Kälte, Hitze und Hypochonder |
20.07.2007 16:08 Uhr |
<typohead type="3">Kälte, Hitze und Hypochonder
Von Ulrike Abel-Wanek
Die Wetterwechsel werden extremer und machen vielen Leuten zu schaffen. Etwa die Hälfte der Deutschen bezeichnet sich als wetterfühlig. Wissenschaftliche Forschungen bestätigen, dass Klimaveränderungen ein Stressfaktor für die Gesundheit sind.
Wer sich als »wetterfühlig« bezeichnet, setzt sich schnell dem Spott seiner Umgebung aus. Als Hypochonder gilt, wer Kopf- und Gliederschmerzen oder Herzbeschwerden dem Klima zuschiebt. Statistisch nachgewiesen und medizinisch belegt ist aber, dass starke Temperaturschwankungen oder rapide Wetterumschwünge Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben. Dabei unterscheidet die medizinische Klimatologie zwischen Wetterfühligkeit und Wetterempfindlichkeit. Während sich bei Wetterempfindlichen reale Symptome wie Herzstörungen oder Schmerzen nach Unfällen, Operationen sowie bei chronischen Erkrankungen durch Wettereinflüsse verschlechtern, weisen Wetterfühlige subjektive Befindlichkeitsstörungen auf. Außerdem hat das Syndrom der Wetterfühligkeit weitreichende sozialökonomische Auswirkungen, etwa durch die steigenden Gesundheitskosten häufiger Arztbesuche, vermehrter Arzneimitteleinnahme oder Kuraufenthalte.
Der Zusammenhang zwischen der Gesundheit des Menschen und dem Wetter wurde schon früh erkannt. Bereits 3000 vor Christus wiesen medizinische Schriften auf »böse Winde, die Krankheit und Fieber bringen« hin. Eigentlicher wissenschaftlicher Begründer der modernen Klimatologie war Alexander von Humboldt (1769 bis 1859), auf dessen Erkenntnisse im 20. Jahrhundert nach und nach exakte statistische Untersuchungen zum Wetter- und Klimaeinfluss auf den Menschen folgten. Seit den 50er-Jahren beschäftigt sich die Wissenschaftsrichtung der »Medizinischen Klimatologie« mit den Zusammenhängen zwischen Wetter und Wohlbefinden.
Wetter und Krankheiten
Eindeutig stellten die Wissenschaftler fest, dass beispielsweise Kälte, Wärmebelastung und massiver Wetterwechsel »Auftretungshäufigkeit, Verlauf und Mortalität der koronaren Herzkrankheit« beeinflussen. Dieselben Wetterparameter stehen in Zusammenhang mit dem Risiko, einen Schlaganfall, eine Venethrombose oder eine Lungenembolie zu erleiden. Bewiesen ist auch, dass die Schmerzen bei entzündlichen und degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates hauptsächlich durch feucht-kaltes Wetter verstärkt werden. Bestimmte Wetterlagen verstärken Kopfschmerzen, Migräne und Asthma ebenso wie psychische Erkrankungen.
Die Symptome der Wetterfühligkeit zeigen sich in weniger klar umrissenen »Befindlichkeitsstörungen«: unter anderem Abgeschlagenheit, Müdigkeit, missmutige Stimmungslage, Kopfdruck, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit oder Schwindel. Verantwortlich dafür sind Umfragen unter Wetterfühligen zufolge Wetterumschwünge oder starke Abweichungen im jahreszeitlichen Witterungsverlauf. Eine Studie, in der eine repräsentative Stichprobe von 1000 Bundesbürgern über 16 Jahren ausgewertet wurde, bestätigt: 19 Prozent der Befragten meinten, dass ihre Gesundheit stark vom Wetter abhänge, 35 Prozent gaben an, dass das Wetter etwas Einfluss hätte. 55 Prozent glaubten also insgesamt an den Zusammenhang zwischen Wetter und Gesundheit.
Wetterfühligkeit hängt von vielen Faktoren ab. Die wesentlichste Rolle spielt für Angela Schuh, Professorin für medizinische Klimatologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, vor allem die Konstitution und der Trainingszustand des Körpers. Ein Trainingsmangel führt dazu, dass sich der Körper an unterschiedliche Wetterlagen nicht mehr schnell genug und vor allem nicht physiologisch richtig anpassen kann. Bewegungsmangel, aber auch die fehlende Auseinandersetzung mit thermischen Reizen, sind die zwei wichtigsten Faktoren für Wetterfühligkeit. Darüber hinaus stellt Schuh fest: »Wetterfühlige Menschen verfügen offensichtlich über eine besonders deutliche Wahrnehmung ihres körperlichen Zustands und neigen dazu, an sich normale Regulations- und Anpassungsvorgänge besonders stark zu bewerten. Wetterfühligkeit äußert sich somit auch als emotionale Überempfindlichkeit.« Betroffenen zum Trost ein Satz von Goethe, der großes Interesse an bioklimatischen Fragen hatte: »Gerade die feinsten Köpfe leiden am meisten unter den schädlichen Wirkungen der Luft«. Er wurde später zum Anlass genommen, die sozialen Schichten Wetterfühliger genauer zu durchleuchten, allerdings ohne überzeugende Ergebnisse. Das Wetter einerseits und der Mensch andererseits sind zwei dynamische, hoch- komplexe Systeme, die miteinander agieren. Überschreiten bestimmte meteorologische Faktoren einen Schwellenwert, kann das zu einer vegetativen Belastung des Organismus führen, die vom gesunden Körper ausgeglichen werden kann. Beim vorgeschädigten und wetterfühligen Menschen ruft sie jedoch Unwohlsein hervor oder verstärkt bereits bestehende Krankheitssymptome.
Das Wetter kann man nicht ändern, also muss man lernen, besser damit umzugehen. Kranken und geschwächten Personen hilft es häufig, sich vorsichtig und wohldosiert bestimmten »Wetterreizen« auszusetzen. Bei ausgeprägten Beschwerden, beispielsweise des Herz-Kreislauf-Systems, muss allzu große Hitze oder Kälte manchmal aber strikt gemieden werden.
Abhärten gegen Wetterfühligkeit
Wenn es »nur« subjektive Befindlichkeitsstörungen sind, gibt es eine Reihe von leicht anwendbaren Möglichkeit zur Anpassung an das unverträgliche Klima: bei jedem Wetter in passender Kleidung hinauszugehen, die Thermoregulation zu trainieren mit kalten Duschen, Sauna und nicht zu warmer Kleidung, Joggen, Wandern, Radfahren für die Ausdauer, Entspannungstechniken erlernen und auf regelmäßige Lebensabläufe achten. Wem das bekannt, aber auch zu anstrengend und vor allem nicht durchführbar erscheint angesichts langer Arbeitstage im Büro, findet wieder Rat bei Goethe: »So arbeite ich bei hohem Barometerstande leichter als bei tiefem; da ich nun dieses weiß, so suche ich bei tiefem Barometer durch größere Anstrengung die nachteilige Einwirkung aufzuheben und es gelingt mir.«
Literatur
Angela Schuh: Biowetter. Wie das Wetter unsere Gesundheit beeinflusst. 128 Seiten. Verlag C. H. Beck 2007. ISBN 978-3-406-53616-8. 7,90 Euro.