Pharmazeutische Zeitung online
Abmagerungsmittel

Lorcaserin bremst Appetit

27.07.2010  14:46 Uhr

Von Sven Siebenand / Längst hat auch die Pharmaindustrie die Gruppe der Übergewichtigen als lukrativen und großen Absatzmarkt entdeckt. Mit Lorcaserin könnte demnächst ein neues Mittel auf den Markt kommen. Im September wird mit einer Empfehlung für oder gegen die Marktzulassung von einem Expertengremium der FDA gerechnet. In der neuen Serie »Arzneistoffe vor der Zulassung« nimmt die PZ die Substanz unter die Lupe.

Nachdem Rimonabant (Acomplia®) im Jahr 2008 wegen der Gefahr psychiatrischer Störungen vom Markt genommen wurde und die europäische Arzneimittelbehörde EMA wegen des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse seit Januar 2010 das Ruhen der Zulassungen Sibutramin-haltiger Arzneimittel (Reductil®) empfiehlt, ist die derzeit verfügbare Palette an Abnehmpräparaten äußerst schlank. Am bekanntesten dürfte momentan der Wirkstoff Orlistat (Xenical® 120 mg Hartkapseln) sein. Das Tetrahydrolipstatin ist in der Lage, Lipasen lang-anhaltend zu hemmen. Das führt dazu, dass die Fettaufnahme und folglich das Körpergewicht reduziert wird. Mittlerweile ist der Wirkstoff auch – in niedrigerer Dosierung – rezeptfrei erhältlich (Alli® 60  mg Hartkapseln).

Einige neue Wirkstoffkandidaten für dieses Anwendungsgebiet befinden sich aktuell in der Pipeline. In seiner Entwicklung besonders weit vorangeschritten, ist der Wirkstoff Lorcaserin. Ganz neu ist das Wirkprinzip des neuen Appe­titzüglers allerdings nicht. Aufgrund seiner struk­turellen Ähnlichkeit mit beiden Wirkstoffen Fenfluramin (Ponderax®) und Dexfenfluramin (Isomeride®) wirkt es serotoninerg und appetit­mindernd. Die beiden Appetitzügler wurden in den 1990er-Jahren wegen schwerer Nebenwir­kun­gen vom Markt genommen. Sie wurden in Zusammenhang mit pulmonaler Hypertonie und vor allem Herzklappenver­änderungen (Valvulo­pathie) gebracht. Die Erklärung dafür ist vermut­lich die Tatsache, dass die beiden Substan­zen nicht selektive 5-HT-Rezeptor-Agonisten sind und unter anderem auch den Subtyp 2B akti­vieren, dessen Stimulierung für die Herzklap­pen­schäden verantwortlich gemacht wird. Lorcaserin dagegen ist ein selektiver 5-HT2C-Rezeptor-Agonist. Er bindet 15-mal beziehungsweise 100-fach selektiver an den Subtyp 2C statt an 2A beziehungsweise 2B.

BLOOM und BLOSSOM

 

Wie Serotonin kann auch das Benzazepin-Derivat Lorcaserin ein Sättigungsgefühl erzeugen und die Kalorienaufnahme bremsen. Möglich wird das durch die bereits erwähnte Stimulierung der 5-HT2C-Rezeptoren. Diese aktiviert das sogenannte POMC (Präkursor-Protein Proopiomelanocortin)-System im Hypothalamus. Als Folge davon werden anabole Stoffwechselwege schließlich blockiert und katabole Wege gefördert.

 

Die bisher vorliegenden Daten aus Studien der Phase III weisen darauf hin, dass Lorcaserin sicherer ist als seine Vorgänger. Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerz waren die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen, Schäden an den Herzklappen wurden jedoch nicht beobachtet. Die Firma Arena Pharmaceuticals hat Ende vergangenen Jahres einen Zulassungsantrag für Lorcaserin bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA eingereicht.

