Unspezifische Effekte stärker beachten |
30.05.2006 15:09 Uhr |
<typohead type="3">Unspezifische Effekte stärker beachten
Zum Gesamteffekt jeder Therapie tragen die spezifischen Wirkungen eines Arzneistoffs, aber auch unspezifische Effekte bei. Umstritten ist, ob ein Homöopathikum spezifisch wirken kann. Möglicherweise mobilisiert die Anwendung der Methode jedoch unspezifische Effekte beim Patienten. Gezielt erforscht ist dies noch nicht.
Angst vor Nebenwirkungen, mangelnde Erfolge schulmedizinischer Methoden, Neigung zur Alternativmedizin oder Interesse an »gesunder Lebensführung« sind einige der Motive, die Patienten veranlassen, sich der Homöopathie zuzuwenden. Eine Schweizer Studie ergab, dass es oft Frauen, gut situierte jüngere Menschen, Städter oder multimorbide Menschen sind, die eine homöopathische Behandlung suchen. Auch Personen, denen eine gesunde Lebensführung wichtig ist oder die Skepsis gegenüber bestimmten Impfungen äußern, sind der Methode eher zugeneigt, berichtete Professor Dr. Reinhart Schüppel, Leiter der Abteilung Psychosomatik der Fachklinik Furth im Wald.
Wie kommt überhaupt ein Therapieeffekt zustande? Dazu tragen verschiedene Komponenten bei, unter anderem der natürliche Verlauf einer Krankheit, Placeboeffekte und die spezifische Intervention. Dies gilt auch für chemisch-synthetische Medikamente. So zeigte eine Studie 1998, dass nur ein Viertel der Effektstärke einer antidepressiven Therapie auf das Medikament, die Hälfte jedoch auf Placeboeffekte und ein Viertel auf den natürlichen Verlauf zurückzuführen war. Die Beeinflussung des natürlichen Verlaufs ist eine Domäne der regulativen Therapien, die Nutzung des Placeboeffekts eine Aufgabe der Psychologie und allgemeinen Psychotherapie, erklärte der Mediziner. Spezifische Effekte seien schließlich das Feld der naturwissenschaftlichen Medizin und der differentiellen Psychotherapie.
»Naturwissenschaftler und Ärzte sind stolz auf die spezifischen Ansätze ihrer Therapie, sie verschenken dabei aber drei Viertel des möglichen Effekts«, gab Schüppel zu bedenken. Er formulierte die Hypothese, dass die Homöopathie nicht nur einem diffusen Patientenwunsch nach »sanfter« oder »ganzheitlicher« Medizin entspreche, sondern auch unspezifische Effekte mobilisieren könnte. Diese ließen sich in randomisierten klinischen Studien aber nicht erfassen, da sie durch das Studiendesign gerade herausgefiltert werden sollen. Besser geeignet seien naturalistische Designs, zum Beispiel Anwendungsbeobachtungen.
»Unspezifische Effekte sollte man nicht als Einbildung abqualifizieren; es sind Effekte, die pharmakologisch nicht erklärbar sind«, sagte der Referent. In der emotionsgeladenen Debatte um den Wert verschiedener Therapieverfahren werde der Begriff Placeboeffekt meist als Vorwurf oder als Beleidigung gebraucht. Er sehe jedoch eine Herausforderung für die Forschung darin, den Anteil unspezifischer Effekte am Therapieerfolg herauszufinden.
In der Apotheke und der Selbstmedikation erfolgt die homöopathische Therapie meist nach den »bewährten Indikationen« mit Tiefpotenzen, in der »klinischen Homöopathie« nach einfachen Kriterien, zum Beispiel den Modalitäten (Bedingungen der Verbesserung oder Verschlechterung der Symptome). Im Gegensatz dazu ist die klassische Homöopathie gekennzeichnet durch eine sehr differenzierte Symptom\-erhebung, die Gabe (meist) von Hochpotenzen und lange Beobachtungsintervalle. Dies erfordere eine sehr intensive Arzt-Patienten-Beziehung, beschrieb Schüppel.
Er nahm Ärzte und Apotheker gleichermaßen in die Pflicht. Apotheker sollten den Patienten eine »niedrigschwellige professionelle Hilfe« zur Komplementärmedizin anbieten. Sie könnten über Homöopathie informieren und beraten, Patienten kritisch begleiten und mögliche Risiken frühzeitig aufdecken. Ein »höherschwelliges professionelles Angebot« stellen die Ärzte bereit, die für eine differenzierte Diagnostik und Therapie zuständig sind. Beide Berufsgruppen seien gefordert, schwere Krankheitsverläufe und Schäden zu verhindern. »Wir müssen die Alternativmedizin ärztlich verantwortet anbieten, damit Patienten sie ausprobieren können, ohne Schaden zu erleiden.«
Für Schüppel gibt es kein »Entweder-oder« im Streit der Therapierichtungen. Anstelle des gegenseitigen Kampfes halte er es für wichtig, Schwächen und Defizite von Schul- und Alternativmedizin aufzudecken und festzustellen, welche Methode einem Patienten am besten helfen kann. Diese sei dann einzusetzen.