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Sturzprävention

Bei Sturzgefahr Medikation prüfen

22.04.2008  10:26 Uhr

Sturzprävention

<typohead type="3">Bei Sturzgefahr Medikation prüfen

Von Christina Hohmann

 

Stürze und sturzbedingte Verletzungen können bei älteren Menschen Gesundheit und Lebensqualität stark einschränken. Wichtig ist daher, gefährdete Personen zu erkennen und die Risiken zu senken. Ein Aspekt ist dabei die Medikation.

 

Stürze haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit bei älteren Menschen: Sie können zu Verletzungen, bleibenden Behinderungen und in der Folge zur Immobilität führen und eine Einweisung ins Pflegeheim nötig machen. Zudem lassen sie in der Folge oft das Vertrauen in die eigenen körperlichen Fähigkeiten sinken. »Die Angst vor Stürzen wird bei älteren Menschen am häufigsten genannt. Sie steht noch vor der Angst vor Kriminalität oder Armut«, sagte Dr. Clemens Becker von der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart auf dem Internistenkongress in Wiesbaden. Jedes Jahr treten in Deutschland etwa fünf Millionen Stürze bei älteren Menschen auf. Rund 10 Prozent von diesen sind behandlungspflichtig. Etwa 120.000 Menschen erleiden jährlich einen Oberschenkelhalsbruch, berichtete Becker. Besonders gefährdet für diese proximale Femurfraktur sind pflegebedürftige Personen. Allgemein haben Heimbewohner gegenüber zu Hause betreuten Personen mit den gleichen Grunderkrankungen ein dreifach erhöhtes Sturzrisiko. »Exorbitant hoch« sei die Gefahr in den ersten acht Wochen nach Einweisung in das Pflegeheim, berichtete der Mediziner.

 

Zu den Risikofaktoren für einen Sturz zählen neben Stand- und Gangunsicherheit auch kognitive Defizite, Sehschwäche und die Einnahme von Psychopharmaka. Häufig vergessen wird auch, dass eine Inkontinenz die Sturzgefahr deutlich erhöht. »Wenn ältere Menschen schnell die Toilette erreichen wollen, sinkt ihre Aufmerksamkeit, und sie können stolpern«, verdeutlichte Becker. Ein erhöhtes Risiko besteht auch in den Monaten, nachdem sich bereits ein Sturz ereignet hat.

 

Gefährdete Personen erkennen

 

Das Sturzrisiko lässt sich durch geeignete Interventionen senken. Deshalb ist es besonders wichtig, gefährdete Personen zu erkennen. »Jeder Arzt sollte seine über 70-jährigen Patienten einmal pro Jahr nach Gang- und Standunsicherheiten befragen«, sagte Becker. »Die Angaben korrelieren sehr gut mit dem tatsächlichen Sturzrisiko.«

 

Beginnende Gangunsicherheiten ließen sich mit einfachen Tests feststellen. Beim »Timed up and go«-Test soll der Patient von einem Stuhl aufstehen, um eine Markierung in drei Meter Entfernung herumgehen, zurückkommen und sich wieder hinsetzen. Wer hierfür mehr als 14 Sekunden braucht, weist erste Gangschwierigkeiten auf. Mehr als 20 Sekunden gelten als Zeichen für ein erhöhtes Sturzrisiko. Aufmerksamkeitsdefizite lassen sich durch den »Geh- und Zähltest« ermitteln. Hierbei muss der Patient eine bestimmte Strecke gehen, während die Zeit gestoppt wird. Anschließend muss er dieselbe Strecke noch einmal zurücklegen und dabei von Hundert rückwärts zählen. Wer beim zweiten Versuch deutlich länger braucht als beim ersten, hat eine erhöhte Sturzgefährdung, erklärte der Mediziner.

 

Geeignete Präventionsansätze

 

Um das Sturzrisiko zu senken, gibt es verschiedene Ansätze. Es ist wichtig, vorhandene Sehstörungen feststellen zu lassen und durch geeignete Sehhilfen oder Operationen auszugleichen. Weiterhin sollte die Umgebung des Patienten angepasst und sicher gestaltet werden. Stolperfallen wie lose Kabel, Türschwellen oder Unebenheiten in Teppichen sind zu entfernen. Hilfreich sind auch Handgriffe im Bad, rutschfeste Matten in der Badewanne sowie Handläufer und Geländer an Treppen. Auch Nachtlampen oder Bewegungsmelder, die beim nächtlichen Gang zur Toilette das Licht automatisch anschalten, können die Sturzgefahr senken. In der Nacht ist das Tragen von rutschhemmenden Socken hilfreich. Am Tag sollten Menschen mit erhöhtem Sturzrisiko feste, gut sitzende Schuhe oder Hausschuhe tragen.

