Lapatinib, Methylnaltrexon und Nalbuphin |
04.08.2008 17:03 Uhr |
<typohead type="3">Lapatinib, Methylnaltrexon und Nalbuphin
Von Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand
Mit Methylnaltrexon kam im Juli der erste in Europa zugelassene Vertreter eines neuen Wirkprinzips zur Behandlung der durch Opioide verursachten Verstopfung auf den Markt. Unter Auflagen zugelassen wurde das Brustkrebsmittel Lapatinib, wieder verfügbar ist das opioide Analgetikum Nalbuphin.
Bei rund einem Viertel aller Brustkrebspatientinnen befindet sich der humane epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2) in großer Zahl auf der Oberfläche der Tumorzellen. Er sendet permanent Signale in den Zellkern, die die Zelle zur Teilung anregen. Mit Trastuzumab (Herceptin®) kam im Jahr 2000 ein humanisierter monoklonaler Antikörper auf den Markt. Er spürt HER2 an der Zelloberfläche auf, dockt dort an und leitet die Zerstörung der Krebszellen durch das Immunsystem ein.
Lapatinib
Mit Lapatinib (Tyverb® 250 mg Filmtabletten, GSK) ist in Deutschland seit Mitte Juni ein weiterer Wirkstoff erhältlich, der wie Trastuzumab HER2 als Zielstruktur hat. Der Hersteller hat die Zulassung für den Tyrosinkinasehemmer allerdings nur vorläufig unter Auflagen erhalten. Eine Zulassung unter Auflagen wird einem Medikament erteilt, das einen bisher noch nicht gedeckten medizinischen Bedarf erfüllt. Dabei muss der Vorteil für die Gesundheit die potenziellen Risiken übersteigen, die noch nicht abschätzbar sind, da endgültige Studiendaten noch ausstehen. Bei Lapatinib muss das Unternehmen GSK weitere Ergebnisse liefern und eine ergänzende Studie initiieren.
Lapatinib wird in Kombination mit Capecitabin zur Therapie von Patientinnen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem HER2-positiven Mammakarzinom eingesetzt, deren Erkrankung nach vorangegangener Therapie mit Anthrazyklinen, Taxanen und Trastuzumab progredient ist.
Anders als der monoklonale Antikörper Trastuzumab besetzt Lapatinib HER2-Rezeptoren nicht von außen, sondern greift im Inneren der Tumorzelle an. Genauer gesagt hemmt das 4-Anilinochinazolin-Derivat unter anderem die Tyrosinkinase-Domäne des HER2-Rezeptors. Ist die Kinase des Rezeptors blockiert, kann dieser nicht mithilfe von ATP phosphoryliert werden und die Signalkaskade, die zu Proliferation und Tumorwachstum führt, ist gestoppt.
Die empfohlene Tagesdosis beträgt 1250 mg Lapatinib. Das heißt fünf Tabletten müssen mindestens eine Stunde vor oder eine Stunde nach dem Essen auf einmal eingenommen werden.
Lapatinib wurde in einer randomisierten Phase-III-Studie mit rund 400 Brustkrebspatientinnen untersucht. Alle Frauen waren HER2-positiv, wiesen ein progredientes oder metastasiertes Mammakarzinom auf und hatten zuvor sowohl Anthrazykline, Taxane als auch Trastuzumab erhalten. Im Rahmen der Studie erhielten die Frauen nun entweder eine Monotherapie mit Capecitabin (2500 mg/m2 peroral an den Tagen 1 bis 14, alle drei Wochen) oder zusätzlich zu einer auf 2000 mg/m2 reduzierten Capecitabin-Dosis (an den Tagen 1 bis 14, alle drei Wochen) ebenfalls peroral täglich 1250 mg Lapatinib. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur Progression. Das Ergebnis: Die Hinzunahme von Lapatinib verlängerte die Zeit bis zur Progression signifikant von im Durchschnitt 18,3 auf 23,9 Wochen. Eine Analyse der Gesamtüberlebensdaten vom September 2007 ergab unter der Kombi-Therapie ein medianes Gesamtüberleben von 74 Wochen, während es unter Capecitabin allein knapp 66 Wochen waren.
