Nicht gleich zu Antibiotika greifen |
16.06.2009 15:19 Uhr |
<typohead type="3">Infektionskrankheiten: Nicht gleich zu Antibiotika greifen
Die häufigsten Erreger von Infektionskrankheiten im Kindes- und Jugendalter sind Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae. Mittels potenter Konjugat-Impfstoffe können sie in Schach gehalten und zudem der Antibiotika-Verbrauch reduziert werden.
»Impfstoffe gegen bekapselte Erreger gehören zu den wichtigsten primärpräventiven Maßnahmen für Kinder und Jugendliche«, sagte Professor Dr. Reinhard Berner vom Uniklinikum Freiburg. Diese Keime, zu denen Meningokokken, Pneumokokken und Haemophilus influenzae Typ B (Hib) zählen, können bei Kleinkindern schwere invasive, potenziell lebensbedrohliche Infektionen auslösen. Zum Beispiel sind Pneumokokken in Deutschland jährlich für etwa 1300 Sepsisfälle, 50.000 Lungenentzündungen und mehrere 100.000 Mittelohrentzündungen bei Kindern verantwortlich. Meningokokken können lebensgefährliche Hirnhautentzündungen auslösen. Die meisten Erkrankungen treten im ersten bis fünften Lebensjahr sowie zwischen 15 und 24 Jahren auf.
Kleinkinder sind den Keimen ausgeliefert, denn gegen die Polysaccharidkapsel, die das Bakterium umgibt, kann das Immunsystem in den ersten beiden Lebensjahren noch keine wirksamen Antikörper bilden. Erst durch Kopplung der Polysaccharid-Antigene an Protein-Antigene ist es gelungen, gut wirksame Impfstoffe zu erzeugen. Eitrige Meningitis, Sepsis, Pneumonie, Otitis media und Epiglottitis sind durch die Impfungen deutlich zurückgegangen, berichtete der Kinderarzt. In den USA sank nach Einführung der Pneumokokken-Impfungen für Kleinkinder auch die Erkrankungsrate bei Senioren erheblich.
Die Verhinderung von Infektionskrankheiten hilft, Antibiotika einzusparen. Das ist angesichts zunehmender Antibiotika-Resistenzen dringend nötig, verdeutlichte Berner. Zahlen aus Europa zeigen, dass mit der Verordnungshäufigkeit auch die Resistenzen steigen.
Bei etlichen Krankheiten setzen Ärzte Antibiotika heute viel zurückhaltender ein, erklärte der Referent an Beispielen. »Nicht jede Pneumonie erfordert Antibiotika.« So gehe etwa die Hälfte der Pneumonien auf das Konto von Viren wie RSV, Parainfluenza und Influenza. Bei den bakteriellen Erregern dominieren Pneumokokken. Das bedeutet, dass sich der Arzt fragen müsse, ob Antibiotika überhaupt angebracht sind und wenn ja, welche.
Mittel der Wahl sind weltweit Ampicillin intravenös (100 mg/kg KG/Tag) oder Amoxicillin peroral (60 bis 80 mg/kg KG/Tag). Die Therapie sollte fünf bis sieben, selten zehn Tage dauern. Cephalosporine, Penicilline plus Betalactamase-Hemmer, Doxycyclin oder Makrolide seien Mittel zweiter Wahl.
Schwere Haut- und Weichteilinfektionen gehen meist auf Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes zurück. Häufigste Ursache für invasive Streptokokken-Infektionen seien aufgekratzte Pusteln bei Windpocken, die den Bakterien eine Eintrittspforte bieten, erklärte der Kinderarzt. MRSA (multiresistente Staphylococcus aureus) seien in Deutschland bei Kindern glücklicherweise noch nicht verbreitet. Furunkel und Abszesse an der Oberlippe sind sehr bedrohlich, da die Erreger zu den Hirnhäuten aufsteigen können. Therapiert wird intravenös mit Cefuroxim oder Flucloxacillin oder peroral mit Cefadroxil, Cefuroxim oder anderen Wirkstoffen.
Bei Angina tonsillaris sind die Therapieempfehlungen derzeit in Überarbeitung. Häufigste Erreger sind Viren, seltener kommt Streptococcus pyogenes vor. Schwellung und Beläge auf den Tonsillen, geschwollene Lymphknoten und Fieber bei Kindern ab zwei Jahren könnten auf A-Streptokokken hindeuten. Berner forderte einen Rachenabstrich und die Anlage einer Kultur zum Erregernachweis. Schnelltests hätten eine hohe Spezifität, aber eine schlechte Sensitivität. Penicillin V gilt als Mittel der Wahl.
Auch bei akuter Otitis media werden Antibiotika heute zurückhaltend eingesetzt unter sorgfältiger Beobachtung des Kindes. Bei Kindern über zwei Jahren, die nicht schwer krank wirken, sind zunächst Analgetika und abschwellende Nasentropfen angebracht. Tritt nach 48 Stunden keine Besserung ein, kommen Antibiotika zum Zuge. Bei jüngeren Kindern soll man nur 24 Stunden abwarten, sagte Berner. Erste Wahl ist Amoxicillin 40 bis 60 mg/kg KG/Tag, das in drei Einzeldosen gegeben wird. Zusätzlich sollten die Kinder sehr viel trinken.