Marktanteile und Millionen |
02.04.2007 16:07 Uhr |
<typohead type="3">Marktanteile und Millionen
Von Patrick Hollstein
Zum Wochenanfang ist mit der Gesundheitsreform auch der umstrittene AOK-Rabattvertrag in Kraft getreten. Während Patienten, Ärzte und Apotheken versuchen, sich erstmals in einer Welt kassenspezifischer Arzneimittellisten zurechtzufinden, beobachten die Generikahersteller sehr genau, ob sich die eingeräumten Konditionen und Investitionen rechnen. Für die Unternehmen geht es um Marktanteile und Millionen.
Für die elf Hersteller war der AOK-Rabattvertrag eine unverhoffte Gelegenheit, um ohne Übernahmeschlacht doch noch in den umkämpften deutschen Markt einzusteigen. Mit der israelischen Teva hatte nicht nur die weltweite Nummer Zwei hierzulande längst den Anschluss verloren. Auch die isländische Actavis, zurzeit auf dem fünften Platz in der Liste der weltweiten Generikaindustrie, sucht bereits seit längerem Möglichkeiten, um in Deutschland ins Geschäft zu kommen. Anders als beispielsweise in Osteuropa gibt es hierzulande kaum noch geeignete Übernahmekandidaten; selbst der Kauf der Darmstädter Merck würde vor allem der Positionierung in Frankreich und Südeuropa und weniger dem Deutschlandgeschäft dienen.
Selbst das Dresdener Traditionsunternehmen AWD Pharma, das 2001 von der kroatischen Pliva übernommen worden war, tritt auf seinem Heimatmarkt nur als mittelständisches Unternehmen auf. Dabei zählt die Gruppe als Teil des US-Konzerns Barr Pharmaceuticals mittlerweile zu den Top Drei der weltweiten Generikabranche.
Abgeschottete Märkte
Dass es drei der fünf weltgrößten Generikaanbeiter bislang nicht gelungen ist, in Deutschland Fuß zu fassen, ist kennzeichnend für die bisherige Abschottung des Marktes. Ratiopharm, Stada sowie Weltmarktführer Sandoz/Hexal hatten die Anteile in den vergangenen Jahren fest unter sich aufgeteilt; wiederholt waren dabei die mitunter zweifelhaften Geschäftspraktiken der Marktführer in die öffentliche Kritik geraten.
Dass sich die Branchenprimi am ersten Rabattvertrag nicht beteiligt haben, halten Beobachter für konsequent: »Mit Marktanteilen von bis zu 30 Prozent konnten Ratiopharm und Hexal auch als AOK-Partner nur verlieren«, schätzt ein Marktkenner. »Denn Margenverluste lassen sich nur schwer durch Mengenausweitungen wett machen, erst recht in solchen Dimensionen. Also haben sich die Marktführer zunächst bewusst gegen eine Teilnahme an der Ausschreibung entschieden.«
Fehlende Planungssicherheit
Das dürfte den Branchenführern nicht zum Nachteil werden: Der AOK-Vertrag läuft gerade einmal zwölf Monate, danach werden die Karten neu gemischt. Ohnehin erhalten die Unternehmen von den Krankenkassen keine Mengengarantie.
»Wir hätten auf eine Vertragslaufzeit von zwei bis drei Jahren gehofft, um gezielt in die Zukunft investieren zu können«, erklärt Karl Appelmann, Marketing- und Vertriebsleiter bei AWD Pharma, gegenüber der PZ. »Immerhin haben wir zehn Millionen Euro in die Bevorratung investiert, das sind knapp 10 Prozent unseres Jahresumsatzes.«
Für die Firmen geht es um Millionen und um die künftige Aufteilung des Marktes. Rund 40 Prozent des GKV-Marktes werden über die Ortskrankenkassen abgewickelt. Alleine das Umsatzvolumen der 43 in den AOK-Liefervertrag eingeschlossenen Substanzen lag Insight Health zufolge 2006 bei rund 1,5 Milliarden Euro. Daran hatten die elf am AOK-Vertrag beteiligten Unternehmen bislang einen Anteil von rund 2 Prozent. Da für jeden Wirkstoff maximal drei Anbieter ausgewählt wurden, können die Firmen ihre Präsenz also deutlich steigern.
