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Neue Arzneistoffe

Lenalidomid und Paliperidon

27.07.2007  13:43 Uhr

Neue Arzneistoffe

<typohead type="3">Lenalidomid und Paliperidon

Von Brigitte M. Gensthaler

 

Im Juli kamen zwei neue Peroralia auf den deutschen Markt. Lenalidomid ist ein Thalidomid-Derivat und bietet neue Chancen in der Behandlung des multiplen Myeloms. Das atypische Neuroleptikum Paliperidon mindert bei einmal täglicher Einnahme Schizophrenie-Symptome.

 

Lenalidomid (Revlimid® Hartkapseln, Celgene) ist bei Patienten mit multiplem Myelom zugelassen, die vorher mindestens eine andere Therapie erhalten haben, und wird immer mit Dexamethason kombiniert. Dieser Tumor der Plasmazellen im Knochenmark ist selten (Kasten), daher wurde Lenalidomid im Dezember 2003 als Orphan drug eingestuft.

 

Der Neuling leitet sich strukturell vom Thalidomid ab und hat wie dieses ein asymmetrisches C-Atom. Das Arzneimittel enthält das Racemat. Laut Firmenangaben gehört Lenalidomid zur Gruppe der IMiDs® (immuno-modulatory drugs): kleine organische, peroral bioverfügbare Thalidomid-Analoga. Durch strukturelle Veränderungen wurde ihr Wirkspektrum gezielt verändert. Ihre Wirkmechanismen sind vielfältig und reichen von der Normalisierung eines pathologischen Zytokinmusters und antiangiogenen Effekte bis hin zur Verstärkung der körpereigenen zellulären Immunabwehr gegen Tumorzellen. IMiDs werden vor allem für die Behandlung hämatologischer und einiger solider Krebsformen entwickelt. In den USA ist Lenalidomid auch zur Behandlung von myelodysplastischen Syndromen (klonale Stammzellerkrankungen mit peripheren Zytopenien und oft schwerer Anämie) zugelassen.

Multiples Myelom

Das multiple Myelom ist ein bösartiger Tumor der B-Lymphozyten und gehört zu den Non-Hodgkin-Lymphomen. Bei den Patienten ist eine Plasmazelle bösartig entartet und vermehrt sich unkontrolliert vor allem im Knochenmark. Proliferieren die Plasmazellen an mehreren Stellen im Skelett, spricht man von einem multiplen Myelom. Ist nur eine Stelle befallen, wird die Krankheit auch als Plasmozytom bezeichnet. Die Wucherungen der Myelomzellen und die Bildung von Paraprotein (M-Protein) führen unter anderem zur Auflösung von Knochensubstanz (Osteolyse), zu Blutbildveränderungen und Schädigung von Organen wie der Niere. Betroffen sind vor allem Menschen jenseits des 65. Lebensjahres. Trotz Chemo- und Strahlentherapie, Stammzelltransplantation sowie Einsatz von Thalidomid und Bortezomib ist die Erkrankung bis heute unheilbar.

Lenalidomid wird nach peroraler Gabe rasch resorbiert und erreicht nach 0,6 bis 1,5 Stunden maximale Plasmakonzentrationen. In vitro wurde kein Einfluss auf wichtige CYP-Enzyme wie CYP1A2, -2C9, -2D6 und -3A beobachtet. Der größte Teil wird unverändert über die Niere ausgeschieden. Das Medikament wird in 28-tägigen Therapiezyklen eingenommen und zwar unzerkaut jeden Tag etwa zur gleichen Zeit. Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 25 mg an den Tagen 1 bis 21, gefolgt von einer einwöchigen Pause. Zusätzlich schluckt der Patient in den ersten vier Zyklen 40 mg Dexamethason an den Tagen 1 bis 4, 9 bis 12 und 17 bis 20. In den Folgezyklen wird das Steroid nur noch an den ersten vier Tagen gegeben. Bei einem schweren Mangel an Blutplättchen oder Neutrophilen (Thrombozyto- und Neutropenie) sowie Nierenproblemen wird die Tagesdosis reduziert.

 

Lenalidomid ist ein Immunmodulator mit vielfältigen Wirkungen. Er hemmt die Proliferation bestimmter hämatopoietischer Tumorzellen, fördert die von T-Zellen sowie von Natural-Killer-(NK)-Zellen vermittelte Immunität, stimuliert die Erythropoiese, hemmt die Angiogenese und die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen wie TNF-&#945 und Interleukin-6 und -12.

 

Der Wirkstoff wurde in zwei Hauptstudien an 704 Patienten mit multiplem Myelom untersucht. Diese erhielten Lenalidomid entweder mit Dexamethason oder Placebo nach dem genannten Dosierungsschema. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur Progression. Diese lag bei Patienten in der Kombigruppe bei 48,3 Wochen im Vergleich zu 20,1 Wochen im Placeboarm. In beiden Studien waren die Gesamtansprechraten signifikant höher (60 versus 22 Prozent). 15 Prozent der Patienten in der Kombigruppe erreichten eine komplette und 45 Prozent eine partielle Remission; unter Placebo waren es 2 und 20 Prozent. Nach einem Jahr lebten noch 82 Prozent der Patienten aus der Kombigruppe und 75 Prozent aus der Vergleichsgruppe.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Neutropenie, Thrombozytopenie und Anämie, Müdigkeit, Asthenie, Obstipation und Diarrhö, Muskelkrämpfe und Hautausschlag. Zudem stieg das Risiko für Thromboembolien und Lungenembolien. Ein teratogener Effekt des Thalidomid-Derivats ist nicht auszuschließen. Daher unterliegt die Anwendung einem strengen Sicherheitsprogramm, an dem auch die Apotheker beteiligt sind (PZ 29/07). Alle Patienten müssen ein Schwangerschaftsverhütungsprogramm einhalten. Die Apotheke darf nur Rezepte beliefern, die den ärztlichen Vermerk »Sicherheitsbestimmungen gemäß Fachinformation werden eingehalten« tragen und nicht älter als sieben Tage sind.

