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Pädiatrie

Stiefkinder der Arzneimitteltherapie

10.07.2007  17:43 Uhr

Pädiatrie

<typohead type="3">Stiefkinder der Arzneimitteltherapie

Von Hannelore Gießen, München

 

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das gilt umso mehr, wenn es um Arzneimittel geht. Überträgt man Arzneimittelwirkungen von Erwachsenen auf Kindern und rechnet die Dosis linear um, macht man große Fehler.

 

Eindringlich wies Krankenhausapotheker Dr. Otto Frey aus Heidenheim beim Symposium »Das Kind in der Apotheke« auf die physiologischen Besonderheiten bei Kindern hin. Medikamente für Kinder richtig auszuwählen, zu dosieren und anzuwenden, sei eine spannende Aufgabe, ergänzte Freys Kollegin Rita Wagner aus Augsburg. Viele Eltern fühlen sich bei der Gabe von Arzneimitteln an ihre Kinder jedoch unsicher, führte Wagner bei der vom Phyto-Netzwerk-München initiierten Veranstaltung weiter aus. In einer dänischen Untersuchung gaben 43 Prozent der befragten Eltern an, sich dabei überfordert zu fühlen. Hier besteht also großer Informationsbedarf und somit eine Chance für die Apotheke, sich von anderen Vertriebsformen durch eine kompetente Beratung abzugrenzen. Das zu unterstützen, sei auch Ziel des Phyto-Netzwerk-München, betonte die Initiatorin der Veranstaltung, Gabriele Bartmann.

 

Schwacher Schutzschild

 

Je jünger das Kind ist, desto rascher ändert sich die Pharmakokinetik. Der Zeitraum vor und rund um die Geburt eines Kindes sei dabei die spannendste Phase, erläuterte Frey. Am Anfang verfügt ein Säugling noch kaum über Fettgewebe. Sein Körper weist einen hohen Wasseranteil auf, sodass sich hydrophile Arzneistoffe in einem verhältnismäßig großen Volumen verteilen. Das Blut eines Neugeborenen enthält weniger Plasmaproteine als das eines älteren Säuglings, und auch die Metabolisierung von Arzneistoffen ist stark eingeschränkt. Sowohl die Biotransformation über die Leberenzyme der Cytochrom-P450-Reihe als auch die Konjugation mit Glucuron-, Essig- oder Schwefelsäure laufen erst langsam an. Die Nieren haben ihre Funktion noch nicht vollständig aufgenommen, sodass sich die Halbwertszeiten nahezu aller Pharmaka verlängern.

 

Nicht nur die Ausscheidung über die Niere ist schwach, ein Neugeborenes kann sich auch kaum seiner Haut wehren. Über die dünne und kaum verhornte Epidermis kann ein Arzneistoff leicht eindringen. So könne die Anwendung iodhaltiger Desinfektionsmittel zu Störungen der Schilddrüsenfunktion führen, machte der Krankenhausapotheker deutlich. Doch ließe sich die gute Resorption über die Haut auch nutzen, um Arzneistoffe über die Haut zu verabreichen. Die Blut-Hirn-Schranke ist bei der Geburt ebenfalls noch nicht vollständig ausgebildet, sodass Arzneistoffe in größerer Menge in das Zentralnervensystem (ZNS) übertreten können. Das werfe auch während der Stillzeit viele Fragen auf, berichtete Frey. Wird eine stillende Mutter zum Beispiel mit einem neuen Antidepressivum behandelt, liegen dazu kaum Erfahrungen vor, inwieweit die Substanz in das ZNS des Säuglings übertreten kann.

 

»Turbo-Metabolisierer«

 

Doch die Situation ändert sich schnell. Schon während der ersten Lebenswochen steigt die Metabolisierungs- und Eliminationskapazität rasch an. Die Dosierung von Arzneimitteln orientiere sich daher neben dem Körpergewicht am Alter sowie bei Frühgeborenen auch am Gestationsalter, fasste Frey zusammen. 

 

Völlig neue metabolische Verhältnisse liegen ab dem dritten Lebensjahr vor. Die Magenentleerung und die gastrointestinale Passage sind nun beschleunigt, Arzneistoffe binden sich an Plasmaproteine fast im selben Maße wie beim Erwachsenen. Die Ausscheidungskapazität über Leber und Niere hat für viele Arzneistoffe ihr Maximum erreicht. Kinder in diesem Alter bezeichnete Frey als »Turbo-Metabolisierer«.  Entsprechend müssen die Arzneimittel in vergleichsweise hoher Tagesdosis bei kurzen Dosierintervallen verabreicht werden.

 

Die Pharmakokinetik eines Jugendlichen ab dem zwölften Lebensjahr gleicht der eines Erwachsenen und somit wird auch entsprechend dosiert. Schwierig wird dagegen die Compliance. »Einem Jugendlichen mit Epilepsie ist ein geregelter Tagesablauf mit genauer Tabletteneinnahme und ohne Alkohol nur schwer zu vermitteln«, erklärte Frey.

