Von Kampfgas bis Kinasehemmung |
18.02.2014 10:21 Uhr |
Von Maria Pues, Frankfurt am Main / Von den ersten Schritten in der Entwicklung krebshemmender Wirkstoffe bis zu Ansätzen für die Zukunft: Gut 100 Jahre Arzneistoffentwicklung hatte das traditionelle Fertigarzneimittelseminar der Universität Frankfurt am Main im Blick. Eine Auswahl.
Ausgangsverbindung für die Entwicklung der klassischen Zytostatika wie Melphalan war Senfgas (LOST), ein gefürchtetes Kampfgas, das im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kam, erinnerte Mani Zayyeni. Wirkstoffe aus der Gruppe der daraus abgeleiteten Alkylanzien stören die DNA-Replikation und damit die Zellvermehrung, indem sie DNA-Stränge miteinander oder mit Proteinen vernetzen.
Weitere Ansatzpunkte folgten und damit neue Wirkstoffgruppen: Platinverbindungen wie Carboplatin und Cisplatin induzieren den intrinsischen Apoptoseweg; Antimetabolite wie Methotrexat oder 6-Mercaptopurin werden als falsche Bausteine in die DNA eingebaut; Mitosehemmstoffe wie Vinca-Alkaloide oder Taxane binden an Mikrotubuli; Tyrosinkinasehemmer wie Imatinib oder Dasatinib hemmen Signalwege für das Zellwachstum und damit die – abnorm erhöhten – Teilungsraten bestimmter Tumorzellen.
Neues zu Vinca-Alkaloiden und Taxanen
Dass Mitosehemmstoffe wie Vinca-Alkaloide und Taxane über weitere Wege wirken als über den bekannten Mechanismus, erläuterte Royenkle Sachdeva. Bekanntermaßen greifen Wirkstoffe aus diesen Gruppen an den Mikrotubuli an. Diese stellen dynamische Strukturen dar, die in ständigem Umbau begriffen sind. Vinca-Alkaloide stören deren Funktionen, indem sie sie destabilisieren, Taxane hingegen, indem sie sie stabilisieren und so den dynamischen Umbau verhindern. Für Microtubule-Targeting Agents (MTA) habe man aber darüber hinaus neue Wirkmechanismen entdeckt: So induzierten sie zudem den intrinsischen Apoptoseweg, indem sie mit Mitochondrien interagieren. Sie hemmen die Metastasierung, indem sie Matrix-Metalloproteinasen blockieren und die Flexibilität des Zytoskeletts vermindern. Und sie besitzen antivaskuläre Effekte und verhindern damit die Gefäßneubildung und zerstören Blutgefäße des Tumors.
Starke Nebenwirkungen und Resistenzbildungen reduzieren oder verhindern nicht selten den Therapieerfolg. Neben der Suche nach neuen Wirkstoffen steht daher die Optimierung vorhandener Therapien im Zentrum der Forschung. So könne ein Glucose-Substituent in Glufosfamid möglicherweise die Spezifität des Wirkstoffs auf die im Vergleich zu gesunden Zellen stoffwechselaktiveren Tumorzellen erhöhen – ein Ziel, das auch die Verarbeitung von Wirkstoffen in Nanopartikeln verfolgt. Auch unterschiedliche Therapieregimes wie die metronomische Therapie werden untersucht. Diese besteht in der Gabe niedriger Wirkstoffdosen über einen längeren Zeitraum anstelle einer Stoßtherapie und könnte sich in der adjuvanten Chemotherapie bewähren. Resistenzen gegen Platinverbindungen kommen unter anderem durch veränderten Transport in die oder aus der Zelle sowie über Reparaturmechanismen zustande, erläuterte M. Jalil Y. Djahani. Zu diesen gehören das nucleotide excision repair (NER)- und das mismatch repair (MMR)-System. Neuere Entwicklungen versuchten, Resistenzmechanismen auszuschalten. So diffundiere Satraplatin unabhängig von Transportproteinen passiv in die Zelle.
Nutzen durch Gentest
Eine zielgerichtete Krebstherapie kann darin bestehen, durch einen Gentest festzustellen, ob eine für das Ansprechen eines Wirkstoffs erforderliche Mutation beim Patienten überhaupt vorliegt oder in anderen Fällen, ob mit einer erhöhten Toxizität gerechnet werden muss. Letzteres könne bei der Anwendung von 6-Mercaptopurin der Fall sein, sagte Joëlle-Béatrice Bourdin. Dreh- und Angelpunkt sei hier die Aktivität der TPMT, der Thiomethylpurintransferase. Ein Mangel an diesem Enzym kann zur Akkumulation des Wirkstoffs führen.