 

Paliperidon

 

Seit Mitte Juli steht mit Paliperidon ein weiteres atypisches Neuroleptikum zur Behandlung der Schizophrenie bereit (Invega® Retardtabletten mit 3, 6 und 9 mg, Janssen-Cilag). Der Arzneistoff ist kein Unbekannter: Es handelt sich um 9-Hydroxy-Risperidon, den aktiven Hauptmetaboliten von Risperidon. Neu ist die galenische Aufbereitung in einem OROS-System (osmotic-controlled release oral-delivery system).

 

Paliperidon bindet wie Risperidon stark an Serotonin-5HT2- und dopaminerge D2-Rezeptoren, blockiert &#9451-adrenerge und in geringerem Maß auch H1-histaminerge und &#9452-Rezeptoren. Die beiden Paliperidon-Enantiomere wirken pharmakologisch ähnlich; das Arzneimittel enthält ein Racemat. Aufgrund der OH-Gruppe ist Paliperidon hydrophiler als die Muttersubstanz; es wird nur gering hepatisch metabolisiert und zu etwa 60 Prozent unverändert über die Nieren ausgeschieden. Interaktionen mit Arzneistoffen, die über CYP-Enzyme verstoffwechselt werden, sind nicht zu erwarten.

 

Die OROS-Technologie ermöglicht eine gleichmäßige Wirkstofffreigabe über 24 Stunden. Bei einmal täglicher Einnahme (morgens, immer mit oder ohne Nahrung) wird das Steady-state meist innerhalb von vier bis fünf Tagen erreicht. Die Serumspiegel schwanken nur gering. Wichtig: Der Patient darf die Tablette nicht zerkauen oder teilen, da er damit das Retardierungsprinzip zerstört. Die Tablettenhülle wird unverändert mit dem Stuhl ausgeschieden. Die empfohlene Tagesdosis sind 6 mg, eine anfängliche Dosistitration ist nicht nötig.

 

Der Arzneistoff (3 bis 15 mg) wurde in drei Kurzzeitstudien über sechs Wochen an fast 1700 Erwachsenen mit Schizophrenie gegen Placebo und Olanzapin (10 mg täglich) getestet. Hauptindikator für die Wirksamkeit war die Veränderung der positiven und negativen Symptome, gemessen mit einer Standardskala für Schizophrenie (PANSS-Skala). Bereits am vierten Tag zeigte sich ein Unterschied zwischen Verum und Placebo. Paliperidon verringerte die Symptome der Schizophrenie signifikant besser als Placebo und vergleichbar gut wie Olanzapin. Höhere Dosen waren wirksamer als niedrigere. Unter Placebo sanken die PANSS-Werte um 2,8 bis 8 Punkte, unter Verum um 15 bis 23,3 und unter Olanzapin um etwa 20 Punkte.

 

Zudem konnten die Patienten ihren Alltag besser bewältigen. Diese sogenannte Funktionsfähigkeit im Alltag war sekundärer Endpunkt in den drei Kurzzeitstudien und wurde mithilfe der PSP-Skala (Personal and Social Performance Scale) gemessen. Mit dieser validierten Skala erfasst der Arzt, ob und in welchem Ausmaß der Patient in vier Lebensbereichen (sozial nützliche Tätigkeiten wie Arbeit oder Ausbildung, persönliche und soziale Beziehungen, Selbstpflege, störendes und aggressives Verhalten) eingeschränkt ist. In allen Paliperidon-Dosierungen stieg der PSP-Wert signifikant stärker als unter Placebo. Für die Patienten war die Verbesserung klinisch relevant.

 

In einer Langzeitstudie verhinderte Paliperidon das Wiederauftreten von Symptomen deutlich besser als Placebo. 207 Patienten waren vorher über 14 Wochen wegen einer akuten Episode mit dem Arzneistoff behandelt worden und erhielten dann randomisiert Placebo oder Paliperidon. Die Studie wurde vorzeitig beendet, da die Zeit bis zum Rezidiv in der Verumgruppe wesentlich länger war. 35 Prozent der Patienten unter Paliperidon und 40 Prozent unter Placebo gaben Nebenwirkungen an; 3 (unter Placebo 1) brachen die Therapie deswegen ab.

 

Insgesamt klagten die Patienten am häufigsten über Kopfschmerzen (in einer Studie 11 bis 21 Prozent). Deutlich seltener kam es zu Tachykardie, Akathisie (extreme Unruhe), extrapyramidalen Störungen (unbeabsichtigte Bewegungen, Zittern, Steifigkeit), Schläfrigkeit, Schwindel, Sedierung, Tremor, orthostatischer Hypotonie und Mundtrockenheit.

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