Zu den sehr häufig beobachteten Nebenwirkungen, die als »im Zusammenhang mit Lapatinib stehend« berichtet wurden, zählten Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Hautausschlag, Müdigkeit und Anorexie. Häufig traten zudem eine verringerte linksventrikuläre Auswurffraktion, Hyperbilirubinämie und Hepatotoxizität auf. Es ist deshalb Vorsicht geboten, wenn Lapatinib Patienten mit Zuständen, die die Funktion des linken Ventrikels beeinträchtigen könnten, gegeben wird oder wenn der Wirkstoff Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Leberfunktionsstörung verschrieben wird.
In-vitro-Untersuchungen ergaben, dass Lapatinib CYP3A4 und CYP2C8 hemmt. Die gemeinsame Gabe von Arzneimitteln, die eine geringe therapeutische Breite haben und Substrate für CYP3A4 oder CYP2C8 sind, sollte vermieden werden. Ebenfalls zu meiden ist die gleichzeitige Gabe von Stoffen, die den pH-Wert im Magen erhöhen, da diese die Löslichkeit von Lapatinib und damit die Resorption verringern könnten.
Methylnaltrexoniumbromid
Mit Methylnaltrexoniumbromid kam Mitte Juli ein peripher wirksamer Antagonist am μ-Opioidrezeptor auf den deutschen Markt. Zugelassen ist das subkutan zu injizierende Medikament zur Behandlung der Opioid-induzierten Obstipation bei schwer kranken Patienten in der Palliativsituation, die auf andere Laxanzien nicht genügend ansprechen (Relistor® 12 mg/0,6 ml Injektionslösung, Wyeth).
Verstopfung ist eine typische Nebenwirkung jeder Opioidtherapie, die meist schon nach einer Einzelgabe auftritt. Sie wird über μ-Rezeptoren im Darm vermittelt. Im Gegensatz zu vielen anderen unerwünschten Effekten lässt die Obstipation im Lauf einer Schmerztherapie nicht nach. Die Patienten brauchen daher neben den Opioiden eine laxierende Begleitmedikation. Wenn sie auf die üblichen Laxanzien nicht ansprechen, können sie oder eine Pflegeperson zusätzlich jeden zweiten Tag das neue Medikament subkutan spritzen.
Methylnaltrexon ist, wie der Name schon sagt, ein N-methyliertes Derivat des zentral und peripher wirksamen Antagonisten Naltrexon. Gegenion zum quaternären Amin ist Bromid. Die Methylierung erhöht die Polarität des Moleküls deutlich und senkt seine Lipidlöslichkeit. Dadurch kann Methylnaltrexon die Blut-Hirn-Schranke so gut wie nicht mehr überwinden und wirkt im Darm als selektiver peripherer μ-Rezeptor-Antagonist. Die Affinität zu κ- und δ-Opioid-Rezeptoren ist deutlich geringer. Die Opioideffekte im Zentralnervensystem werden nicht beeinflusst.
Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz wurden in zwei Studien geprüft. In einer Studie bekamen 154 Patienten doppelblind eine einzelne Injektion von Methylnaltrexoniumbromid 0,15 mg/kg oder 0,3 mg/kg Körpergewicht oder Placebo. Nach vier Stunden hatten 62 und 58 Prozent der Patienten, die Verum bekommen hatten, eine Darmentleerung gegenüber 14 Prozent mit Placebo. Die Patienten konnten die Therapie unverblindet für weitere vier Wochen fortsetzen. In der zweiten Studie bekamen 133 Patienten zwei Wochen lang jeden zweiten Tag Verum oder Placebo. Knapp die Hälfte der Patienten sprach auf das Verum innerhalb von vier Stunden an (16 Prozent unter Placebo). Meistens trat der Stuhlgang innerhalb von 30 bis 60 Minuten ein, was aufgrund der Planbarkeit für schwer kranke Menschen eine Erleichterung bedeutet. Die Ansprechrate blieb auch in Anschlussstudien über drei Monate unverändert, das heißt, es trat keine Gewöhnung ein.