 

Zudem lässt sich die Sturzgefahr durch ein geeignetes Balance- und Krafttraining verringern. Dies ist die wichtigste Maßnahme der Prävention, betonte der Geri\-ater. Wie erfolgreich ein Bewegungstraining sei, zeige das Beispiel Neuseeland. Hier wurde ein Trainingsprogramm für alle Menschen über 65 Jahren eingeführt, das die Zahl der Stürze um 46 Prozent und die der Verletzungen um 36 Prozent reduzierte. In Deutschland bieten geriatrische Abteilungen in Kliniken und spezialisierte Physiotherapeuten entsprechende Kurse für Senioren an, die vom Arzt verordnet werden können. Derzeit würden in Zusammenarbeit mit dem deutschen Sportbund 6000 Physiotherapeuten ausgebildet, um eine flächendeckende Versorgung zu erreichen, berichtete Becker.

 

Bei Personen mit stark erhöhtem Sturzrisiko kann auch das Tragen von Hüftprotektoren sinnvoll sein, um Frakturen des Oberschenkelhalses beziehungsweise des Hüftgelenks zu verhindern. In diese kurzen Hosen sind Schalen und Polster eingenäht. Auf diese Weise lassen sich die Kräfte abfangen, die bei einem Sturz auf den Hüftbereich einwirken. »Der Einsatz dieser Protektoren sollte aber Teil eines strukturierten Programms zur Sturzprävention sein«, sagte Becker. So habe eine Studie in Hamburger Pflegeheimen gezeigt, dass die Schulung des Personals und die Information der Bewohner zusammen mit dem Einsatz der Hüftprotektoren bei Hochrisikopatienten die Zahl der Hüftfrakturen um 40 Prozent senken konnte.

 

Regelmäßig Indikationen prüfen

 

Auch der Apotheker kann zur Sturzprävention beitragen. Denn einige Medikamente erhöhen bekanntermaßen das Risiko zu stürzen und sollten daher bei gefährdeten Personen vermieden werden. »Problematisch sind Benzodiazepine, vor allem die langwirksamen wie Diazepam«, sagte Becker. Auch die klassischen Antidepressiva, besonders die Trizyklika, erhöhten die Sturzrate. »Die Hoffnung, dass die modernen Antidepressiva hier Vorteile besitzen, scheint sich nicht zu bestätigen«, sagte Becker. So erhöhten selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) die Sturzrate und setzten darüber hinaus die Knochendichte herab. Neuroleptika seien ebenfalls problematisch. Auch hier habe sich die Hoffnung, dass die neuen Substanzen Vorteile gegenüber den typischen Neuroleptika bieten, nicht erfüllt, wie Becker ausführte. »Hinsichtlich der Sturzprävention sind die neuen Substanzen den alten nicht überlegen.«

 

Aktuellen Untersuchungen zufolge setzen Betablocker die Muskelkraft herab und erhöhen somit die Sturzneigung, wohingegen ACE-Hemmer diesen Effekt nicht besitzen, berichtete der Geriater. Auch die Einnahme von Antihypertensiva und Antidiabetika sei mit Stürzen assoziiert. Der Grund liege darin, dass Antidiabetika zu Hypoglykämien und Antihypertensiva zu Blutdruckabfällen führen könnten. Über diese Risiken sollten die Patienten aufgeklärt werden.

 

Insgesamt ist auch eine Kombination mehrerer Medikamente mit einer erhöhten Sturzneigung assoziiert. »Dies ist aber mehr eine statistische als eine kausale Beziehung«, sagte Becker. Trotzdem sei es wichtig, bei Patienten, die vier oder mehr Medikamente erhalten, regelmäßig etwa alle drei Monate die Indikationen kritisch zu überprüfen und Präparate gegebenenfalls abzusetzen.

 

Für starke Knochen

 

Nicht Stürze, aber Brüche lassen sich durch eine Osteoporoseprophylaxe verhindern. Bis heute gebe es keine Daten, die zeigen, dass Bisphosphonate bei Über-80-Jährigen wirken, merkte Becker an. In der Geriatrie habe sich in dieser fortgeschrittenen Altersklasse die Gabe von Strontium durchgesetzt.

 

Dass die Gabe von Vitamin D das Frakturrisiko auch im hohen Alter senkt, sei dagegen gut belegt. »Alle Frauen über 75 Jahre sollten mehr als 1000 Einheiten Vitamin D pro Tag erhalten«, sagte Becker. Für Männer sei die Schutzwirkung bislang weniger gut belegt.

 

Kritisch sei eine Calcium-Substitution zu sehen. Diese könnte zu Mikrokalzinosen und Gefäßproblemen führen. In einer Ende 2007 erschienenen Meta-Analyse konnten Dr. Heike Bischoff-Ferrari von der US-amerikanischen Harvard School of Public Health und ihre Kollegen keinen schützenden Effekt von Calcium finden (»American Journal of Clinical Nutrition«, Band 86, Seiten 1780 bis 1790). Vielmehr scheint die Substitution sogar das Frakturrisiko leicht zu erhöhen.

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