Gefährliche Medikation im Altenheim |
27.05.2008 16:42 Uhr |
<typohead type="3">Geriatrische Patienten: Gefährliche Medikation im Altenheim
Arzneimittelbezogene Probleme treten bei Senioren und Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen viel häufiger auf als gemeinhin vermutet. 1995 zeigte die Berliner Altersstudie, dass 53 Prozent der betagten Frauen mit Arzneimitteln unter-, über- oder fehlversorgt waren.
Diese Zahl nannte Apotheker Frank Hanke, Geschäftsführer der Gero PharmCare GmbH, Köln. Im Rahmen des OPAL-Projekts erfassen Apotheker in Altenheimen arzneimittelbedingte Risiken. Das Projekt »Optimierte Arzneimittelversorgung im Alter« ist ein multidisziplinäres, von wissenschaftlichen Instituten und sozialen Verbänden begleitetes Arzneimittelversorgungsmodell, in dem die geriatrische Pharmazie eine entscheidende Rolle spielt, berichtete Hanke.
Die Apotheker betreuten 168 Bewohner in zwei nordrhein-westfälischen Heimen über 16 Monate. Mehr als die Hälfte der Senioren bekam mehr als sechs Dauermedikamente. Bei 77 Prozent traten arzneimittelbezogene Probleme (ABP) auf. Zu den schwersten gehörten zentralnervöse und gastrointestinale Störungen sowie Stürze. Etwa die Hälfte der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) war vermeidbar. »Die schwersten UAW sind am ehesten vermeidbar«, stellte der Referent fest. Grundsätzlich sollten ältere Menschen so wenig Medikamente wie möglich, aber so viel wie nötig bekommen, denn sie erleiden häufiger UAW und mit der Zahl der Medikamente steigt deren Risiko drastisch an. Demenzkranke Menschen und ältere untergewichtige Frauen sind besonders gefährdet.
UAW haben gravierende Folgen für den Senior und die Gesellschaft, sagte Hanke. Pro 100 Heimbewohner würden statistisch gesehen zwei bis drei pflegebedürftig, die Arbeitszeit einer Pflegekraft werde von betroffenen Senioren beansprucht und Risikopersonen kämen etwa 50 Tage pro Jahr wegen vermeidbarer UAW ins Krankenhaus.
Hanke trat nachdrücklich für mehr Sicherheit in den Heimen ein. Diese beruhe auf drei Säulen: patientenindividuelle Therapie, Kompetenzsteigerung durch Fort- und Weiterbildung und Qualitätssicherung der Versorgungsabläufe. In Heimen solle eine neue Präventions- und Fehlerkultur geschaffen werden. Apotheker könnten hier wesentlich mehr Verantwortung übernehmen. Die neue Weiterbildung zum »Apotheker/Fachapotheker für geriatrische Pharmazie« vermittle das nötige strukturierte Wissen für diese Aufgabe. Dieses Gebiet sei eine Ausprägung der klinischen Pharmazie und vereine Elemente der Gerontologie, Geriatrie und klinischen Pharmazie, erklärte Hanke. Ziel ist es, Medikations-sicherheit, -effektivität und -rationalität zu steigern.
Der Apotheker nannte ein Beispiel aus dem OPAL-Projekt. Bei 90 Bewohnern eines Heims fanden die Apotheker 56 Dispensierfehler, die beim Stellen der individuellen Medikation auf Station entstanden waren. Zum Beispiel fehlte ein Mittel oder ein falsches war in den Dispenser eingefüllt oder eine Arzneiform war schlecht geteilt. Übernahm der Apotheker das Stellen der Medikation, ging die Fehlerzahl sofort um 90 Prozent zurück. Zudem wurden Schulungen für die Pflegekräfte erarbeitet. Mit verblüffendem Erfolg, wie Hanke berichtete: Eine 15- bis 20-minütige Schulung, zum Beispiel zum korrekten Tablettenteilen, sowie organisatorische Verbesserungen reduzierten die Fehlerzahl nachhaltig um 63 Prozent.
Ob in der Offizinapotheke, im Krankenhaus oder Altenheim: Apotheker sollten auf die Top Ten der risikoreichsten ABP achten, empfahl Hanke. Dazu zählte er
Sturzrisiko durch Psychopharmaka oder Antihypertensiva,
gastrointestinale Blutungen durch nicht-steroidale Antirheumatika oder Phenprocoumon,
Appetitlosigkeit, Verstopfung und Übelkeit als UAW,
Schwindel und Übelkeit durch Multimedikation,
Toxizität durch Herzglykoside,
Verwirrtheit infolge anticholinerg wirksamer Arzneimittel,
allergische Reaktionen auf Antibiotika,
Benommenheit durch Psychopharmaka,
Fehlen einer adäquaten Schmerztherapie und/oder Analgesie,
Patient kann sein Arzneimittel nicht richtig anwenden.