Für die rein periphere Wirksamkeit von Methylnaltrexon spricht, dass die Patienten während der Therapie weder vermehrte Schmerzen hatten noch die Opioiddosen stiegen. Die Nebenwirkung Schwindel ist nicht nur zentral, sondern kann multifaktoriell bedingt sein. Häufigste unerwünschte Wirkungen in den Studien waren Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Flatulenz. Dass nur etwa die Hälfte der Patienten auf das Medikament ansprach, kann mit den (auch bei Gesunden) vielfältigen Ursachen einer Obstipation zusammenhängen.
Nach Firmenangaben wird Methylnaltrexon parenteral gegeben, da die Bioverfügbarkeit nach peroraler Gabe sehr gering ist und individuell stark schwankt. Eine perorale Medikation sei in klinischer Entwicklung, ebenso eine intravenös zu applizierende Arzneiform.
Nalbuphinhydrochlorid
Mit Nalbuphinhydrochlorid (Nalpain® 10 mg/ml Injektionslösung, Orpha-Devel Handels und Vertriebs GmbH) ist Mitte Juli ein opioides Analgetikum auf den Markt zurückgekehrt. Unter dem Namen Nubain® war bis vor wenigen Jahren ein Nalbuphin-haltiges Präparat verfügbar. Das Unternehmen Bristol-Myers Squibb hat es nach eigenen Angaben aber aus produktionstechnischen Gründen vom Markt genommen. Nalpain wird zur kurzzeitigen Behandlung mittelstarker und starker Schmerzen eingesetzt. Zudem kann es zur prä- und postoperativen Analgesie angewendet werden.
Nalbuphinhydrochlorid wirkt als Agonist an opioiden κ-Rezeptoren und als partieller Antagonist an μ-Rezeptoren. Als Dosis für Erwachsene werden 0,1 bis 0,3 mg/kg Körpergewicht empfohlen. Die Gabe kann intravenös, intramuskulär oder subkutan erfolgen und, wenn nötig, nach drei bis sechs Stunden wiederholt werden. Die maximale Einzeldosis für Erwachsene beträgt 20 mg.
Kinder, Jugendliche und ältere Menschen erhalten eine niedrigere Dosis. Da die Substanz in der Leber metabolisiert und renal ausgeschieden wird, darf sie nicht bei Patienten mit schweren Leber- oder Nierenschäden zum Einsatz kommen. Kontraindiziert ist auch die gleichzeitige Behandlung mit μ-agonistischen Opioiden wie Morphin und Fentanyl. Zudem müssen Alkoholika und alkoholhaltige Arzneimittel gemieden werden, da sie die sedierende Wirkung des Schmerzmittels verstärken. Vorsicht geboten ist auch bei der gleichzeitigen Gabe von zentralnervös dämpfenden Arzneimitteln, etwa Benzodiazepinen, Neuroleptika, sedierenden Antidepressiva und H1-Antihistaminika. Diese Substanzen können das Risiko einer Atemdepression, welche im Fall einer Überdosierung lebensbedrohlich sein kann, erhöhen. Als spezifisches Antidot für Nalbuphinhydrochlorid kann bei Überdosierung Naloxonhydrochlorid verwendet werden.
Neben Sedierung, der am häufigsten berichteten Nebenwirkung, treten häufig Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Schwindel, trockener Mund und Magen-Darm-Beschwerden, insbesondere Übelkeit und Erbrechen, auf.