Vorbereitungen auf die Pandemie |
30.05.2006 15:10 Uhr |
<typohead type="3">Vorbereitungen auf die Pandemie
Die Aufregung um eine möglicherweise bevorstehende Vogelgrippe-Pandemie ist mittlerweile stark abgeklungen. Doch es lohne sich trotzdem, sich auf den Ernstfall vorzubereiten, erklärte Professor Dr. Theo Dingermann vom Biozentrum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Zu einer Pandemie könnte es kommen, wenn der Erreger der Vogelgrippe, das Influenza-A-Virus H5N1, die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch erlangt. Hierzu könnten zwei Dinge beitragen: Zum einen besitzt der Erreger ein RNA-Genom, das bei der Replikation eine hohe Fehlerrate hat. Dadurch ist das Virus stark variabel. Durch eine langsame, aber stetige Veränderung (antigenic drift) könnte es sich an den Menschen anpassen. Zum anderen ist das Genom segmentiert, das heißt die genetische Information ist auf acht Segmente verteilt. »Wenn sich zwei verschiedene Influenza-Viren in der selben Zelle vermehren, können durch Reassortment Mischviren entstehen, die völlig neue pathologische Eigenschaften haben«, erklärte Dingermann. Durch diesen »antigenic drift« seien die Influenzaviren entstanden, die die Pandemien von 1957 und 1968 verursachten. »Die Spanische Grippe« von 1918, die fast 50 Millionen Menschen weltweit das Leben kostete, wurde dagegen durch ein Entenvirus ausgelöst, das sich durch eine Reihe von Mutationen an den Menschen anpasste. Nach Expertenberechnungen könnte eine H5N1-Pandemie allein in Deutschland zu 200.000 bis 600.000 Hospitalisierungen und bis zu 160.000 Todesfällen führen. »Der Erreger hat eine enorme Pathogenität«, sagte Dingermann. Von bislang 218 Erkrankten, sind laut WHO-Angaben 124 gestorben.
Als wirksame Medikamente stehen im Ernstfall Zanamivir und Oseltamivir zur Verfügung. Die Neuraminidase-Hemmer verhindern den Wiederaustritt der neu entstandenen Viren aus der Wirtszelle und hemmen somit zwar nicht die Infektion, aber die Erkrankung. Oseltamivir verkürzte in Studien die Krankheitsdauer um ein bis zwei Tage, berichtete Dingermann. »Neuraminidase-Hemmer sind zwar wirksam, aber nicht beeindruckend wirksam.« Es seien außerdem bei den wenigen bisher behandelten Patienten schon Resistenzen aufgetreten.
»Die Lösung im Fall einer Pandemie wird eine effektive Impfung sein«, sagte Dingermann. Doch die gesamte Produktion basiere im Augenblick auf der Virusgewinnung aus bebrüteten Hühnereiern, was ein schwieriges und langsames Verfahren ist. Außerdem sei das H5N1-Virus so pathogen, dass es das Embryo im Ei abtöte und somit eine ausreichende Antigenproduktion verhindere. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen, sei, das Virus durch gentechnische Verfahren abzuschwächen und diesen attenuierten Erreger als Saatvirus zu verwenden. Ein erster Impfstoff gegen H5N1 sei bereits zugelassen. »Er hilft zwar nicht gegen ein möglicherweise auftretendes Pandemievirus, aber er ist zugelassen.«
Die Lektüre des nationalen Pandemieplans legte Dingermann allen Pharmazeuten ans Herz. Der Plan enthält Maßnahmen, die im Fall einer Pandemie die Morbidität und Mortalität der deutschen Bevölkerung gering halten sollen. Außerdem sollen sie helfen, die medizinische Versorgung von Infizierten sicherzustellen sowie die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Konkrete Entscheidungen, nach welchen Prioritäten zum Beispiel der knappe Impfstoffvorrat im Pandemiefall aufgeteilt würde, liefere der nationale Pandemieplan aber nicht, kritisierte Dingermann. Das eigentliche Problem würde in der Aufregung um die Vogelgrippe aber übersehen: die humane Influenza. Im Winter 2004/2005 starben allein in Deutschland etwa 20.000 Menschen an Grippe, obwohl effektive Impfstoffe existieren. Die Durchimpfungsraten der Risikogruppen seien ausgesprochen gering, vor allem in Westdeutschland, berichtete der Referent. Während im Osten 55 Prozent des medizinischen Personals immunisiert ist, sind dies im Westen nur 13 Prozent. »Das ist ein Skandal.«