte Stoffe bei Tieren das Hormonsystem stark und irreversibel beeinflussen können. So ist der Fortbestand von Alligatoren in einigen Sumpflandschaften Floridas gefährdet, da die Reproduktionsfähigkeit der männlichen Tiere aufgrund einer Verkümmerung des Penis und Fehlentwicklung der Hoden stark beeinträchtigt ist. Grund ist die Verschmutzung der Seen unter anderem mit dem chlorhaltigen Insektizid Dichlorodiphenyldichloroethylen (DDE). DDE zeigt eine starke Ähnlichkeit zu Estrogen, was in den unphysiologisch hoch auftretenden Mengen bei den männlichen Tieren zu einer Feminisierung führt. Außerdem hemmt DDE die Androgenbildung. Und so zeigen die Alligatoren neben einem erhöhten Estrogen- auch starke verminderte Testosteronspiegel.

 

Solche Probleme gibt es nicht nur in den USA und vermutlich auch nicht nur bei Tieren. Auch in unserem Alltag sind endokrine Disruptoren allgegenwärtig. Da es sich dabei meist um lipophile Verbindungen handelt, nehmen wir sie transdermal auf, etwa aus Textilien und Körperpflegeprodukten. Auch durch die Inhalation von Gasen und Partikeln aus der Luft können diese in den Organismus gelangen. Nicht zu unterschätzen ist die Aufnahme von hormonell wirksamen Substanzen über die Nahrung und das Trinkwasser. Eine Anreicherung in bestimmten Lebensmitteln wie Fisch, Obst und Gemüse konnte in den vergangenen Jahren beobachtet werden.

 

1993 wurde erstmals eine Liste von Stoffen mit vermuteten endokrin disruptiven Eigenschaften in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht. In einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2012 ist die Rede von rund 800 Stoffen, für die eine endokrine Wirkung entweder nachgewiesen oder vermutet wird. Jedoch wurde bisher nur ein geringer Anteil dieser Stoffe Tests unterzogen, die endokrine Effekte in intakten Organismen nachweisen können. Dazu gehören Substanzen wie Octylphenol, Bisphenol, Dioxine und Pestizide wie Aldrin, Lindan oder DDT.

Alles in allem ist die derzeitige Erkenntnislage über endokrine Disruptoren eher mangelhaft. Vermutlich sind bekannte Substanzen nur die Spitze des Eisbergs. Mehr wissenschaftliche Nachweise sind nötig, um die Effekte auf Mensch und Tier zu ermitteln. Problem dabei ist, dass viele Quellen nicht bekannt sind, da nur unzureichende Informationen bezüglich Substanzen in Produkten, Materialien und Gütern bekannt gegeben werden. Umfangreiche Testmethoden sind erforderlich, um weitere potenzielle endokrine Disruptoren sowie deren Quellen und Expositionswege zu identifizieren. Doch da deren Metabolismus im menschlichen Organismus noch nicht restlos aufgeklärt ist, ist es schwierig, geeignete Testmethoden zu etablieren.

 

Risiko aus der Apotheke

 

Julia Budzinski ging der Frage nach, inwiefern in der Apotheke erhältliche Artikel endokrine Disruptoren enthalten und welche potenzielle Gefahr von ihnen ausgeht. Bedeutung im Apothekenalltag haben vor allem Substanzen wie Bisphenol A, Phthalate oder Triclosan und verschiedene UV-Filter wie Octylmethoxycinnamat, 4-Methylbenzylidencampher oder Benzophenon-3.

 

Budzinski relativierte eine im Raum stehende Gesundheitsgefährdung. Zwar seien alle vier Substanzen/-gruppen bei vielen Menschen, allein durch alltägliche Exposition, im Blut nachweisbar. Doch obwohl eine Wirkung der beschriebenen Substanzen auf den Körper unumstritten ist, besteht eine hohe Diskrepanz zwischen den tatsächlich aufgenommenen Konzentrationen und den in Studien genutzten Konzentrationen, die eine pathologische Wirkung entfalten. Zudem ist zu beachten, dass viele Studien in Zellkulturen oder mit Tieren durchgeführt wurden. Inwieweit die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, bleibt fraglich. Endokrine Disruptoren haben nach wie vor einen hohen Forschungsbedarf.

