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Documenta

Heilung durch Kunst?

03.07.2012  16:34 Uhr

Von Conny Becker, Kassel / Fukushima, Finanzkrise, Kriege: Die Welt kann Kunst zwar nicht retten, aber sie regt dazu an, den Blickwinkel auf die Umgebung und damit vielleicht auch das eigene Verhalten zu ändern. Zu erleben ist das zurzeit auf der dreizehnten Documenta in Kassel, der weltgrößten Ausstellung für Gegenwartskunst. Sie präsentiert neben klassischer Kunst auch zahlreiche naturwissenschaftliche Projekte.

»The brain«, so nennt sich die Kunst- und Wunderkammer in der architektonisch auffälligen Rotunde im Museum Fridericianum, die das programmatische Zentrum der Documenta beherbergt. Neben klassischen Stillleben, Zeichnungen oder Videoarbeiten finden sich hier auch Artefakte aus dem Nationalmuseum von Beirut, die aufgrund der Bombardierungen während des Bürgerkriegs (1975 bis 1990) mit- einander verschmolzen sind. Nach den Werken des Surrealisten Man Ray trifft man auf Gegenstände, welche die Kriegsberichterstatterin Lee Miller 1945 aus dem Badezimmer von Adolf Hitler entwendet hat, oder auf die Skulptur »Calcium Carbonate« von Sam Durant, die aus Carrara-Mamor gehauen ist. In ihrer Form gleicht sie einem Sack Mehl, der darauf verweist, dass Marmor heute in Form von Marmormehl vor allem für die Herstellung von Farben verwendet wird. Die sehr unterschiedlichen Objekte und Artefakte geben einen Hinweis darauf, dass diese Documenta über eine reine Kunstausstellung hinausgeht. Sie ist eher eine Kulturausstellung, die sich auch den alltäglichen und normalerweise kunstfernen Dingen widmet.

Die alle fünf Jahre stattfindende Documenta steht in diesem Jahr unter dem Thema »Collapse and Recovery«, Kollaps und Heilung, welches die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev aus vielen verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Im nordhessischen Kassel, das wegen seiner Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, liegt der Verweis auf die deutsche Geschichte nah. Viele Künstler verarbeiten diese in ihren Werken und vergleichen sie auffällig häufig mit dem Krieg in Afghanistan. Nicht von ungefähr, denn Kabul wie auch das ägyptische Kairo zählen zu den Orten, an denen parallel zu Kassel Ausstellungen oder Seminare der Documenta stattfinden. Diese gibt sich damit politisch, kann aber auch sinnlich und ästhetisch überzeugen.

 

Eindrucksvoll etwa zeigt der Raum des französisch-algerischen Künstlers Kader Attia die zerstörerischen Auswirkungen des Krieges und zugleich ein uns fremdes kulturelles Verständnis von »Reparieren« oder »Heilen«: Hier sind zum einen Schwarz-Weiß-Fotografien von Soldaten des Ersten Weltkriegs präsentiert, welche nach wiederherstellungschirurgischen Maß­nahmen weiterhin entstellt blieben. Zum anderen sind zeitgenössische afrikanische Holzskulpturen zu sehen, denen die alten Fotografien als Vorlage dienten. Einer eigenen Vorstellung von »Reparatur« folgend, kaschieren die Künstler die unübersehbaren Makel der Porträtierten nicht, sondern lassen sie bewusst sichtbar. Demgegenüber steht das Schönheitsideal der »Ersten Welt«, die versucht, jeden »Makel« mit Schönheitschirurgie zu »heilen«.

 

Besuch im Sanatorium

 

Die Documenta zeigt Künstler aller Kontinente und ihre verschiedenen Weltanschauungen. Auch Tieren und Pflanzen, sprich der Ökologie will die Kunstschau ein Sprachrohr sein, was im Ottoneum zu erkennen ist. In diesem Jahr sind auch das Kasseler Naturkundemuseum sowie das Astronomisch-Physikalische Kabinett in der Orangerie als Ausstellungsorte miteinbezogen, in denen die jeweilige Dauerausstellung nun auf zeitgenössische Kunst trifft.

In der Orangerie erfährt der Besucher, dass der Vater des Computers, Konrad Zuse, ein talentierter Maler war, dessen futuristische Gemälde an Lyonel Feininger erinnern. Nebenan wiederum feiert ein finnischer Filmemacher in einem Video die jüngste Technikgeschichte, indem er den Bau des leistungsstärksten Atomkraftwerks Olkiluoto 3 an der Westküste Finnlands dokumentiert. Wie hier stellt sich allerdings in vielen Arbeiten die Frage, ob sich die Wissenschaftsgeschichte tatsächlich stets in Richtung Erfolg ent­wickelt.

 

Dennoch ist der Tenor auf der Documenta keineswegs wissenschaftsfeindlich, im Gegenteil. In Kassel spiegelt sich ein Trend der letzten Jahre wider, in denen Künstler sich zunehmend mit den Wissenschaften auseinandersetzen. Darüber hinaus wurden führende Naturwissenschaftler wie der Quantenphysiker Anton Zeilinger, dessen Team im Fridericianum Experimente mit Photonen erklärt, oder der Epigenetiker Alexander Tarakhovsky eingeladen. Von ihm sind – neben den traumhaften Bildern von Salvador Dalí – ein Gerät zu Gensequenzierung sowie Regale voller Genproben ausgestellt. Auf kleinstem Raum dem Erbmaterial zahlreicher Individuen gegenüberzustehen, übersteigt das Vorstellungsvermögen der meisten Besucher, schafft eine unwirkliche Atmosphäre und ist doch gleichfalls wissenschaftliche Alltagssituation. Interessant ist die von Tarakhovsky untersuchte Frage, inwiefern Erfahrungen, bei denen Umweltfaktoren eine Genexpression bewirken, letztlich vererbt werden.

 

Eher spielerisch beschäftigen sich Künstler im Park der Karlsaue mit medizinischen Themen: Der Mexikaner Pedro Reyes lädt in ein hölzernes »Sanatorium« ein, in dem seine Studenten in Performances Therapiesituationen nachstellen, wobei sie sich den »behandelten« Besuchern von vornherein als medizinische Laien präsentieren. Die künstlerische Placebo-Therapie nimmt Bezug auf die angestiegene Zahl psychischer Erkrankungen und will Appell sein, positiver an das Leben heranzu-gehen.

 

Potenziell wirksam dagegen sind die giftigen oder Halluzinogen-haltigen Pflanzen, die der Künstler Pierre Huyghes in die Aue brachte. Fingerhut, Engelstrompete und Cannabis werden hier jedoch nicht verabreicht, symbolisieren vielmehr die Kraft der Natur. Und wohlmöglich verweisen sie auch darauf, dass Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel 1568 einen der ersten botanischen Gärten, inklusive eines Apothekergartens, auf der Fuldainsel angelegt hatte. /

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