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Selbstmedikationsbudget

Eine Idee mit Potenzial

29.03.2011  17:58 Uhr

Von Uwe May / Die Umsätze mit nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sinken, auch in öffentlichen Apotheken. Ein sogenanntes Selbstmedikationsbudget könnte Anreize für Patienten schaffen, vermehrt OTC-Präparate direkt in der Apotheke zu kaufen.

Versicherte in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehen statistisch betrachtet 18-mal im Jahr zum Arzt, der ihnen im Schnitt zehn Arzneimittel verordnet. Ein bedeutender Teil dieser Arztbesuche und Verordnungen entfällt auf leichtere Gesundheitsstörungen, die auch im Rahmen der Selbstmedikation behandelbar wären. Auf diese Weise könnten Zeit- und Ressourcenaufwendungen auf Arzt- sowie auf Patientenseite reduziert werden. Ein sogenanntes Selbstmedikationsbudget im Sinne einer teilweisen Rückerstattung oder eines finanziellen Anreizes für die Versicherten, vermehrt rezeptfreie Arzneimittel direkt in der Apotheke zu erwerben, hätte einen steuernden, medizinisch vertretbaren und gesundheitsökonomisch sinnvollen Effekt.

 

Kosten im Gesundheitssystem sparen

 

Die Idee eines Selbstmedikationsbudgets beruht auf der Erkenntnis, dass die eigenverantwortliche Anwendung rezeptfreier Arzneimittel mit einem medizinisch vertretbaren Einsparpotenzial für das Gesundheitssystem verbunden ist. Bei der Prävention und Behandlung leichter Gesundheitsstörungen kommen OTC-Arzneimittel in Deutschland täglich millionenfach zur Anwendung. In vielen Fällen wird dadurch einer sonst notwendigen Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung vorgebeugt, und die Verordnung von Arzneimitteln zulasten der GKV wird vermieden.

Auf diese Weise werden für die Krankenkassen Kosten für Medikamente und ärztliche Leistungen reduziert. Zudem können die Mediziner so ihre knappe Zeit stärker auf schwerwiegendere Behandlungsfälle konzentrieren. Allein saisonale Effekte, wie etwa die herbstliche Erkältungswelle, würden ohne die Möglichkeit eigenverantwortlicher Behandlungen die Kapazitäten im System der ambulanten Gesundheitsversorgung übersteigen

 

Die Entwicklungschancen der Selbstmedikation gehen jedoch über das heute in Deutschland realisierte Niveau hinaus. Die Deutschen sind »Weltmeister« bei der Zahl Ihrer Arztkontakte und die Bereitschaft zur Eigenverantwortung ist im Umkehrschluss nur relativ gering ausgeprägt. Der Frage, ob sich Patienten für eine Arztkonsultation oder eine Selbstbehandlung entscheiden, geht in jedem Einzelfall eine persönliche Abwägung, auch unter Berücksichtigung finanzieller Aspekte, vo-raus. Daher sind finanzielle Anreize eine wichtige Voraussetzung dafür, das Potenzial der Selbstmedikation auszuschöpfen.

 

Eine Unterstützung könnte dabei ein »Selbstmedikationsbudget« sein. Dieses Budget soll GKV-Versicherten unabhängig von ihrem Einkommen, die eigenverantwortliche Behandlung leichter Gesundheitsstörungen ermöglichen. Im unmittelbarsten Sinne könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass die Versicherten einen bestimmten Euro-Betrag zur Verfügung haben, bis zu dessen Höhe sie in der Apotheke selbstgekaufte Arzneimittel erstattet bekommen. Um unter einer solchen Rege-lung »Hamsterkäufe« zwecks Budgetausschöpfung zu vermeiden, wäre diese sinnvollerweise mit einer spürbaren Selbstbeteiligung zu kombinieren.

