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Rezeptboni

Gericht setzt Grenze nach unten

26.07.2011  17:12 Uhr

Von Rainer Auerbach und Nicolas Bremer / Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg sieht die aufsichtsbehördliche Eingriffsschwelle zur Untersagung von Boni für Rezepte aufgrund arzneimittelrechtlicher Preisbildungsvorschriften niedriger als die vom Bundesgerichtshof angenommene wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsgrenze.

Die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes in Lüneburg können vor allem Arzneimittelversendern nicht gefallen: Bei einem Gutschein über 1,50 Euro beziehungsweise 3 Euro für ein Rezept sei die arzneimittelpreisrechtliche Eingriffsschwelle überschritten (OVG Lüneburg 13 ME 94/11 beziehungsweise OVG Lüneburg ME 95/11). Ein Bonustaler im Wert von 50 Cent überschreite diese Grenze dagegen nicht (OVG Lüneburg 13 ME 111/11).

Das Gericht stellt zunächst fest, dass das Arzneimittelpreisrecht das Kriterium Spürbarkeit überhaupt nicht vorsieht. Da das Preisrecht auch den Wettbewerb zwischen den Apotheken regulieren soll, müssten mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung die wettbewerbsrechtlichen Überlegungen des BGH auch für das Arznei­mittel­preisrecht relevant sein. Die Spürbarkeit der beanstandeten Boni müsse im Rahmen des der Aufsichtsbehörde in § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eingeräumten Ermessens berücksichtigt werden.

 

Allerdings könne die Rechtsprechung des BGH zur wettbewerbsrechtlichen Spürbarkeitsgrenze nicht ohne Weiteres auf das Arzneimittel­preisrecht übertragen werden. Die spezifisch wettbewerbsrechtlichen Überlegungen des BGH schränkten den Anwendungsbereich der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Preisbildung ersichtlich nicht ein, denn diese enthielten weder eine Spürbarkeits- noch einen Bagatellvorbehalt, sondern würden die Preisspannen auf den Handelsstufen und den Apothekenabgabepreis centgenau regeln. Jeder Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung erfülle die tatbestandlichen Vo­raussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden. Die Behörde habe jedoch bei ihrer Ermessensentscheidung, ob sie eingreift, die gesetzlichen Wertungen des Wettbewerbs- und Heilmittelwerberechts zu berücksichtigen.

 

Höhe und Reichweite entscheiden

 

Das OVG macht die Eingriffsschwelle von der Bonushöhe und seiner Reichweite abhängig. Je näher der Bonus einem stets unzulässigen Barrabatt gleichkomme, desto niedriger müsse der Wert der Werbegabe sein. Ähnelt das Bonussystem dem Barrabatt nicht, dürfe der Wert der Werbegabe höher liegen. Bonustaler für ein Prämiensortiment dürfen also einen höheren Wert haben als Einkaufsgutscheine für das gesamte freiverkäufliche Sortiment. Hier finde jeder Verbraucher geeignete Artikel (so auch OLG Köln, GRUR-RR 2006, S. 88 = WRP 2006, S. 130). Besonders niedrig sei die arzneimittelpreisrechtliche Spürbarkeit anzusetzen bei Boni, die einem Barrabatt sehr nahekommen, zum Beispiel Gutscheine über einen konkreten Eurobetrag für mehrere Geschäfte.

 

Als zweites Kriterium für die Eingriffsschwelle sieht das OVG die Reichweite des Bonussystems. Zielt das Geschäftsmodell auf überregionale Kundengewinnung ab, dann sinkt die Eingriffsschwelle bei § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG. Große Apotheken und besonders überregional tätige Versand­apotheken hätten mehr Einfluss auf die flächendeckende Arzneimittelversorgung als kleine Betriebe. Das beeinflusse auch die Spürbarkeit eines Vorteils. Deshalb dürften von Versendern gewährte Vorteile nur einen geringen Wert haben.

 

Das OVG weist ausdrücklich darauf hin, dass die genannten Kriterien geeignet sind, die arzneimitterechtliche Eingriffsschwelle im Vergleich zu den vom BGH entschiedenen Fällen niedriger anzusetzen. Das Arzneimittelpreisrecht kenne keine Spürbarkeitsgrenze und die zivilrechtliche Spürbarkeitsgrenze sei noch im Fluss. Der BGH hat in seinen Entscheidungen vom 9. September 2010 (BGH I ZR 193/07, BGH I ZR 37/08, BGH I ZR 125/08, BGH I ZR 26/09 und BGH I ZR 98/08) keine allgemeine Spürbarkeitsgrenze für das Wettbewerbsrecht festgelegt. Einen Bonus von 1 Euro für das Einlösen eines Rezepts mit einer Rezeptposition hält er für nicht spürbar. Einen Einkaufsgutschein über 5 Euro bei zwei Rezeptpositionen sei dagegen spürbar. Das OVG Lüneburg kommt nun zu dem Schluss, dass die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsgrenze zwischen 1 und 2,50 Euro pro Rezeptposition liegt.

 

Gleichzeitig setzte das OVG in den drei Entscheidungen vom 8. Juli 2011 (13 ME 94/11, ME 95/11, 13 ME 111/11) die arzneimittelpreisrechtliche Eingriffsschwelle deutlich unter der wettbewerbsrechtlichen Spürbarkeitsgrenze an. Schon bei Wertgutscheinen von 1,50 Euro pro Position und 3 Euro pro Rezept sei die arzneimittelpreisrechtliche Schwelle überschritten.

 

Nach den Entscheidungen des OVG Lüneburg können Aufsichtsbehörden gegen Bonussysteme nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG auch dann einschreiten, wenn die ausgelobten Wertgutscheine unter dem Wert der vom BGH entschiedenen Fälle liegen. Das OVG gibt konkrete und handhabbare Kriterien zur Ermittlung der Eingriffsschwelle an die Hand. Die Grenze wird wegen des Regelungszwecks der arzneimittelrechtlichen Preisbildungsvorschriften, die centgenau sind, niedriger angesetzt als die wettbewerbliche Spürbarkeitsgrenze.

 

Noch einmal auf den Prüfstand

 

Die Entscheidungen werden Auswirkungen auf die berufsrechtliche Beurteilung von Bonussystemen durch die Kammern haben. Apotheken, die sich nach dem BGH im »grünen Bereich« wähnten, werden ihre Systeme noch einmal überprüfen müssen, ob sie den Kriterien der arzneimittelpreisrechtlichen Eingriffsschwelle genügen. Hierzu wird es weitere Rechtsprechung geben. Ein Testfall könnte das verbreitete Bonus-Modell 1 Euro pro Rezeptposition, maximal 3 Euro pro Rezept werden. / 

Rechtsanwalt Rainer Auerbach ist Geschäftsführer der Apothekerkammer Berlin, Nicolas Bremer ist Rechtsreferendar in der Verwaltungs­station bei der Kammer.

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