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Analgetika

Neubewertung von Coffein und Paracetamol

16.02.2009  14:54 Uhr

Pharmacon Davos 2009

<typohead type="3">Analgetika: Neubewertung von Coffein und Paracetamol

 

Coffein galt in der Schmerztherapie lange Zeit als problematisch, Paracetamol als harmlos. Gerade scheint ein Umdenken stattzufinden. Das erläuterte Dr. Eric Martin, Apotheker aus Marktheidenfeld, bei seinem Vortrag zur Selbstmedikation mit Schmerzmitteln.

 

In den vergangenen Jahren mauserten sich Kombinationspräparate mit Coffein vom Problem zum Mittel der ersten Wahl. »Diese Neubewertung stützt sich vor allem auf klinische Studien, die eine gute Wirksamkeit bei Migräne und Spannungskopfschmerz belegen«, berichtete Martin. Coffein weise einen milden gefäßverengenden Effekt auf, der Migränepatienten zugute komme, und beschleunige die Aufnahme von Paracetamol und Acetylsalicylsäure (ASS). Zudem zeige Coffein eine schwache Eigenwirkung. Denn als Agonist an zentralen  Adenosin-Rezeptoren verstärke es schmerzhemmende Übertragungswege des Nervenbotenstoffs Glycin. »Noch nicht abschließend bewerten lassen sich die Risiken«, sagte Martin. Doch deuteten zwei Übersichtsarbeiten aus dem Jahr 2000 darauf hin, dass Fixkombinationen mit Coffein weder abhängig machen noch die Nieren schädigen. Aufgrund der Erkenntnisse nennt die 2002 erschienene Therapieleitlinie der Deutschen Migräne und Kopfschmerz Gesellschaft (DMKG) die Kombination aus ASS, Paracetamol und Coffein (500+500+30 mg oder ähnliche Dosierungen) als Mittel der ersten Wahl bei Migräne und Spannungskopfschmerz. Alternativ empfiehlt sie bei Letzterem ASS (1000 mg) oder Ibuprofen (400 mg), bei Migräne ASS (1000 mg), Ibuprofen (400 mg) und Paracetamol (1000 mg).

 

Als zweite Neuigkeit behandelte Martin die ab April 2009 geltende Rezeptpflicht für Fertigarzneimittel, die pro Packung mehr als 10 g Paracetamol enthalten. »Hintergrund sind Leberschäden, die bei Überdosierungen von Paracetamol auftreten«, sagte Martin. 2006 meldeten die deutschen Giftberatungszentren 4184 Fälle, bei 63 Prozent handelte es sich um Selbstmordversuche. Die Leberzellschädigung erfolgt durch den Paracetamol-Metaboliten N-Acetyl-p-Benzochinonimin. Normalerweise lässt sich dieses Abbauprodukt durch körpereigenes Glutathion entgiften, doch reicht es bei akuter Überdosierung oder Dauerzufuhr von Paracetamol nicht aus. Die Therapie erfolgt mit dem Gegengift N-Acetylcystein alle vier Stunden. Bleibt ein Patient länger als 48 h unbehandelt, beträgt sein Sterberisiko 19 Prozent.

 

Um Patienten vor Paracetamol-Überdosierungen zu schützen, forderte Martin neben der Rezeptpflicht die Einführung von noch mehr Dosierungsstufen für Kinder als bisher. »Grundsätzlich sollen Patienten Paracetamol nicht öfter und länger als nötig einnehmen«, sagte Martin. Sie sollten frühestens nach acht bis zehn Stunden nachdosieren und vorher die Notwendigkeit überprüfen, etwa durch eine Fiebermessung. Insgesamt sei die Gabe auf höchstens drei Tage in Folge, beziehungsweise zehn Tage im Monat zu begrenzen. Vor der Abgabe von Paracetamol sollten Apotheker eine Medikamentenanamnese durchführen. Denn viele Erkältungsmittel enthielten ebenfalls den Wirkstoff, und auch die Kombination mit Rifampicin, Isoniazid, Phenobarbital und anderen Enzyminduktoren berge Risiken, da sie zu einem Anstieg von N-Acetyl-p-Benzochinonimin führten. Vorsicht geboten sei auch bei Menschen mit verringerten Glutathionreserven infolge einer Magersucht oder eines Muskelabbaus. Als absolute Gegenanzeigen nannte Martin akute Hepatitis, Leberinsuffizienz und Alkoholismus.

 

Auch allgemein sei Paracetamol nicht so harmlos wie gemeinhin angenommen. Denn inzwischen belegten Studien, dass es nicht nur im Gehirn schmerzstillend wirkt, sondern zudem das Enzym Cyclooxygenase-2 (COX-2) und zu geringerem Ausmaß auch COX-1 hemmt. »Damit könnte es ähnliche Nebenwirkungen verursachen wie andere COX-Hemmer, die bei Schmerzen und Entzündungen Verwendung finden«, sagte Martin. Die Hemmung von COX-2 bringe mitunter Herzinfarkte und Schlaganfälle mit sich, die von COX-1 verursache Ulzerationen im Magen-Darm-Trakt, Asthma, Nierenschäden und damit verbunden eine verminderte Wirkung blutdrucksenkender Medikamente. In der sogenannten »Nurses' Health Study« ließen sich sämtliche unerwünschten Effekte auch Paracetamol zuordnen, wenn auch zu geringerem Ausmaß als bei anderen COX-Hemmern. Weiterhin bestätigt die ISAAC-Studie, die mehr als 226.000 Kinder aus 31 Ländern umfasst, einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol im ersten Lebensjahr und dem späteren Auftreten von Asthma.

 

»Womöglich machen diese Daten eine Neubewertung von Paracetamol erforderlich«, sagte Martin. Dennoch hält er alle zugelassenen Schmerzmittel für sicher – bei Beachtung der Wechselwirkungen und Gegenanzeigen, angemessener Dosierung und kurzfristiger Gabe. »Dabei tragen Ärzte und Apotheker eine enorme Verantwortung.«

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