 

Beratungsschein oder Grünes Rezept

 

Ebenso denkbar wären Gestaltungsmöglichkeiten, bei denen über eine Beitragsrückerstattung in Abhängigkeit dokumentierter Selbstbehandlungsaufwendungen ein finanzieller Anreiz gesetzt wird. Ein Selbstmedikationsbudget könnte als Wahl- oder Zusatztarif, aber auch im Rahmen der Grundversorgung der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung angeboten werden, sofern dafür die gesetzlichen Vo-raussetzungen existieren.

Bei der praktischen Umsetzung des Selbstmedikationsbudgets wären die Apotheker prädestiniert, eine maßgebliche Rolle zu spielen. Um die Zweckmäßigkeit der OTC-Therapie zu dokumentieren, den Heilungserfolg zu optimieren und so letztlich auch die Wirtschaftlichkeit sicherzustellen, könnte eine pharmazeutische Beratung obligatorisch vorgesehen werden. Die Erstattung oder Teilerstattung der Selbstmedikationskäufe könnte dann zum Beispiel gegen Vorlage eines als Beleg geltenden »Beratungsscheins« aus der Apotheke erfolgen.

 

Im Falle einer Arztkonsultation könnte alternativ auch das Grüne Rezept eine Basis für die Geltendmachung einer Rückerstattung darstellen. In diesem Fall wird zwar – zumindest bei der Erstverordnung – der mit einem Arztbesuch verbundene Ressourcenaufwand nicht vermieden, der Krankenversicherung werden aber die in der Regel höheren Kosten einer klassischen Arzneimittelverordnung erspart.

 

Im Hinblick auf die Sicherheit und Qualität der Versorgung baut die Idee des Selbstmedikationsbudgets weder für den Patienten noch für den Arzt Hürden auf, die einer notwendigen Verordnung auf GKV-Rezept oder einer vom Patienten gewünschten Arztkonsultation im Wege stehen. Die Steuerungseffekte eines Selbstmedikationsbudgets sind darauf beschränkt, die individuelle Entscheidung eines Patienten für oder gegen eine medikamentöse Selbstbehandlung unabhängiger von eigenen finanziellen Erwägungen zu machen. Damit werden die Einzelentscheidungen der Patienten stärker in Einklang mit dem Gemeinschaftsinteresse an einem sparsamen und verantwortungsvollen Umgang mit den beschränkten Mitteln des Gesundheitssystems gebracht.

 

Vorliegende ökonomische Daten wären geeignet die GKV-Einsparpotenziale bezogen auf eine konkrete Ausgestaltung dieser Idee zu beziffern. Neben dem Wert der Selbstmedikation würde auf diese Weise auch ein Beitrag dazu geleistet, den gesundheitsökonomischen Wert der pharmazeutischen Leistung zumindest partiell messbar zu machen.

 

In Zukunft sollte eine konstruktive fachliche Diskussion zwischen den Beteiligten an der Arzneimittelversorgung stattfinden, um praxistaugliche Konzepte zur Umsetzung der beschriebenen Vision zu entwickeln. Diese sind so auszugestalten, dass die potenzielle »Win-Win-Win-Situation« für Patienten, Krankenkassen und Apotheker zum Tragen kommt. Nur unter dieser Voraussetzung ist zu erwarten, dass alle Beteiligten mitspielen und die Idee eines Selbstmedikationsbudget mit Leben füllen.

 

Die Arzneimittelhersteller wären in diesem Stadium der Umsetzung nicht mehr selbst Handelnde aber immer noch Betroffene, indem sie von dem steigenden Stellenwert der OTC-Therapie profitieren würden. Gemeinsames Ziel sollte die Stärkung einer medizinisch und ökonomisch sinnvollen Selbstmedikation zum Wohle der Patienten und des Gesundheitssystem sein. / 

Der Autor

Dr. Uwe May arbeitet in der Abteilung Gesundheitsökonomie und Grundsatzfragen beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller.

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