Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen |
30.05.2006 15:09 Uhr |
<typohead type="3">Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen
Finanziell begrenzte Mittel zwingen im Gesundheitswesen zum Nachdenken über Kriterien für eine gerechte Leistungsverteilung. Lösungsansätze könnten Priorisierungsansätze oder das so genannte QALY-Konzept sein, ein objektivierendes Messverfahren der Lebensqualität.
Modernisierungsdruck, Europäisierung und Globalisierung sowie wirtschaftliche und soziale Umwälzungen zwingen zu einer Umgestaltung des Gesundheitswesens. Dabei stehe die Bundesrepublik Deutschland noch am Anfang der Diskussion, so Dr. Andrea Dörries vom Zentrum für Gesundheitspolitik in Hannover. Zurzeit herrsche noch Ratlosigkeit, wie ein zukunftsfähiges System aufgebaut werden könne, in dem es gerecht zugehe. Als ein ethisches Prinzip nannte Dörries den Grundanspruch auf Gerechtigkeit, wobei eine Gleichbehandlung bei begrenzten Mitteln schwer sei. Deshalb müsse die Frage beantwortet werden: Wie kann eine faire Verteilung im sozialen System aussehen? Lösungsansätze könnten Priorisierungsansätze nach Bedarf, Nachfrage, Leistung, sozialem Verdienst, nach Alter und Selbstverschulden sein. Man könne auch einen freien Markt propagieren. Alle Ansätze hätten Vor- und Nachteile und widersprächen dem Gleichheitsgrundsatz.
Die Entscheidungen über die Verteilung der begrenzten Mittel müsse auf drei Ebenen fallen: Auf der Makroebene, also im Parlament, auf der Mesoebene, in welcher der Gemeinsame Bundesausschuss eine wesentliche Rolle übernehmen muss, und auf der Mirkoebene, wo Patient, Arzt und Apotheker entscheiden.
Dörries stellte als Grundlage für die weitere Diskussion die Systeme in Dänemark und Schweden vor, beides steuerfinanzierte Systeme. Dänemark hat im Leitsatz für die Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen die Menschenwürde und die Solidarität ganz oben angesiedelt. Alter und Status dürfen keinen Einfluss auf die Entscheidung haben. Auf Grund der beschränkten Mittel gibt es Wartelisten. Dabei gilt, dass Leistung nicht nach der Nachfrage sondern nach dem größten Bedarf erbracht wird. Die Umsetzung habe sich allerdings als schwierig erwiesen, da die Medien in Einzelfällen einen öffentlichen Druck aufbauen, der die Einhaltung der Prinzipien aufweicht.
In Schweden gibt es eine Rangfolge der Prinzipien. Auch hier steht die Menschenwürde an erster Stelle, gefolgt von Bedarf und Solidarität. Danach kommen Effektivität und Selbstbestimmungsrecht und Nachfrage. Daneben wurde eine Priorisierungsliste der Krankheitsgruppen erstellt, deren Reihenfolge aber kritisiert wurde. Inzwischen gibt es ein Institut, das die Priorisierung bei Krankheiten vornimmt.
Laut Dörries könnten beide Systeme als Grundlage für ein deutsches System diskutiert werden. In den letzten Jahrzehnten sei das deutsche Gesundheitssystem unsystematisch gewachsen, in eine Schieflage gekommen und kaum noch steuerbar. Die Transparenz sei der Bürokratisierung gewichen. Bisher seien Werte und Ziele noch nicht definiert und es gebe keine verbindliche Priorisierung.
Dörries forderte eine neue Enquete-Kommission: Die Prinzipien müssen klar definiert und deren Anwendung transparent sein. Die Rollen der Akteure müssen klar sein. Bei den Entscheidungsprozessen müssen Regeln festgelegt werden und die Partizipation klar sein. Es seien keine einfachen Lösungen möglich. Zur Akzeptanz sei es notwendig, in die Diskussion über die Rationierung, die Patienten einzubinden.
Professor Dr. Oliver Schöffski vom Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement in Nürnberg ließ keinen Zweifel daran, dass die Beantwortung der Frage nach Verteilungsgerechtigkeit nur unter Beteiligung der Ökonomen möglich sei. Ökonomen seien gewohnt, mit dem Thema Knappheit umzugehen. Aber auch sie hätten keine Patentlösungen. Sofern eine Entscheidung über die Verteilung gefunden werden sollte, gehe auf der nächsten Ebene das Hauen und Stechen los, zeigte sich Schöffski überzeugt. In Richtung der Politik empfahl der Ökonom deshalb, die Entscheidungen bewusst und nachvollziehbar zu machen. Er rechnet damit, dass in den nächsten Jahren die Kosten des Gesundheitswesen massiv weiter steigen. 2040 würde der Beitragssatz bei 23,1 Prozent liegen. Zurzeit gebe es in Deutschland keine vernünftigen Lösungsansätze. Das augenblickliche Problem im System liege in der sektoralen Unterteilung. In jedem Sektor würde optimiert, das gesamte System aber ausgelassen. Außerdem würde der Nutzen zu wenig in die Betrachtung einbezogen. »Gesundheit ist zwar das höchste Gut, aber nicht jede Entscheidung im Gesundheitswesen ist eine Entscheidung auf Leben und Tod«, sagte Schöffski.
Die Einführung der Marktwirtschaft im Gesundheitssystem als Lösung aus dem Dilemma hält er für unbrauchbar. Neue Finanzierungsreserven oder eine verstärkte Rationalisierung sind für ihn nicht ausreichend. Es bleibe nur die Rationierung. Sie könne aber nur sinnvoll gestaltet werden, wenn alle zusammenarbeiten und die Maßnahmen durch geeignete Konzepte nachvollziehbar sind. Eine Ansatz könne aus Sicht des Ökonoms das QALY-Konzept sein, mit der Lebensqualität und gewonnene Lebensjahre in QUALYs berechnet werden und damit der Wert einer therapeutischen Maßnahme berechenbar und vergleichbar wird. Schöffski glaubt, dass dieses System einer fairen Verteilungsgerechtigkeit entspricht und damit trotz der budgetären Restriktionen eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung erreicht werden kann.