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Nanomedizin

Potenzial besser nutzen

Datum 06.06.2017  14:49 Uhr

Von Annette Mende, Stockholm / Die Nanotechnologie könnte künftig noch gezielter eingesetzt werden, um den Nutzen einer Therapie für den Patienten zu optimieren und die Nebenwirkungen zu reduzieren. Drug Targeting, also die Anreicherung des Arzneistoffs am Wirkort, ist dabei nur ein Aspekt.

Das Prinzip, Wirkstoffe mithilfe eines Carriers gezielt an ihren Bestimmungsort zu bringen, klingt verlockend, ist aber komplizierter als gedacht. Denn was in der Theorie überzeugt, funktioniert in der Praxis oftmals nicht oder nur unzureichend – zu vielfältig sind die möglichen Störfaktoren bei der Anwendung nanomedizinischer Wirkstoffformulierungen in vivo.

 

Diese Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass beispielsweise in der Onkologie trotz immenser Forschungs­investitionen bislang nur wenige Nanoformulierungen zur Marktreife gelangten. 2013 nannte ein Übersichtsartikel im Fachjournal »Advanced Drug Delivery Reviews« (DOI: 10.1016/j.addr.2012. 09.038) lediglich eine Handvoll Präpa­rate, darunter liposomales Doxorubicin (Myocet®), PEG-beschichtetes liposomales Doxorubicin (Caelyx®), Mifamurtid (Mepact®) und verzögert freigesetztes Cytarabin (Depocyt®).

 

Dass bislang nur so wenige Präparate reüssierten, liegt vor allem daran, dass Nanopartikel die Wirkstoffanreicherung im Tumor nur begrenzt verbessern können. Im vergangenen Jahr zogen Wissenschaftler um Stefan Wilhelm von der University of Toronto in Kanada im Fachjournal »Nature Reviews Materials« ein ernüchterndes Fazit: Im Durchschnitt erreichen nur 0,7 Prozent des an Nanopartikel gebundenen Wirkstoffs den Tumor (DOI: 10.1038/natrevmats.2016.14). Im selben Jahr meldete die auf die Entwicklung von tumorspezifischen Nanopartikeln spezialisierte US-Firma Bind Therapeutics nach enttäuschenden Studienergebnissen eines ihrer Hoffnungsträger Insolvenz an.

 

Herbe Rückschläge

 

»2016 war das annus horribilis der Nano­medizin«, sagte Professor Dr. Twan Lammers von der Universitätsklinik Aachen beim Weltkongress der Pharmazeutischen Wissenschaften der Weltapothekerorganisation FIP in Stockholm. Doch statt sich von der großen Sinnkrise der Branche entmutigen zu lassen, erinnerte er zusammen mit einigen anderen Experten auf dem Gebiet ebenfalls in »Nature Reviews Materials« an das Ziel der Forschung: den größtmöglichen Nutzen für den Patienten (DOI: 10.1038/natrevmats. 2016.69). Diesem könne man durchaus mit Nanotechnologie näher kommen – wenn man sie richtig einsetzt.

 

Ein Prinzip, das sich die Nanoonko­logie zunutze macht, ist der sogenannte Enhanced Permeability and Retention (EPR)-Effekt (lesen Sie dazu auch Sicherheitsdiskussion: Nano ist nicht gleich Nano). Er bedeutet, dass sich Nano­partikel verstärkt in soliden Tumoren anreichern, weil die Gefäßauskleidung dort, anders als in gesundem Gewebe, Lücken hat, durch die die Nano­partikel hindurchschlüpfen können. Liposomales Doxorubicin etwa zirkuliert sehr viel länger im Blut als freier Wirkstoff; die Liposomen passieren dadurch sehr viel häufiger auch das Tumorgewebe und können dort die löchrigen Gefäße verlassen.