 

Arzneistoffe kindgerecht verpacken

 

Bei Kindern kommt es nicht nur auf die richtige Substanz und die richtige Dosierung an, sondern auch auf die richtige Verpackung. Dabei bieten flüssige Oralia viele Vorteile, erläuterte Wagner. Können sie doch gut verabreicht werden und sind in der Dosis variabel. Allerdings ist die Dosierung flüssiger Arzneiformen fehlerträchtig, vor allem wenn Eltern oder Pflegekräfte mit einem Tee- oder Esslöffel hantieren. Bei Untersuchungen wurden auf verschiedenen Teelöffeln Mengen von 2,9 bis 9,7 ml abgemessen. Liegt einem Fertigarzneimittel eine Dosierhilfe bei, sollte sie jedoch nur für dieses Medikament eingesetzt werden. Für eine sehr exakte Dosierung bei Säuglingen empfahl Wagner eine Oralspritze als Hilfsmittel.

 

Beim Verabreichen von Tropfen müssen Zentral- von Randtropfern unterschieden werden. Während Randtropfer aus der Schräghaltung tropfen, müssen Zentraltropfer genau senkrecht kopfüber gehalten werden, um die vorgeschriebene Tropfengröße und damit die richtige Dosierung zu erreichen. Wagner warnte davor, Tropfen, die als Fertigarzneimittel vorliegen, umzufüllen oder in der Flasche weiter zu verdünnen, da sich dadurch die Oberflächenspannung und Tropfengröße ändern könnten.

 

Feste orale Darreichungsformen sind einfach zu handhaben, stabil und enthalten immer die exakte Dosis. Die Klinikapothekerin empfahl deshalb, größere Kinder so früh wie möglich auf feste orale Zubereitungsformen umzustellen. Doch viele Oralia sind nicht in kindgerechter Dosierung als Fertigarzneimittel auf dem Markt. Teilen oder Zerkleinern kann oftmals das Problem lösen, zum Beispiel bei Filmtabletten. Die meisten retardierten und magensaftresistenten Formulierungen können jedoch nicht zerkleinert werden.

 

Ist keine Formulierung in der richtigen Dosis auf dem Markt und kann sie auch über Teilen oder Zerkleinern nicht gewonnen werden, bietet sich die Herstellung einer Rezeptur in der Apotheke an. Gut geeignet sind zum Beispiel Hartgelatine-Steckkapseln, die von den Eltern geöffnet werden können. Als Informationsquelle für die Eigenrezeptur führte Wagner die Internetseiten des NRF an (www.dac-nrf.de).

 

Hilfsstoffe unter der Lupe

 

Kontrovers diskutiert wird der Zusatz von Ethanol in Arzneimitteln, die bei Kindern angewandt werden. Ist doch die Blut-Hirn-Schranke bei Kleinkindern durchlässiger als bei Erwachsenen und die zum Abbau von Ethanol erforderlichen Enzyme sind erst nach dem vierten Lebensjahr vorhanden. Ein relevantes Problem liegt nach Auffassung von Wagner dennoch nur bei einer Dauertherapie vor. Bei einer Einzelgabe seien es nur winzige Ethanolmengen, mit denen ein Kind konfrontiert würde und die nehme es auch beim Trinken eines Apfel- oder Traubensaftes auf, erläuterte die Apothekerin.

 

Zucker wie Glucose, Saccharose und Fructose wirken kariogen und sind deshalb als Hilfsstoffe weniger geeignet. Die Arzneimitteln zugesetzte Menge an Lactose ist sehr gering und dürfte selbst bei einer Lactoseintoleranz kaum zu Problemen führen, erklärte Wagner. Ein Lactasemangel dürfte bei jüngeren Kindern ohnehin selten sein, da sie das Enzym zum Verstoffwechseln von Muttermilch benötigen.

 

Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit und Xylit könnten unter Umständen Durchfälle auslösen, während Süßstoffe wie Aspartam oder Acesulfam unter physiologischen Aspekten kein Problem darstellen, jedoch oft von den Eltern abgelehnt werden.

 

Eltern sorgen sich bisweilen auch wegen Aromastoffen in Arzneimitteln, zum Beispiel dem Antibiotikasäften zugesetzten Erdbeeraroma, wenn ihr Kind auf Erdbeeren allergisch reagiert. Doch Aromastoffe werden nicht aus Früchten gewonnen, sondern sind fast immer industriell gefertigte »naturidentische« Produkte, sodass Allergikern keine Gefahr droht.

 

Die beiden Klinikapotheker rieten ihren Kollegen, auf die Fragen der Eltern einzugehen, sie genau über das Ziel der Therapie, das Medikament und dessen Dosierung zu informieren und vor allem größere Kinder auch mit in die Therapie einzubeziehen.

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