Interaktionen im Vorfeld vermeiden |
30.05.2006 15:08 Uhr |
<typohead type="3">Interaktionen im Vorfeld vermeiden
Arzneimittelinteraktionen spielen in der Therapie von Erkrankungen des Zentralnervensystems eine bedeutende Rolle. Grund hierfür ist die starke Co-Medikation vor allem bei Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Störungen. Die wichtigsten Interaktionen zu kennen und zu vermeiden, ist eine bedeutende Aufgabe für den Apotheker.
Erschreckende Zahlen zum Thema Arzneimittelinteraktionen stellte Privatdozent Dr. Sebastian Härtter von Boehringer Ingelheim vor: 20 von 10.000 Klinikeinweisungen gehen in Deutschland auf Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen zurück. Etwa 17.000 Menschen sterben jedes Jahr an deren Folgen. Besonders problematisch sind Therapeutika zur Behandlung von ZNS-Erkrankungen wie Antidepressiva und Antipsychotika. Denn Patienten, die mit diesen Wirkstoffen behandelt werden, erhalten meist eine multiple Therapie, sagte Härtter.
Ein hohes Potenzial für Interaktionen haben auch die Antikonvulsiva. »Valproinsäure ist eine alte, aber keine einfache Substanz.« Sie wird in einem komplexen Metabolismus zu etwa 50 verschiedenen Metaboliten abgebaut. Zudem hemmt sie wichtige Stoffwechselenzyme wie CYP2C9, UDP-Glucuronyltransferase und Epoxidhydrolase. Bei Kombination mit Carbamazepin oder Phenytoin können Vergiftungen auftreten, berichtete der Pharmazeut. Valproinsäure erhöht die Plasmaspiegel verschiedener anderer Pharmaka wie zum Beispiel von Felbamat. Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital sowie die jüngeren Vertreter Oxcarbazepin, Felbamat und Topiramat induzieren nachweislich wichtige Stoffwechselenzyme. Bei älteren Patienten kann es bei einer Kombination mit einer antikoagulatorischen Therapie zu Vorhofflimmern kommen. Als Alternative könnte Lamotrigin dienen. Bei Frauen besteht die Gefahr, dass Kontrazeptiva versagen. Wie eine US-amerikanische Studie gezeigt hat, kennt aber kaum ein Gynäkologe diese Interaktion, so Härtter. Hier sei die Beratung des Apothekers als Arzneimittelfachmann gefragt. Auch in diesem Fall stellen Lamotrigin sowie Vigabatrin, Gabapentin oder Zonisamid Alternativen dar, da sie ein niedriges Interaktionspotenzial besitzen.
Auch bei den Parkinson-Therapeutika sind verschiedene Interaktionen zu beachten. Zum einen kann eine Kombination von L-Dopa und MAO-A-Inhibitoren zu deutlicher Blutdrucksenkung führen. Zum anderen können Anticholinergika in Kombination mit Trizyklika ein Delirium bewirken. Bei der gemeinsamen Gabe von Cabergolin und Makroliden verstärkt der Dopaminrezeptor-Agonist die Toxizität des Antibiotikums, berichtete Härtter.
Cholinesterase-Hemmer als Antidementiva haben dagegen eine relative niedrige Wechselwirkungsrate. Da sie den Effekt von Muskelrelaxanzien verlängern, sollten sie rechtzeitig vor einer Operation abgesetzt werden. Zudem warnte der Referent davor, dass Anticholinergika die Wirkung von Antidementiva herabsetzen könnten.
Der Vergleich verschiedener Antidepressiva-Klassen zeige, dass Trizyklika zwar ein hohes toxisches Potenzial haben, dafür aber keine Metabolismus-Enzyme inhibieren. Dagegen weisen die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ein geringes toxisches Potenzial auf, zählen aber zu den stärksten bekannten Inhibitoren von Cytochrom-P450-Enzymen. So hemmt zum Beispiel Fluoxetin das Enzym CYP2D6. Da die Substanz eine Halbwertszeit von zwei bis sechs Tagen hat, hemmt sie dadurch den Abbau anderer Wirkstoffe wie Trizyklika, Antipsychotika und Betablocker über einen langen Zeitraum, erklärte der Referent. Fluvoxamin ist ein potenter Inhibitor von CYP1A2 sowie von CYP2C19. Die neueren SSRI wie Sertralin oder Citalopram haben ein deutlich niedrigeres Interaktionspotenzial und können daher alternativ eingesetzt werden.
Eine gefürchtete, wenn auch sehr seltene Interaktion bei Antidepressiva ist das so genannte Serotonin-Syndrom. Dies kann auftreten, wenn zwei Substanzen, die die Serotoninkonzentration erhöhen, zusammen gegeben werden. Das kann dramatische Auswirkungen haben: von Fieber, Schwitzen über Tremor, Rigor, Verwirrung bis hin zu Koma und Tod.
Auch das bei Patienten beliebte Johanniskraut kann zu lebensgefährlichen Interaktionen führen, berichtete Härtter. Es induziert die Aktivität einer Reihe von Cytochrom-Enzymen wie CYP1A2 und -3A4 sowie den Effluxtransporter P-Glykoprotein. Dadurch kann das Phytotherapeutikum die Konzentration anderer Wirkstoffe unter die therapeutische Dosis drücken. Bei einem Patienten nach einer Herztransplantation kam es zur Abstoßung des Organs, weil die Ciclosporin-Konzentration durch die Einnahme von Johanniskraut stark gesenkt wurde. »Johanniskraut sollte Personen, von denen nicht die gesamte Medikation bekannt ist, nicht gegeben werden«, riet der Referent.
Weder die konventionellen noch die atypischen Antipsychotika hemmen in relevantem Maß Metabolismus-Enzyme. Andererseits sind die Substanzen natürliche Substrate dieser Enzyme. Somit können Inhibitoren bestimmter Cytochrom-P450-Enzyme wie Fluvoxamin die Konzentration der Antipsychotika erhöhen, andererseits können Induktoren von Stoffwechselenzymen, zum Beispiel Tabakrauch, die Konzentrationen deutlich senken.
»Wenn man eine Interaktion klinisch erkennt, ist es bereits zu spät«, erklärte Härtter abschließend. Für die Arbeit des Apothekers sei es wichtig, die bedeutenden Wechselwirkungen zu kennen und im Vorfeld zu vermeiden.