Pharmazeutische Zeitung online
Piraten im Interview

Wir brauchen die Krankenkassen nicht

04.06.2012  20:06 Uhr

Von Sarah Lena Grahn, Berlin / Die Piraten erobern ein Landesparlament nach dem anderen. Im kommenden Jahr wollen sie in den Bundestag einziehen, auch eine Regierungsbeteiligung schließen sie nicht mehr aus. In vielen Bereichen mangelt es jedoch noch an Inhalten – so auch in der Gesundheitspolitik. Das soll sich ändern. Die PZ sprach mit dem Koordinator des so­genannten Squads Gesundheit im Landesverband Berlin, Olav Witte, und Mitglied Frank Thiesen über die gesundheits­politischen Vorstellungen der Gruppe.

PZ: Das Squad Gesundheit der Berliner Piraten arbeitet an einem gesundheitspolitischen Grundsatzprogramm, das auf dem Bundesparteitag im November zur Abstimmung gestellt werden soll. Parallel versucht auf Bundesebene aber auch die Arbeitsgemeinschaft Gesundheit, Positionen zu finden. Warum diese unterschiedlichen Baustellen?

Witte: Zunächst mal sind alle Piraten gleich. Das bedeutet, dass keine Arbeitsgruppe mehr Kompetenz hat als eine andere. Die AG Gesundheit arbeitet bundesweit, ist aber im Grunde auch nur ein lockerer Zusammenschluss von gesundheitsinteressierten Leuten, so wie unser Squad. Auch die AG kann auf dem Programmparteitag Anträge einbringen.

 

Thiesen: Wir in Berlin treffen uns im realen Leben. Die AG Gesundheit, in der Piraten aus allen Bundesländern vertreten sind, nutzt Mumble – schaltet sich also quasi via Internet zu Telefonkonferenzen zusammen. Bei 30 bis 40 Teilnehmern geht es da teilweise chaotisch zu.

 

Witte: Hinzu kommt, dass die AG relativ zerstritten ist. Auf der einen Seite haben sich die sogenannten Reformer positioniert, die das bestehende Gesundheitssystem zwar verändern, aber in den Grundzügen erhalten wollen. Die »Solidarier« hingegen wollen das System komplett abschaffen. Wir Berliner haben einen ganz anderen Vorschlag.

 

PZ: Wie sieht Ihr Vorschlag aus?

 

Thiesen: Ein leistungsfähiges und gerechtes System muss auf einer soliden finanziellen Grundlage stehen. Wir setzen uns daher für ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen ein. Diesen Ansatz vertritt bislang noch keine andere Partei. SPD, Grüne und auch Linke haben sich für die Bürgerversicherung ausgesprochen und wollen das derzeit bestehende System der Gesetzlichen Krankenversicherung beibehalten. Das lehnen wir ab.

 

Witte: Es soll keinen Gesundheitstopf mehr geben. Jeder Einzelne zahlt Steuern anstelle von Krankenversicherungsbeiträgen. Wie hoch diese Summe am Ende sein wird, hängt vom Bedarf ab und davon, was eine Grundversorgung alles wird leisten müssen. Im Grunde ist es simpel: Innerhalb des Gesundheitshaushalts soll es eine Summe x geben, aus der die Leistungen finanziert werden. Was am Ende des Jahres an Steuern übrig bleibt, wird zurückgezahlt. Das ist gerecht und solidarisch.

 

PZ: Wird es sich die Solidargemeinschaft leisten können, ein solches System zu tragen?

 

Thiesen: Aber ja. Es ist derzeit so viel Geld im Umlauf, das nicht effizient genutzt wird. Viele Mittel werden für parallel verlaufende Verwaltungsvorgänge vergeudet oder für interessengebundene Leistungen.

 

PZ: Wer soll denn die »Gesundheitssteuern« verwalten und schließlich verteilen?

Thiesen: Zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium. Das wäre eine Möglichkeit.

 

Witte: Den Gesundheitsfonds verwaltet derzeit ja das Bundesversicherungsamt. Vielleicht könnte man das dann ausbauen. Das aber sind Details, die wir uns noch nicht überlegt haben, weil wir erst mal die Grundrichtung festlegen wollen.

 

PZ: Welche Aufgabe bleibt den Krankenkassen? Sind sie dann nicht unnötig?

 

Thiesen: Genau.

 

PZ: Das heißt, sie wollen die Gesetzliche Krankenversicherung abschaffen?

 

Witte: Abschaffen klingt zu krass. Man könnte eine Kasse umwandeln, sagen wir in eine »Verteilungsinstitution«. Ja, die Aufgabe der Steuerverteilung könnte auch eine Krankenkasse übernehmen. Wer Leistungen über die Grundversorgung hinaus beanspruchen möchte, sollte sich an eine private Versicherung wenden. Zu diesem Zweck könnten die privaten Krankenversicherer bestehen bleiben, müssten aber viel gerechter strukturiert werden. Derzeit zahlen Frauen höhere Beiträge als Männer.

 

Thiesen: Kassen oder auch Regierung sollten aber nicht entscheiden, was unter die durch Steuern finanzierte Grundversorgung fällt. Das müsste eine unabhängige Institution übernehmen. Da sind wir uns aber noch nicht einig. Wir wollen lediglich Stellschrauben vorgeben für ein sozial gerechtes Gesundheitssystem. Ziel ist, dass der Einfluss der Politik und der Lobbyisten schwindet.

 

PZ: Schätzen Sie ihre Positionen als realitätsnah ein?

 

Witte: Wir werden das Gesundheitssystem nicht von heute auf morgen umkrempeln können. Aber überlegen Sie mal, die Krankenkassen sind einem gnadenlosen Konkurrenzkampf ausgesetzt. Durch den Wettbewerbsdruck sind ganze Kassen weggebrochen, weil sie pleite waren. Das ist unfair, den Mitarbeitern und Kunden gegenüber. Wir wollen das System langsam verändern. Das werden wir schaffen.

 

Thiesen: Wir arbeiten ja auch noch an unseren Positionen. Bis zum Bundesparteitag im November wird noch viel kommen. Noch kennen wir uns ja erst seit einem halben Jahr.

 

PZ: Im Entwurf Ihres Grundsatzprogramms fordern Sie einen Paradigmenwechsel im deutschen Gesundheitswesen. Was läuft denn grundlegend schief?

 

Witte: Das vorherrschende Menschenbild der Medizin ist cartesianisch geprägt. Der Mensch ist aber keine Maschine, an der Ersatzteile repariert werden. Wir setzen daher auf Vorsorge statt Heilung. Gut, die Krankenkassen haben auch diverse Präventionsprogramme und jeder, der genug Stempelchen gemacht hat, kann mal ein Strandhandtuch gewinnen. Das meinen wir natürlich nicht. Wir wollen erreichen, das der Einzelne gesünder lebt. Das würde auch das Gesundheitssystem entlasten.

 

PZ: Haben Sie sich bereits mit apothekerspezifischen Fragen auseinandergesetzt?

 

Thiesen: Nein. Wir werden uns im Squad in den kommenden Wochen mit den Themen Pharmazie und Forschung befassen. Bislang klären wir noch Grundlegendes. / 

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