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Geschlechtsspezifische Medizin

XY ungelöst

12.06.2012  17:16 Uhr

Männer sind anders, Frauen auch. Dieses Zitat von John Gray lässt sich auch auf die Medizin übertragen. Allerdings spielt der »kleine Unterschied« zwischen den Geschlechtern in der Pharmakotherapie immer noch eine unterschätzte Rolle. Wichtige und wissenswerte Unterschiede zwischen XX und XY in Sachen Medizin und Pharmazie stellte Professor Dr. Oliver Werz vor.

Der Apotheker informierte, dass bestimmte Krankheiten vermehrt bei Frauen, andere häufiger bei Männern auftreten. So leiden eher Frauen an Osteoporose, Morbus Alzheimer und vielen Autoimmunerkrankungen. Männer sind dagegen häufiger von kardiovaskulären Erkrankungen, Nierenkrebs und Morbus Bechterew betroffen. »Der typische Schmerzpatient ist älter als 55 Jahre und weiblich, das typische Forschungsobjekt ist aber eine acht Wochen alte männliche Maus«, machte Werz darauf aufmerksam, dass sich die biomedizinische Forschung – ungeachtet der geschlechtsspezifischen Inzidenz bestimmter Erkrankungen – auf den männlichen Organismus konzentriert.

Werz kritisierte, dass Untersuchungen heute immer noch vor allem mit männlichen Versuchstieren stattfinden und Frauen in klinischen Studien deutlich unterrepräsentiert sind. Zudem sei ungünstig, dass Ärzte in der Praxis, zum Beispiel bei Fragen der Dosierung, meist nicht unterscheiden, ob sie eine Frau oder einen Mann behandeln. Das sollten sie aber tun. Denn sowohl unter pharmakokinetischen, als auch unter pharmakodynamischen Aspekten ticken Mann und Frau an manchen Stellen anders. So sprechen Frauen zum Beispiel stärker auf Neuroleptika und Insulin an, während ACE-Hemmer und Propofol bei Männern wirksamer sind.

 

Die pharmakokinetischen Unterschiede beginnen bereits bei der Resorption. Denn der pH-Wert des Magensaftes liegt bei Frauen um etwa 0,5 Einheiten höher. Das bedingt eine veränderte Löslichkeit von Wirkstoffen. Auch bei der Verteilung ergeben sich, etwa durch ein anderes Körpergewicht und einen oftmals höheren Körperfettanteil, Unterschiede. Eine Folge: Frauen sind bei Benzodiazepinen stärker von Hang-over betroffen als Männer. Signifikante Unterschiede gibt es Werz zufolge beim Metabolismus von Arzneistoffen. Außer bei dem Enzym CYP2C9 gebe es bei allen CYP-Enzymen Unterschiede. So ist CYP3A4 bei Frauen aktiver, CYP2D6 und CYP1A2 bei Männern. Aber nicht nur die Phase-I-Reaktionen, sondern auch die Phase-II-Reaktionen sind davon betroffen. Diese laufen Werz zufolge bei Männern in der Regel schneller ab. Auch in Fragen der Elimination geht es bei Männern zügiger. Die glomeruläre Filtrationsrate ist bei Frauen circa 10 Prozent niedriger, sodass die renale Ausscheidung, zum Beispiel von Digoxin, langsamer abläuft.

 

Werz erklärte, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Frauen wesentlich häufiger auftreten. In den USA erfolgten acht von zehn Marktrücknahmen aufgrund von Nebenwirkungen bei Frauen.

 

Worin liegen die Ursachen der geschlechtsspezifischen Unterschiede? XY ungelöst, könnte man sagen. Denn Werz zufolge ist vieles noch unklar. Wahrscheinlich sei aber, dass viele Unterschiede mit der ungleichen Paarung der Geschlechtschromosomen zusammenhängen und daher genetischer Natur sind. Hinzu kämen aber auch der Einfluss der Sexualhormone und soziokulturelle Faktoren wie Lebensstil und Ernährung.

 

Vielerorts steckt die Forschung im Bereich der geschlechtsspezifischen Medizin noch in den Kinderschuhen. Das ist aber nicht überall so. Werz stellte ein Beispiel für geschlechtsspezifische Medizin aus seinem Arbeitskreis vor. Entzündliche und allergische Erkrankungen, die durch Leukotriene (LT) hervorgerufen werden, etwa Asthma, allergische Rhinitis und rheumatoide Arthritis, kommen bei Frauen deutlich häufiger vor. Blut beziehungsweise Leukozyten von Frauen bilden deutlich mehr LT. Verantwortlich dafür ist das männliche Sexualhormon Testosteron. Das konnten Wissenschaftler im Arbeitskreis von Werz in vitro und in einem In-vivo-Tiermodell nachweisen. Da­raus leiteten sie die Hypothese ab, dass LT in der Pathophysiologie des Mannes eine nur untergeordnete Rolle spielen. Werz erinnerte daran, dass in der Anti-LT-Forschung viele potenzielle Arzneistoffkandidaten gescheitert sind. Möglich, dass dem so war, weil die Forscher ihre Untersuchungen mit männlichen Versuchstieren gemacht hatten. Werz zufolge muss das Geschlecht der Versuchstiere bei der Forschung mit Anti-LT-Wirkstoffen unbedingt berücksichtigt werden. Vielleicht sollte sich die Anti-LT-Forschung daher auf das weib­liche Geschlecht konzentrieren.

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