 

»Unglücklicherweise bleiben die Nanopartikel aber oft dort liegen, wo sie das Blutgefäß verlassen haben, penetrieren also nicht weiter ins Tumorgewebe«, sagte Lammers. Zudem bestünden beim EPR-Effekt große inter- und intraindividuelle Unterschiede: Bei manchen Patienten sei er sehr ausgeprägt, bei anderen kaum vorhanden. Und auch innerhalb ein und desselben Tumors seien manche Gefäße durchlässiger als andere. »Wir müssen herausfinden, wovon das abhängt«, sagte Lammers. Wahrscheinlich gebe es eine genetische Komponente. Viele Nanovehikel, die in Tests enttäuschend abgeschnitten haben, seien vermutlich schon sehr gut, würden aber bislang nicht ideal eingesetzt.

 

Sonoporation öffnet Tight Junctions

 

Eine Möglichkeit zur Verbesserung des EPR-Effekts sieht Lammers in der sogenannten Sonoporation, bei der das kranke Gewebe, in das der Wirkstoff penetrieren soll, fokussiertem Ultraschall ausgesetzt wird. Dem Patienten werden zuvor sogenannte Mikrobläschen (microbubbles) infundiert. Diese bestehen aus einer 10 bis 100 nm dicken Lipid-, Polymer- oder Proteinschicht, die einen Kern aus einem wasserunlöslichen Gas umschließt. Durch den Ultraschall werden die Mikrobläschen gezielt an der gewünschten Stelle im Körper in starke Schwingung versetzt und platzen schließlich. Dadurch werden die Tight Junctions im Gefäß­endothel, aber auch die Zellmembranen selbst vorübergehend durchlässig gemacht. Der Wirkstoff kann dabei in die Mikrobläschen verpackt werden, muss es aber nicht. Man kann auch den Wirkstoff und eine Mikrobläschen-haltige Lösung, etwa das Ultraschall-Kontrastmittel Sonovue®, gemeinsam verabreichen.

 

In einer im vergangenen Jahr im »Journal of Controlled Release« erschienenen Arbeit konnte Lammers mit seiner Arbeitsgruppe zeigen, dass die Sonoporation im Tierversuch die Akkumulation und Penetration von Lipo­somen in Tumoren mit niedrigem EPR-Effekt steigert (DOI: 10.1016/j.jconrel. 2016.02.021). Auch eine Pilotstudie mit zehn Patienten mit inoperablem Pankreaskrebs verlief positiv: Verglichen mit der Standard-Chemotherapie mit Gemcitabin erhöhte die Kombination aus Gemcitabin plus Sonoporation die Verträglichkeit, das Ansprechen und das mediane Überleben, ohne verstärkte Nebenwirkungen zu induzieren (»Journal of Controlled Release« 2016, DOI: 10.1016/j.jconrel.2016.10.007). »Die Autoren hatten Schwierigkeiten, die Arbeit zu publizieren, weil die Ergebnisse fast schon zu gut waren«, berichtete Lammers. Eine Einschränkung sei allerdings gewesen, dass es keine direkte Kontrollgruppe gab; als Vergleich dienten die Daten von Patienten, die außerhalb der Studie mit Gemcitabin behandelt worden waren.

 

Weg ins ZNS

 

»Die Sonoporation eignet sich auch, um etwa bei Hirntumoren Zytostatika ins ZNS zu transportieren«, sagte Lammers. Denn die Blut-Hirn-Schranke, die normalerweise für die meisten Wirkstoffe undurchlässig ist, lässt sich mittels Sonoporation gezielt öffnen, wie er zusammen mit Kollegen 2014 in »Advanced Functional Materials« zeigen konnte (DOI: 10.1002/adfm.201401199). Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet seien chronische Entzündungen wie rheumatoide Arthritis und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, bei denen die Mikrobläschen nicht mit Zyto­statika, sondern mit Corticostero­iden kombiniert werden. Durch die Anreicherung im Entzündungsherd lasse sich die Steroiddosis und somit auch die Nebenwirkungsrate senken, so Lammers. /

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