Brückenschlag über Gräben |
14.06.2011 16:17 Uhr |
Von Uta Grossmann, Berlin / Birgit Fischer ist seit Mai Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Als Brückenbauerin und Netzwerkerin möchte sie die verschiedenen Interessengruppen im Gesundheitswesen aus ihren tiefen Gräben herausholen und ins Gespräch miteinander bringen.
Ehrgeiz wird Birgit Fischer brauchen für ihre neue Aufgabe. Und Durchhaltevermögen. Man darf annehmen, dass sie über beides verfügt. Wie ihre berühmte Namensvetterin, die damit olympisches Gold im Kanurennsport geholt hat. Die Hauptgeschäftsführerin des mächtigsten Verbands der Pharma-Lobby sieht die größte Herausforderung des Jobs darin, von der verbreiteten konfrontativen Haltung der Player im Gesundheitswesen zu einer stärkeren Kooperation zu kommen. Das sei »bei den tiefen Gräben wie Stabhochsprung«, sagt sie, die selbst Sport vor allem als Ausgleich zur beruflichen Belastung betreibt.
Um bei unterschiedlichen Interessen gemeinsame Lösungen zu erreichen, müsse sie zunächst »Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Akteuren schaffen«. Das werde vermutlich eine »Sisyphusarbeit mit gelegentlichen Durchbrüchen« werden, ahnt sie.
Birgit Fischer ist 57 Jahre alt, verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Sie studierte Erziehungswissenschaften und hat zunächst in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Vier Jahre lang war sie Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bochum. Seit 1981 ist Fischer Mitglied der SPD. 1991 wurde sie Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Von 1998 bis 2005 war sie Gesundheitsministerin des Landes.
Ausstieg aus dem SPD-Vorstand
Mitglied des Parteivorstands der Bundes-SPD ist Fischer seit 2001. Im November sind Neuwahlen, da will sie nicht mehr kandidieren. Auf die Frage, ob eine Rückkehr in die sozialdemokratische Politik für jemanden möglich sei, der sich einmal auf die Seite der Pharmaindustrie geschlagen hat, antwortet sie, eine solche Rückkehr stehe nicht zur Debatte. Sie wolle die Kompetenzen, die sie in ihren vorherigen Aufgaben in der Politik und bei der Barmer GEK erworben habe, nun in die Arbeit beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) einbringen.
Manche nannten sie eine Verräterin
2007 wurde Fischer stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse. Seit Anfang 2010 war sie Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, der nach der Fusion von Barmer und Gmünder Ersatzkasse größten Krankenkasse Deutschlands. Schon der Wechsel von der Politik an die Spitze der Kasse sorgte für Wirbel. Als Birgit Fischer nun zum 1. Mai 2011 Hauptgeschäftsführerin des VFA wurde, brachte ihr das böse Kommentare von Politikern und einen Eintrag bei Lobbypedia ein. Das ist die Internetsite des Vereins Lobby Control, dessen Ziel es ist, über offene und verdeckte Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit zu informieren.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Dr. Martina Bunge, nannte Fischers Wechsel von der Spitze der größten Krankenkasse auf den Stuhl der Hauptgeschäftsführerin des Pharmaindustrieverbandes im »Tagesspiegel« »moralisch unanständig, sozialpolitisch pervers und Verrat an den Versicherten«. Jens Spahn, Bunges Kollege in der CDU/CSU-Fraktion, sagte der »Financial Times Deutschland«: »Das ist für einen Sozialdemokraten doch in etwa so, als würde ein Grüner zur Atomlobby wechseln.«
Fischer kontert die Anwürfe gelassen: »Für mich ist das kein Seitenwechsel, denn ich gebe ja meine Überzeugungen nicht auf.« Sie sehe die Pharmaindustrie »nicht mit einem Heiligenschein« und habe auch manches Feindbild im Kopf gehabt. Das »Feindbild Pharmaindustrie« sei aber ungerechtfertigt, denn kein anderer Industriebereich sei so nah am Menschen wie die Entwickler und Hersteller von Arzneimitteln.
Patientensicht als Messlatte
Sie habe festgestellt, dass vieles im Fluss sei und es den Willen zur Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses gebe, sagt Fischer. Durch die Möglichkeit der Verhandlung zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen, durch neue Konzepte der integrierten Versorgung öffneten sich Wege zur Veränderung. Die bisherige »ausgeprägte Misstrauenskultur« im Gesundheitswesen breche langsam auf, der Wille zur Selbstkritik und zu mehr Transparenz sei da.
Es sei notwendig, ein gemeinsames Verständnis für eine gute Patientenversorgung zu entwickeln. Lösungen müssten nicht mehr nur für einzelne Bereiche, sondern übergreifend gefunden werden. »Ich empfehle allen Beteiligten dringend, die Patientensicht einzunehmen.«
Die besondere Bedeutung der Apotheker im deutschen Gesundheitswesen sieht sie vor allem bei der Arzneimittelsicherheit, der Therapietreue und der Beratung multimorbider Menschen und chronisch Kranker.
Fischer geht optimistisch an die Aufgabe beim VFA heran und mit dem festen Glauben, dass diese trotz der zu erwartenden Widerstände gelingen kann. »Glaube«, sagt sie, bedeutet für sie persönlich vor allem, eine »Grundpeilung« der eigenen Werte zu haben. Fischer sitzt im Präsidium des Evangelischen Kirchentages. Anfang Juni war sie beim Kirchentag in Dresden und »tief beeindruckt« von der Stimmung und dem Engagement der vielen Ehrenamtlichen dort. /