Patienten, die eine Chemotherapie benötigen, fürchten zahlreiche Nebenwirkungen – vor allem schwere Übelkeit und starkes Erbrechen. Dass diese nicht bei allen Substanzklassen in gleichem Ausmaß auftreten, erläuterte Lisa Bachmann. Ein sehr hohes emetogenes Potenzial haben beispielsweise Cisplatin oder Carmustin, gering ausgepägt ist es bei Vincristin. Daneben kann es zu einem antizipatorischen Erbrechen kommen: Patienten entwickeln Übelkeit und Erbrechen aus Angst, dass diese Nebenwirkungen auftreten könnten. Je nach Art des Erbrechens – akutes, verzögertes oder antizipatorisches – muss unterschiedlich behandelt werden.
Auf eine spezifische Nebenwirkung der Tyrosinkinasehemmer wies Jan Möller hin. Diese könnten zu schweren Hautreaktionen führen, die keinesfalls im Rahmen einer Selbstmedikation behandelt werden dürften. Wechselwirkungen drohen bei gleichzeitiger Anwendung von Protonenpumpenhemmern oder H2-Rezeptor-Antagonisten, da diese den pH-Wert des Magens erhöhen und so die Resorption einiger Wirkstoffe aus dieser Gruppe vermindern können. Antazida eigneten sich besser, sollten aber in zeitlichem Abstand zur Chemotherapie angewendet werden.
Cave Vitaminpräparate
Neben oder statt der Chemotherapie suchen viele Patienten nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten – zuweilen ohne Wissen des Arztes. Komplemen-tärmedizin versteht sich dabei als Ergänzung zur Schulmedizin, Alternativmedizin als deren Ersatz. Während Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arzneimitteln häufig bekannt sind, ist dies bei Nahrungs(ergänzungs)mitteln meist nicht der Fall. Zusätzliche Maßnahmen, die die Lebensqualität des Patienten verbesserten, seien erlaubt, sofern sie nicht zu Wechselwirkungen mit der Chemotherapie führen. Kritisch sei daher nicht nur der Kundenwunsch nach beispielsweise einem Johanniskrautpräparat zu bewerten, sondern möglicherweise auch nach Vitaminpräparaten. Diese können über antioxidative Effekte die Wirkung von Zytostatika vermindern, wenn für deren Wirkung bestimmte Oxidationsstufen oder radikalische Zwischenstufen eine Rolle spielen.
An Krebsvorsorge denken
Auf die Bedeutung von Früherkennungsmaßnahmen bei Brustkrebs, Dickdarmkrebs und Prostatakrebs wiesen Cancan Celebi, Fabio Noble und Franziska Löhmann hin. Brustkrebs stellt die häufigste Krebsart bei Frauen dar, Dickdarmkrebs die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache in Europa und Prostatakrebs die häufigste Krebsart bei Männern. Dessen Mortalität ist mit etwa 3 Prozent gering. Die Frage, wer ab welchem Alter wie oft eine Vorsorgeuntersuchung vornehmen lassen sollte, lässt sich oft nicht leicht beantworten.
Bekannte Erkrankungen in der Familiengeschichte machen eine frühere Untersuchung erforderlich als gemeinhin empfohlen. Andererseits lassen Testergebnisse nicht immer eine klare Aussage zu: So haben 70 Prozent der Männer mit einem PSA-Wert über dem Grenzwert von 4 ng/ml Blut kein Prostatakarzinom. Ganz alltägliche Faktoren können den Wert erheblich beeinflussen, erläuterte Löhmann. Dieser steige nach einer Fahrt mit dem Rad um etwa das 1,5-Fache und normalisiere sich erst nach ein bis zwei Tagen wieder. Umgekehrt haben aber Männer mit einem Wert unter 4 ng/ml Blut allenfalls in Ausnahmefällen ein Prostatakarzinom. Dennoch biete die Möglichkeit zur Früherkennung auch die Möglichkeit einer frühen Behandlung; Patienten sollten diese Chance wahrnehmen, so die Studierenden in ihrem Fazit. /