Die Konkurrenten im Zulassungsrennen

Lorcaserin ist nicht das einzige Medikament, das in den USA vor der Zulassung als Abnehmpräparat steht. Noch in diesem Jahr wird sich ein Gutachtergremium der FDA mit dem Präparat Contrave® beschäftigen. Darin sind der Opioid-Antagonist Naltrexon und das Antidepressivum beziehungsweise Nicotin-Entwöhnungsmittel Bupropion enthalten. Das Präparat soll als Craving-Killer wirken, also das suchthafte Verlangen nach Essen bremsen. Studien zeigen, dass das scheinbar tatsächlich funktioniert und die Patienten abnehmen. Abzuwarten bleibt aber, wie sich Übelkeit und Erbrechen, die bei vielen Patienten als Nebenwirkung auftraten, auf die Compliance aus-­wirken.

 

Dem Unternehmen Vivus hat ein Gutachtergremium der FDA unterdessen einen Dämpfer verpasst, indem es die Zulassung des Abmagerungsmittels Qnexa® mehrheitlich abgelehnt hat. Darin enthalten sind zwei Wirkstoffe: Eine niedrige Dosis des Amphetamin-Derivates Phentermin und eine niedrige Dosis retardiertes Topiramat. Laut Firma ergänzen sich die beiden Substanzen in ihrer Wirkung, da das Antiepileptikum das Sättigungsgefühl erhöhe und Phentermin den Appetit zügelt. Bei Topiramat kommt hinzu, dass es nach dem Genuss kohlensäurehaltiger Getränke einen metallischen Geschmack im Mund erzeugt. Patienten könnten auch deshalb von weiteren, kalorienreichen Softdrinks die Finger lassen. In Deutschland ist Phentermin schon seit Langem nicht mehr verfügbar, in den USA ist es jedoch auch in Form von Monopräparaten ein beliebter und gängiger Appetitzügler.

 

An der Wirksamkeit von Qnexa zweifelten die Gutachter nicht. Jedoch stufen sie die Sicherheitsbedenken höher ein als den Nutzen des Medikamentes. Bei dem Wirkstoff Phentermin gibt es zum Beispiel die mögliche Erhöhung der Herzfrequenz zu bedenken. Topiramat wird zum Beispiel mit Beeinträchtigungen der Konzentration und des Gedächtnis, mit erhöhtem Suizidrisiko und einer möglichen Teratogenität in Zusammenhang gebracht. Eine endgültige Entscheidung über die Zulassung von Qnexa will die FDA im Oktober fällen, das Votum des Expertengremiums ist richtungsweisend, aber nicht ­bindend.

Die Ergebnisse der Phase-III-Studien BLOOM ­(Behavioral modification and Lorcaserin for Overweight and Obesity Management) und BLOSSOM (Behavioral modification and Lorcaserin Second Study for Obesity Management) mit insgesamt mehr als 7000 Patienten bildeten dafür die Grundlage. Die primären Wirksamkeitsendpunkte konnten erreicht werden. So reduzierten in BLOSSOM fast zwei Drittel aller Patienten, die zweimal täglich 10 mg Lorcaserin eingenommen hatten, ihr Körpergewicht innerhalb eines Jahres um mindestens 5  Prozent. Unter Placebo gelang das nur etwa jedem dritten Patienten. Der durchschnittliche Gewichtsverlust nach zwölf Monaten lag in der Verumgruppe bei 8,5  Kilogramm versus circa 4 Kilogramm unter Placebo. / 

Potenzieller Lückenschließer

Lorcaserin ist eine typische Schrittinnovation, die im Vergleich zur Sprunginnovation augenscheinlich ein deutlich günstigeres Nutzen-Risiko-Profil aufweist. Während Fenfluramin und Dexfenfluramin vom Markt genommen werden mussten, besteht für Lorcaserin die berechtigte Hoffnung, dass es sich am Markt etablieren kann. Sollte der Arzneistoff die Hürde der Zulassung tatsächlich schaffen, sollte das neue Arzneimittel nur mit größter Zurückhaltung verordnet werden, am besten von erfahrenen Ärzten, die etwaige kardiologische und pulmonologische Probleme (pulmonale arterielle Hypertonie) rasch und zuverlässig erkennen. Darüber hinaus sollte die Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas bei Erwachsenen konsequent eingehalten werden. Wenn sich der klinische Nutzen und insbesondere die Langzeitsicherheit des neuen Arzneistoffes nachhaltig in der breiten Anwendung bestätigen, würde eine wichtige pharmakotherapeutische Lücke geschlossen werden können.

 

Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz

Mitglied der Chefredaktion

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa