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EHEC

Durchfallepidemie in Deutschland

24.05.2011  17:18 Uhr

Von Daniela Biermann / Derzeit treten potenziell lebensbedrohliche Darmbakterien namens EHEC gehäuft in Deutschland auf. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden sind bis Redaktionsschluss am Dienstag mehr als 400 bestätigte und verdächtige Fälle gemeldet worden. Die Patienten dürfen nicht mit Antibiotika behandelt werden.

Die Erkrankung verläuft bei der aktuellen Epidemie ungewöhnlich schwer. Viele der Patienten liegen auf Intensivstationen. »Wir haben eindeutig eine ungewöhnliche Situation«, sagte RKI-Epidemiologe Gérard Krause am Wochenende. EHEC ist die Abkürzung für Enterohämorrhagische Escherichia-coli-Bakterien. Diese Gruppe verschiedener E.-coli-Serogruppen, Verwandte des normalen Darmkeims E. coli, setzt bestimmte Zytotoxine frei, die sogenannten Shigatoxine oder Verotoxine. Bis der genaue Erregertyp identifiziert ist, dauert es drei bis vier Tage. Ergebnisse zum Serotyp für die aktuelle Situation lagen am Dienstagmittag noch nicht vor.

Hauptsymptom einer EHEC-Infektion sind wässrige Durchfälle, außerdem Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmer­zen. Infolge der Endotoxinfreisetzung können Blutungen im Darm und damit blutige Durchfälle auftreten. In der Regel kommt es bei 10 bis 20 Prozent der Erkrankten zu einem schweren Verlauf mit einer hämorrhagischen Kolitis und krampfartigen Abdominalschmerzen, blutigem Stuhl und teilweise Fieber. Patienten mit ebendiesen Symptomen sollten sofort zum Arzt gehen. Unter anderem bei blutigem Stuhl und Hinwei­sen auf ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) sollte eine mikrobiologi­sche Untersuchung mit Toxinnachweis erfolgen.

 

Die freigesetzten Endotoxine bewirken zudem einen Abbau von Erythrozyten im Blut, es kommt zur Hämolyse. Die Abbauprodukte der roten Blutkörperchen können die feinen Blutgefäße der Nieren verstopfen, bis hin zum Nierenversagen. Es entsteht das sogenannte hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), das sich durch Blutarmut (hämolytische Anämie), Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Nierenversagen auszeichnet. Zu dieser Komplikation kommt es normalerweise bei 5 bis 10 Prozent der symptomatischen EHEC-Infektionen. Es tritt vor allem bei Kindern auf. Infolge des Nierenversagens können auch andere Organe zu Schaden kommen, zum Beispiel kann das Gehirn anschwellen.

 

Bei Patienten mit einem HUS leitet der Arzt eine forcierte Diurese und gegebenenfalls eine Dialyse ein. Meist sind die Patienten nur kurzzeitig auf eine Dialyse angewiesen. Nur selten kommt es zu irreversiblem Nierenfunktionsverlust. Besondere Unterformen werden mit Plasmatherapie oder Immunsuppressiva behandelt.

 

Bei Patienten ohne HUS ist nur eine symptomatische Therapie möglich, also in erster Linie eine Rehydratation. Antibiotika sind nicht angezeigt, da sie die Bakterienausscheidung verlängern und die Bildung der gefährlichen Toxine stimulieren. Mehr Toxine bedeuten ein höheres Risiko für Hämolyse und Nierenversagen. Zudem deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass es sich bei der aktuellen Epidemie erstmals um antibiotikaresistente EHEC-Erreger handelt.

 

In der Akutphase liegt die Letalität des HUS bei ungefähr 2 Prozent. Auf die breite Masse der Infizierten bezogen sind Todesfälle also äußerst selten. Die aktuelle Epidemie scheint jedoch deutlich schwerer zu verlaufen als üblich und auch die Verteilung ist ungewöhnlich. Normalerweise erkranken vor allem Kleinkinder an EHEC-Infektionen. Der Altersmeridian liegt bei vier Jahren. Beide Geschlechter sind in der Regel gleichermaßen betroffen. Bei der aktuellen Epidemie sind jedoch vor allem erwachse­­­ne Frauen erkrankt. Ein möglicher Grund: »Frauen bereiten häufiger Lebensmittel zu, und da können sie sich möglicherweise bei der Reinigung des Gemüses oder anderer Lebensmittel infizieren«, sagte Krause der Nachrichtenagentur dpa. Zudem verzehren sie häufiger Rohkost als Männer.