Über die genaue Höhe der ausgehandelten Rabatte und damit die möglichen Einsparungen für die Kassen wird öffentlich nichts bekannt gemacht; die Nachlässe dürften jedoch zwischen 10 und 20 Prozent betragen.
Ohne den Mutterkonzern wäre für AWD laut Appelmann eine Teilnahme an der AOK-Ausschreibung nicht möglich gewesen. Denn 80 bis 90 Prozent der neuen Aufträge werden in den weltweiten Fabriken des Konzerns produziert und bleiben damit im Haus. Bereits nach Bekanntwerden des AOK-Vertrags ist laut Appelmann das Geschäft spürbar angezogen, da Großhändler und Apotheken offensichtlich mit der Bevorratung begonnen hätten. Die Angst vor Lieferengpässen sitzt tief: Ab Mai will AWD sich so weit bevorraten, um gegebenenfalls sogar den gesamten GKV-Markt mit eigenen Produkten beliefern zu können. Die Beteiligung an weiteren Ausschreibungen ist geplant und wohl auch notwendig, wollen die Dresdner nicht binnen Jahresfrist auf das Wohlwollen der AOK-Verhandler angewiesen sein oder auf den neuen Vorräten sitzen bleiben.
Für den Fall, dass ein Hersteller seine Preise unter das Niveau der Vertragspartner absenkt, hat sich die AOK sogar das Recht vorbehalten, auch vor Ende der Vertragslaufzeit in neue Verhandlungsrunden einzusteigen. Ein zukunftsweisendes Lehrstück in Sachen Verhandlungsmacht der Krankenkassen.
Ärzte werden beteiligt
Doch mittlerweile haben auch die Marktführer die ersten Verträge mit weiteren Kassen abgeschlossen: Die Techniker Krankenkasse (TK) setzt ab sofort sortimentsübergreifend auf Ratiopharm, Aliud, ABZ sowie die zur indischen Dr. Reddy‘s zählende Betapharm; die Barmer hat am Wochenende Hexal und Stada exklusiv ins Boot geholt. Am Montag verkündete Actavis, nun auch mit den sieben Mitgliedskassen des Verbands der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) einen Exklusivvertrag geschlossen zu haben.
Entscheidend wird nun sein, inwieweit die Ärzte sich bei ihren Verordnungen an die neuen Vorgaben halten und vermeintliche Einschränkungen ihrer Therapiefreiheit hinnehmen. Bisherige Rabattmodelle sind an den zahlreichen herstellergebundenen Verordnungen gescheitert; ab sofort können die Ärzte die Apotheker nur durch explizites Ankreuzen des »nec aut idem«-Feldes von der Austauschplficht befreien.
Experten schätzen, dass 10 Prozent der Verordnungen künftig herstellerbezogen sein werden. Denn Incentives wie eine Freistellung von Bonus-Malus-Modellen sollen künftig die Bereitschaft der Mediziner steigern, sich nicht vom Außendienst der Generikahersteller oder deren prominenter Platzierung in Praxissoftware beeinflussen zu lassen. Eine finanzielle Beteiligung an den erwirtschafteten Einsparungen erhalten zunächst nur die Ärzte in Baden-Württemberg.
Nicht beteiligt werden definitiv die Apotheken, obwohl bei ihnen ebenso wie beim pharmazeutischen Großhandel die komplette Last der differenzierten Lagerhaltung aufläuft. Dass dies zusammen mit dem erhöhten Kassenabschlag zu einer schwerwiegenden Doppelbelastung führt, interessiert im politischen Berlin zurzeit wohl niemanden. Dr. Ulrich Bethge vom Sächsischen Apothekerverband bringt die Kritik der Apotheker auf den Punkt: »Eine Straffung des Warenlager ist schier unmöglich.« In anderen Ländern, wo kassenspezifische Arzneimittellisten im Rahmen von Managed-Care-Modellen (HMO) längst zum Versorgungsalltag gehören, lässt sich ein mögliches Szenario für den Apothekenmarkt bereits absehen: In Israel gehört die Hälfte aller Apotheken speziellen Versicherungsgruppen an und darf nur noch Kassenmitglieder mit den jeweiligen Arzneimitteln versorgen.