Zeitverschwendung und Zweckfreiheit |
02.04.2007 16:08 Uhr |
<typohead type="3">Zeitverschwendung und Zweckfreiheit
Von Ulrike Abel-Wanek, Dresden
Fast ein Drittel seines Lebens verschläft der Mensch. Und das nicht immer zu seiner Zufriedenheit. Schlafstörungen sind zu einem Massenphänomen geworden. Die sehr gelungene Ausstellung »Schlaf und Traum« des Deutschen Hygienemuseums wirft einen Blick auf die Nachtseite menschlichen Lebens.
»Um es vorweg zu sagen: Ja, ich habe schlecht geschlafen«, räumte Kurator Michael Dorrmann am Eröffnungstag letzten Freitag ein. Damit liegt er im Trend, denn Umfragen zufolge geben bis zu 50 Prozent der Befragten an, nachts keine erholsame Ruhe zu finden. Ziel der Ausstellung ist es, dem Thema »Schlafen« mehr Aufmerksamkeit zu geben. Denn Schlaf ist mehr als eine lästige Unterbrechung eines mit Arbeit und Terminen gefüllten Tages. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Schlaf lebensnotwendig für Körper und Psyche ist. »Der Schlaf ist vom Verdacht der Zeitverschwendung befreit. Er gehört zum Leben, wir sollten ihm Liebe und Aufmerksamkeit widmen«, sagte Museumsdirektor Klaus Vogel.
Zwei zentrale Bedürfnisse des Menschen stehen im Mittelpunkt der interdisziplinären Sonderausstellung: das Schlafen und das Träumen. Kunstwerke und kulturhistorische Artefakte treffen in den abgedunkelten Räumen auf naturwissenschaftliche Exponate und bieten überraschende Einblicke in das Zwischenreich der menschlichen Existenz. Die Ausstellung befasst sich einerseits mit den biomedizinischen und neurologischen Vorgängen in schlafenden Körpern und im Gehirn, andererseits betrachtet sie die Wechselwirkungen zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den gesellschaftlich-kulturellen Veränderungen, denen Schlaf und Traum immer unterworfen waren. Theorien über den Schlaf sind so alt wie die Menschheit. In vorgeschichtlicher Zeit und auch in China glaubte man, dass während des Schlafs die Seele den Körper verließe und die Erlebnisse dieser Wanderungen als Traum empfunden würden. Im Mittelalter wurde auf die Theorie des griechischen Arztes Galen zurückgegriffen, der den Schlaf als Auswirkung der Nahrungsaufnahme betrachtete. Das neue Menschenbild, das seit etwa 1750 in Philosophie, Naturwissenschaften und Ökonomie Einzug hielt, zog dann ein anderes Verständnis von Schlaf und Traum nach sich. Die Traumtheorie der Aufklärung unterscheidet den Wach- und Traumzustand der Seele entschiedener voneinander als dies vorher der Fall war. Im 19. Jahrhundert konstituierte sich der Traum schließlich als eigenständiges Forschungsgebiet. Am Ende dieser Bewegung und vor den Siegeszügen der Neurowissenschaften, begründete die »Traumdeutung« Sigmund Freuds die Psychoanalyse.
Auch das Schlafen wurde mit Beginn der Industrialisierung anders bewertet. Der Begriff der »Arbeit« war jetzt die zentrale Kategorie, der Schlaf verlor seinen selbstverständlichen Charakter, galt primär als Erholungsphase von den Strapazen des Erwerbslebens und damit als zeitlich zu beschränkende Nichtarbeit.
Bis heute können die scheinbar einfachen Fragen »Warum schlafen wir?« oder »Wozu träumen wir?« nicht wissenschaftlich exakt beantwortet werden. Als erwiesen gilt jedoch die Bedeutung von Schlaf und Traum für die Gesundheit und Kreativität.
So wie der Schlaf sich in verschiedene Phasen unterteilt, führt die Ausstellung durch fünf verschiedene Themenkomplexe. Der Frage, ob ein Leben ohne Schlaf möglich ist, geht die Schau im ersten Teil mit dem Titel »Todmüde« nach. Wachhalteexperimente erfreuten sich in den 1960er-Jahren großer Beliebtheit. Dem New Yorker Diskjockey Peter Tripp gelang es 1959, 201 Stunden ohne Schlaf auszukommen. Doch der Schlafentzug veränderte sein Wesen: Er wurde aggressiv, hatte Halluzinationen und verdächtigte seine Betreuer der Verschwörung. Seine tägliche Radiosendung von drei Stunden moderierte er jedoch fast fehlerlos. Nach acht Tagen freiwilligen Schlafentzugs schlief Tripp 13 Stunden und fühlt sich anschließend vollkommen erholt.
Dieser »Wachbleiberekord« ist eines von 300 Exponaten der Ausstellung und bestätigte, dass Übermüdung Gereiztheit und Unwohlsein nach sich zieht. Erforscht ist heute auch der Zusammenhang zwischen Übermüdung und zahlreichen Katastrophen und Unfällen: Bei der Havarie der Exxon Valdez war Übermüdung ebenso mit im Spiel wie bei der Explosion der Raumfähre Challenger oder beim Reaktorunglück von Tschernobyl. Ein Viertel aller Autobahn-Toten wird auf Einschlafen am Steuer zurückgeführt. Das rechtzeitige Erkennen der Anzeichen von Müdigkeit ist in der Automobilforschung von großer Bedeutung: Sie entwickelt Warnsysteme gegen den Sekundenschlaf.
