Eine neue Kundengruppe? |
23.04.2014 10:37 Uhr |
Von Sebastian Becker, Warschau / Am 1. Mai feiert Polen seine zehnjährige Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Doch erst jetzt passt das Land seinen Gesundheitsmarkt an den europäischen Standard an. Das polnische Parlament beschäftigt sich derzeit erstmals mit der EU-Patientendirektive, die den Staat verpflichtet, auch Auslandsbehandlungen zu erstatten. Eine Chance für deutsche Gesundheitsdienstleister?
Die Jahre in der EU sind für Polen sicher eine Erfolgsgeschichte. Das stetige Wirtschaftswachstum hat sich positiv auf den einheimischen Gesundheitsmarkt ausgewirkt. Die Löhne steigen. Die polnischen Patienten haben immer mehr Geld für Behandlungen zur Verfügung. Polen, die nahe der Westgrenze des Landes leben, könnten deshalb eine lukrative Kundengruppe für deutsche Gesundheitseinrichtungen sein.
Erst kürzlich hat die Regierung in Warschau einen Schritt gemacht, den deutschen Markt für polnische Patienten leichter zugänglich zu machen. Das Parlament (Sejm) hat einen Gesetzentwurf auf die Tagesordnung gesetzt, um die EU-Patientenrichtlinie umzusetzen. Sie gilt bereits seit Oktober 2013 und verpflichtet die Krankenkassen zur Übernahme von Auslandsbehandlungen. Wann der Sejm mit der Lesung beginnt, ist aber noch offen. »Die Änderung wird in erster Linie die polnischen Patienten betreffen, die eine Akutbehandlung benötigen, die sie zuhause so schnell nicht bekommen«, sagte Professor Jacek Kaczmarczyk, der Leiter der Orthopädischen und Traumatologischen Klinik in Posen im Gespräch mit dem polnischen Fernsehsender TVP. »Darüber hinaus könnte diese neue Regelung für diejenigen Patienten interessant sein, die an der Grenze wohnen und in ihrer direkten Nähe in ihrem Land keine entsprechende Behandlungsmöglichkeit haben«, so Kaczmarczyk.
Polen lässt sich mit der Umsetzung der Direktive Zeit. Dabei dürfte die Zahl der Polen, die sich in Deutschland behandeln lassen, überschaubar bleiben. Ein Ansturm auf deutsche Apotheken lässt sich nicht absehen. Nach der EU-Patientenrichtlinie müssen Krankenkassen die Kosten einer Behandlung übernehmen, die auch im Inland angefallen wären. Den Rest muss der Patient bezahlen. Ein Besuch in Deutschland wäre somit für viele Polen zu kostspielig.
»Die Kostenunterschiede in Deutschland und Polen sind enorm groß«, erklärt Marek Rydzewski, Sprecher der AOK in Berlin-Brandenburg. Eine krebsbedingte Brust-OP kostet in Deutschland etwa 4300 Euro, doppelt so viel wie in Polen. Die Operation eines grauen Stars ist mit 1300 Euro weit mehr als doppelt so teuer wie in Polen. Der Besuch eines Facharztes kostet in Deutschland das Fünf- bis Achtfache.
Ein Fortschritt
Dennoch ist das neue Gesetz für Polen ein Fortschritt, rechtliche Unklarheiten werden jetzt ausgeräumt. Bisher musste ein polnischer Patient, der in Deutschland einen Unfall hatte, an der Grenze vom deutschen Rettungsfahrzeug ausgeladen und an einen polnischen Arzt übergeben werden. /