Boceprevir erhöht Heilungschancen |
26.07.2011 14:03 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler, München / Menschen mit chronischer Hepatitis-C-Infektion können hoffen. Seit Mitte Juli ist der Proteasehemmer Boceprevir zugelassen. In Kombination mit Interferon und Ribavirin soll er die Heilungsraten deutlich steigern. Die Therapie ist allerdings nicht einfach.
Wenige Monate nach der Zulassung in den USA hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in einem beschleunigten Verfahren grünes Licht für Boceprevir gegeben. Die Hartkapseln mit 200 mg Wirkstoff sind indiziert für Erwachsene mit chronischer Hepatitis-C-Virus (HCV)-Infektion, die noch keine Therapie bekommen haben oder darauf nicht angesprochen oder einen Rückfall erlitten haben. Das Medikament Victrelis® soll demnächst in die deutschen Apotheken kommen, hieß es bei der Einführungspressekonferenz des Herstellers MSD in München.
Heilungsraten deutlich verbessert
In Deutschland leben etwa 400 000 bis 500 000 Menschen mit chronischer HCV-Infektion. Mit 62 Prozent ist der HCV-Genotyp 1 am häufigsten. Seit 2001 gelten Peginterferon-α plus Ribavirin als Standardtherapie. Damit erreicht etwa die Hälfte der Patienten eine Heilung, definiert als dauerhaftes virologisches Ansprechen (Sustained Virologic Response, SVR). Der neue Proteasehemmer wird immer mit der Standardtherapie kombiniert, da die Viren ansonsten schnell Resistenzen ausbilden.
»Boceprevir ist der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse, die direkt mit dem HC-Virus interagiert«, informierte Professor Dr. Christoph Sarrazin von der Klinik für Innere Medizin, Frankfurt am Main, bei der Pressekonferenz. Der Wirkstoff inhibiert die virale NS3-Protease bei HCV vom Genotyp 1 und blockiert damit die Virusreplikation in infizierten Zellen.
Den Erfolg belegen zwei große Phase-III-Studien mit knapp 1100 therapienaiven sowie 400 erfolglos vorbehandelten Patienten, erklärte der Hepatologe. In beiden Studien bekamen die Patienten zunächst vier Wochen lang die Standardtherapie (»Lead-in-Phase«) und danach zusätzlich Placebo oder dreimal täglich 800 mg Boceprevir über 48 Wochen. Unter der Tripeltherapie wurden 66 bis 68 Prozent geheilt, mit Zweifachtherapie waren es knapp 40 Prozent bei den therapienaiven Patienten beziehungsweise nur 21 Prozent in der Studie mit den vorbehandelten Patienten.
In jeder Studie gab es einen dritten Arm, in dem die Therapie bei frühem Ansprechen verkürzt wurde. Kriterium war der Nachweis von HCV-RNA in der 8. und 24. Behandlungswoche. War zu beiden Zeitpunkten keine RNA messbar, endete die Behandlung nach 28 Wochen. Bei Patienten, in deren Blut sich nach acht Wochen noch Virus-RNA fand, wurde die Behandlung über 48 Wochen fortgesetzt. Mit dieser sogenannten Response-gesteuerten Therapie konnte man die Therapie bei etwa der Hälfte der Patienten um bis zu 20 Wochen verkürzen, berichtete Sarrazin. 63 und 59 Prozent der Patienten wurden geheilt. Als »Stopp-Kriterium« gilt der Nachweis von Virus-RNA in Woche 24. Bei diesen Patienten wird die Tripeltherapie beendet.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Fatigue, Anämie, Übelkeit, Kopfschmerzen und Geschmacksstörungen (Dysgeusie). Etwa die Hälfte der Patienten erlitt unter der Dreifachtherapie eine Anämie im Vergleich zu 29 Prozent unter Standardtherapie. Allerdings erwies sich ein Hämoglobin-Abfall um mehr als 3 mg pro dl als positives Vorzeichen. »Die Heilungsrate war deutlich höher bei Patienten, die anämisch wurden«, berichtete Professor Dr. Michael R. Kraus von den Kreiskliniken Altötting-Burghausen. Vermutlich zeige diese Nebenwirkung an, dass genügend Wirkstoff im Körper »ankommt«.
Compliance unterstützen
Kraus wies auf die große Bedeutung der Compliance hin. Die Therapie ist aufwendig: Die Patienten spritzen einmal wöchentlich 1,5 µg Peginterferon-α pro kg Körpergewicht und nehmen täglich gewichtsadaptiert 600 bis 1400 mg Ribavirin ein, aufgeteilt in zwei Dosen. Hinzu kommen dreimal täglich je vier Kapseln Boceprevir, die sie mit Nahrung einnehmen müssen. Im Vergleich zur Nüchterneinnahme steigt die Exposition dann um etwa 60 Prozent.
Kraus erklärte die »80er-Regel«: Die besten Heilungschancen hätten Patienten, die über mehr als 80 Prozent der Therapiedauer mehr als 80 Prozent ihrer Boceprevir-Tabletten korrekt einnehmen. Eine kürzere Therapiedauer reduziert die Erfolgschancen deutlich. Wer bei den Tabletten häufiger Fehler macht, muss aber kaum mit Einbußen rechnen.
Zu beachten sind zahlreiche Wechselwirkungen, da Boceprevir ein starker Hemmstoff von CYP3A4 ist. Daher ist beispielsweise die gleichzeitige Einnahme von Midazolam und Triazolam kontraindiziert. Boceprevir wird selbst teilweise von CYP3A4 verstoffwechselt. /