Was in der Zeit während des Schlafs geschieht, zeigt die Abteilung »Schlafspuren«. Sie führt ins weltweit erste Schlaflabor, das Nathaniel Kleitman 1925 eröffnete. 1953 entdeckte er dort gemeinsam mit Eugene Aserinsky den REM-Schlaf (Rapid-Eye-Movement). Die bahnbrechende Beobachtung führte zu der Erkenntnis, dass der Schlaf aus unterschiedlichen Stadien besteht. Zusammen mit der weiterentwickelten Methode des EEG war dies die Voraussetzung für das moderne Schlaflabor.
Auch die »Gutenberg-Bibel der Schlafforschung«, das erste Elektroenzephalogramm zur Messung der Gehirnströme, ist hier zu sehen. 1929 erstellte der Psychiater Hans Berger die ersten Schlaf-EEGs und stellte fest, dass das Gehirn auch im Schlaf höchst aktiv ist.
»Lernen wir träumen, meine Herren, dann finden wir vielleicht die Wahrheit.« Das sagte August Kekulé von Stradonitz, der seine Entdeckung der Ringstruktur des Benzols auf einen seiner Träume zurückführte. Wie Wach- und Traumleben inter-agieren können, zeigt unter anderem Teil drei der Ausstellung: »Traumwelten«. Sogenannte »Traum-Eingebungen« sind seit dem 18. Jahrhundert von zahlreichen Wissenschaftlern und Künstlern bekannt. Kekulé von Stradonitz‘ Warnung davor, »unsere Träume zu veröffentlichen, ehe sie durch den wachenden Verstand geprüft worden sind«, kam vielen Künstlern nicht in den Sinn. Sie feierten den Traum als »Bildfindungs-Maschinerie« und ließen sich von ihm inspirieren. Zu sehen sind beispielsweise Traumbilder von Alfred Kubin, Edvard Munch oder René Magritte.
Dass Schlaf nicht selbstverständlich ist, zeigen die letzten beiden Abteilungen: »Der flüchtige Schlaf« und »Welt ohne Schlaf?«. Zu allen Zeiten durchwachten Menschen ganze Nächte, ohne Schlaf zu finden. Früher durchkreuzten Bettwanzen, Flöhe und Mücken die Nachtruhe, während heute neben Stress, üppigem Abendessen und Alkohol vor allem eine lärmende Umgebung den Schlaf rauben. Hygienemaßnahmen und Schallschutzfenster schaffen hier Abhilfe. Individuelle Schlafstörungen haben sich jedoch zu einer der verbreitesten Zivilisationskrankheiten entwickelt. Von Einschlafproblemen über, oftmals nicht harmloses, Schnarchen bis zur Tagesmüdigkeit sind heute sämtliche Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus Gegenstand der Schlafmedizin. Schlafstörungen werden mittlerweile als gesundheitliches Problem ernst genommen und sind in vielen Fällen gut behandelbar. Immer neue Substanzgruppen werden heute daraufhin untersucht, ob sie möglichst ohne Nebenwirkungen das Ein- und Durchschlafen fördern können.
Industrialisierung und die Verbreitung von Schicht- und Nachtarbeit haben das Schlafverhalten radikal verändert. Statt der inneren Uhr, deren Wirkungsweise seit den 1930er-Jahren in Höhlen- und Bunkerversuchen erforscht wurde, regulieren Wecker, elektrisches Licht und Aufputschmittel den Schlaf des modernen Menschen. Die globalisierte Wirtschaft fordert Dienstleistungen rund um die Uhr. Daran ändert auch die Entdeckung des »Powernappings« nichts. Das Schläfchen in der Mittagspause steigert nachweislich die Leistungsbereitschaft sowie körperliche und geistige Befindlichkeit. Auch das Risiko von Fehlern und Unfällen am Arbeitsplatz sinkt deutlich. Das Nickerchen am Mittag ist in Deutschland aber nach wie vor verpönt. In den Mittelmeerländern und in Asien wird dem Powernap traditionell mehr Raum gegeben, allerdings auch hier mit rückläufiger Tendenz.
»Die postmoderne Gesellschaft hat ein ambivalentes Verhältnis zum Schlaf und zum Traum. Das menschliche Grundbedürfnis nach Schlaf steht quer einerseits zum Postulat einer Rund-um-die-Uhr-Service-Gesellschaft, aber neue Studien bewerten andererseits einen gelungenen Schlaf als zentral für Wohlbefinden und Lernfähigkeit des Menschen. Gerade weil ihre Notwendigkeit immer stärker erforscht und erkannt wird, droht verloren zu gehen, was uns an Schlaf und Traum immer fasziniert hat: Zeitverschwendung und Zweckfreiheit.«*
*) Michael Dorrmann, Ausstellungskatalog
31. März bis 3. Oktober
Deutsches Hygienemuseum
Lingnerplatz 1
01069 Dresden
Telefon (03 51) 48 46-0
service@dhmd.de
Das Begleitbuch ist im Böhlau-Verlag, Köln,
erschienen und kostet 14,90 Euro.
ISBN 978-3-412-18706-4