 

Rinder als Reservoir

 

EHEC sind hoch ansteckend. Reservoir der Bakterien sind Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen. Der direkte Kontakt zu Tieren ist der häufigste Übertragungsweg bei Kindern unter drei Jahren. Bei älteren Kindern und Erwachsenen erfolgt eine Infektion meistens über den Verzehr von Fleisch (zum Beispiel Teewurst oder Rinderhack) und Rohmilchprodukten, wie bestimmte Käsesorten. Wird infizierter Kot zur Düngung verwendet, können Verbraucher sich über den Verzehr von ungewaschenem rohen Obst und Gemüse anstecken. Fäkal-orale Schmierinfektionen von Mensch zu Mensch sind zudem ein häufiger Übertragungsweg.

 

Bei der aktuellen Epidemie steht infiziertes Gemüse als Auslöser unter Verdacht. Die Quelle könnte sich noch im Umlauf befinden, so das RKI. Das macht die Prävention schwierig. Es gebe keine Hinweise, dass diesmal Fleisch oder Rohmilch die Infektionsquelle seien. Ausgeschlossen ist Fleisch als Infektionsquelle jedoch noch nicht. Derzeit untersuchen die Gesundheitsämter Proben aus den Haushalten der Infizierten sowie aus zwei Kantinen, in denen alle in Frankfurt erkrankten Patienten gegessen haben. Weitere Stichproben erfolgen nach dem Zufallsprinzip. Die Ergebnisse sollen Ende der Woche vorliegen. Soweit es ihr Gesundheitszustand zulässt, werden Erkrankte nach ihrem Essverhalten befragt.

 

Das RKI empfiehlt, bei der Verarbeitung von Gemüse, Fleisch- und Rohmilchprodukten auf gute Küchenhygiene zu achten sowie Bretter und Messer gründlich zu reinigen. Leicht verderbliche Lebensmittel sind im Kühlschrank zu lagern. Die Speisen sollten gut durchgegart werden, also zehn Minuten bei mindestens 70 Grad Celsius. Häufiges und gründliches Händewaschen vor und während der Speisenzubereitung sowie nach dem Toilettengang sollte selbstverständlich sein. Bei Kontakt zu Erkrankten ist zudem eine Händedesinfektion angezeigt.

 

Die Inkubationszeit beträgt zwei bis zehn Tage. Im Durchschnitt sind es drei bis vier Tage. Eine schwere Verlaufsform zeigt sich durchschnittlich sieben Tage (fünf bis zwölf Tage) nach Beginn des Durchfalls. Auch ohne oder nach Abklingen der Symptome, also bei klinisch unauffälligem Bild, können die Patienten noch länger als einen Monat EHEC ausscheiden und damit bei unzureichender Hygiene die Krankheit übertragen. /

 

Quellen: dpa und RKI-Ratgeber für Ärzte

Wie häufig sind EHEC-Infektionen?

Seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001 verzeichnete das RKI jährlich zwischen 925 und 1183 EHEC-Erkrankungen. Bis zum 18. Mai lag der Stand für 2011 bei 257 Fällen. Seitdem tritt die Infektion gehäuft auf, vor allem in Norddeutschland, sodass von einer Epidemie gesprochen werden kann. Behörden gingen am Dienstag von mehr als 400 Betroffenen aus. Bei drei verstorbenen Frauen könnte EHEC die Todesursache gewesen sein. Allein in Schleswig-Holstein gab es bis Dienstagmorgen mehr als 200 Verdachtsfälle mit blutigen Durchfällen, davon mindestens 13 mit schwerem Verlauf und Nierenversagen. Bremen und Niedersachsen meldeten bis Dienstagmittag 170 Verdachtsfälle, von denen sich einige in Lebensgefahr befinden. In Hamburg sind allein in den sieben Asklepios-Kliniken 67 Patienten aufgenommen; das Universitätsklinikum Eppendorf behandelt 30 Patienten auf der Intensivstation. Das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen spricht von mindestens 24 Fällen, davon 12 Patienten mit HUS. In Hessen befinden sich 26 Patienten in Krankenhäusern. Weitere Bundesländer sind ebenfalls betroffen.

 

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