 

Schlafen dank Melatonin

 

Einen ganz anderen hormonellen Regelkreis stellte Leonie Gellrich vor. In ihrem Vortrag ging es über den Tag-Nacht-Rhythmus und seine Steuerung durch Melatonin. Melatonin, ein Hormon, das in der Epiphyse über zwei enzymatische Schritte aus Serotonin entsteht, hat eine leicht sedierende und hypnotische Wirkung. Fällt nur wenig Licht auf die Netzhaut, fährt die Drüse die Produktion hoch. Und auch während der Wintermonate steigt der Blutspiegel an. Über membranständige Melatonin-Rezeptoren und G-Protein/Adenylatcyclase-gekoppelte Transduktionsprozesse wirkt Melatonin schlafanstoßend. Zudem verbessert sich die Schlafqualität und die Schlafdauer erhöht sich.

 

Allerdings ist exogen zugeführtes Melatonin nur dann wirksam, wenn Patienten ein Melatonin-Defizit haben (wie ältere Menschen) oder wenn die endogene Melatoninfreisetzung gestört ist (wie bei Schichtarbeitern). So gibt es derzeit in Deutschland auch nur ein zugelassenes Arzneimittel mit Melatonin als Inhaltsstoff (Circadin® 2 mg). Seine Zulassung beschränkt sich auf die Monotherapie für die kurzzeitige Behandlung der primären Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren. Die eher milde Wirksamkeit ist mit gewissen Vorteilen gegenüber den üblichen Schlafmitteln verbunden: kein Hangover am nächsten Morgen, keine Entzugssymptome und kein Abhängigkeitspotenzial. Eine Metaanalyse zu Melatonin zeigt, dass die abendliche Gabe am günstigsten ist.

 

Seit Jahren untersuchen klinische Studien das Neurohormon mit gutem Erfolg auch bei Jetlag. Hierzulande zwar nicht zugelassen, wird Melatonin aber dennoch bei Erwachsenen eingesetzt, die fünf oder mehrere Zeitzonen passieren und die bereits unter Jetlag gelitten haben. Die Wirkung ist effektiver, wenn Reisende ostwärts fliegen. Die Einnahme von 5 mg Melatonin verringert die Einschlafzeit am effektivsten. Eine Dosissteigerung verbessert die Wirksamkeit nicht.

 

Neues gegen Osteoporose

 

Den Calciumstoffwechsel beleuchtete die Arbeitsgruppe um Philipp Klemm. Er stellte eine neue Leitlinie in Aussicht, die der Dachverband Osteologie in Kürze zur Osteoporose-Therapie publizieren wird. Darin wird vermutlich zwei neuen Therapeutika ein hoher Stellenwert eingeräumt werden: Bazedoxifen (Conbriza®) und Denosumab (Prolia®). Ersteres gehört wie Raloxifen zur Gruppe der SERMs, den selektiven Estrogen-Rezeptor-Modulatoren. Seit 2010 ist Bazedoxifen (Conbriza®) auf dem Markt. In Brust- und Gebärmuttergewebe wirken die SERMs als Estrogen-Antagonisten, im Knochen als Agonisten. Die Knochenresorption wird somit vermindert und die Spiegel biochemischer Marker des Knochenumbaus werden auf das prämenopausale Niveau gesenkt. Das erhöht die Knochendichte. Dementsprechend ist Bazedoxifen für die Behandlung postmenopausaler Osteoporose bei Frauen mit hohem Frakturrisiko vorgesehen. Die Dosierung beträgt einmal täglich 20 Milligramm unabhängig von der Tageszeit. Als Basismaßnahme ist auf eine ausreichende Calcium- und Vitamin-D- Versorgung zu achten.

 

Anwendungsfreundlich ist auch die zweite innovative Substanz. Denosumab muss nur zweimal jährlich subkutan appliziert werden. Denosumab ist ein humaner monoklonaler IgG-Antikörper gegen den Osteoklastenregulator RANKL und vermindert damit effektiv die Knochenresorption. Eine Metaanalyse, basierend auf 33 Einzelstudien, verdeutlicht seine höhere Wirksamkeit in der Prävention von Wirbelsäulenfrakturen gegenüber den etablierten Therapeutika wie Raloxifen, Alendronat, Risedronat oder Strontiumranelat. Sein Potenzial, zukünftig Mittel der Wahl der postmenopausalen Osteoporose zu werden, werde durch Kosten-Wirksamkeits-Analysen unterstützt, so Klemm. /

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