Kassenärzte sind unbestechlich? |
26.06.2012 18:23 Uhr |
Von Daniel Rücker / Wenn Kassenärzte Zuwendungen von Pharmaunternehmen annehmen, dann mag das verwerflich sein, strafbar ist es nicht, entschied vergangene Woche der Bundesgerichtshof (BGH). Gleichzeitig stützte der BGH die Position der Freien Berufe.
Mit seinem Urteil hat sich der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes nicht nur Freunde gemacht: Wenn Kassenärzte Geschenke von Pharma-Unternehmen entgegennehmen, dann machen sie sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Niedergelassene Ärzte handelten weder als Amtsträger noch als Beauftragte der Krankenkassen, deshalb könnten sie auch nicht bestochen werden, hieß es in der Begründung der Entscheidung (Az. GSSt 2/11).
Freuen können sich über dieses Urteil neben den Ärzten auch die Pharma-Unternehmen und deren Mitarbeiter. Wenn Ärzte nicht bestechlich sein können, dann werden sie auch nicht bestochen. Auf diese Grundsatzentscheidung des BGH hatte das Gesundheitswesen seit Monaten gewartet.
Anlass für die BGH-Entscheidung war der Fall einer Pharmareferentin, die Kassenärzten Schecks in Höhe von insgesamt 18 000 Euro ausgestellt hatte. Die Schecks waren Prämien für ein von dem Pharmaunternehmen entwickeltes und als »Verordnungsmanagement« bezeichnetes Anreizsystem für Ärzte. Sie erhielten 5 Prozent des Herstellerabgabepreise pro verordnetes Arzneimittel. Die Pharmareferentin war zunächst wegen »Bestechung im geschäftlichen Verkehr« zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Entscheidend für das Urteil ist die Bewertung des Status der Ärzte. Diese seien nicht dafür da, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, heißt es in der Urteilsbegründung. Der freiberufliche Kassenarzt sei weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Der Versicherte wähle sich seinen Arzt selbst aus. Die Beziehung sei vor allem von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet.
Die BGH-Richter hatten offensichtlich schon geahnt, dass ihre Entscheidung nicht überall gut ankommt. In einer Presseerklärung zu dem Urteil stellen sie deshalb klar: »Der Große Senat hatte nur zu entscheiden, ob korruptives Verhalten von Kassenärzte und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist.« Es sei die Aufgabe des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig sei. Dazu müssten Straftatbestände geschaffen werden, die eine Ahndung möglich machten.
Kein Handlungsbedarf
In Aktionismus scheint die Bundesregierung nach dem Urteil allerdings nicht zu verfallen. Für die CSU erklärte der Gesundheitspolitiker Johannes Singhammer im »Handelsblatt«, es gebe keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Singhammer ist froh, dass der BGH die Freiberuflichkeit der Ärzte hervorgehoben hat. In der »Financial Times Deutschland« verweist ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf das ärztliche Berufsrecht, dass die Annahme von Geschenken verbiete. Anders sieht es SPD-Bundestagsabgeordneter Professor Karl Lauterbach. Er kündigte von seiner Partei einen Gesetzentwurf zur Korruption im Gesundheitswesen an.
Ärztevertreter begrüßen dagegen die Entscheidung des BGH, wonach niedergelassene Ärzte sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen, wenn sie Geschenke der Pharmaindustrie annehmen. »Wir begrüßen, dass der Bundesgerichtshof niedergelassene Ärzte weder als Amtsträger noch als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen ansieht«, sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler. Mit dem Urteil habe der BGH die Freiberuflichkeit gestärkt.
Ähnlich sieht es der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery: »Der Bundesgerichtshof betont in seinem Urteil zur Strafbarkeit von Kassenärzten wegen Bestechlichkeit zu Recht, dass der freiberuflich tätige Kassenarzt weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde ist. Der Bundesgerichtshof hebt damit auf die besondere, freiberufliche Stellung des Arztes ab.«
Auch beim Hartmannbund, dem Interessensverband der niedergelassenen Ärzte, zeigte man sich zufrieden. Ärzte seien keine Beauftragten der Krankenkassen und sie agierten auch nicht so, sagt der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt. Das Urteil sei ein Sieg für die ärztliche Freiberuflichkeit und für ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Jürgen Fedderwitz.
Kassen unzufrieden
Weniger erfreut reagierte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. »Der heutige Beschluss des Großen Strafsenats ist kein Freifahrtschein für niedergelassene Ärzte und Pharmareferenten, sondern ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen«, sagte Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbandes. /