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Resistente Tuberkulose

Epidemie auf dem Vormarsch

07.02.2012  15:59 Uhr

Von Maria Pues / Zwar ist die Zahl der Tuberkulosefälle rückläufig. Doch TB bleibt weltweit die Infektionskrankheit Nummer eins. Resistenzen erschweren die langwierige Therapie. Nach 50 Jahren ohne Arzneistoffneuheiten tut sich jetzt was in der Pipeline.

Dank hohem Lebensstandard und guter medizinischer Versorgung ist in Deutschland die Zahl der Tuberkuloseinfektionen auf zuletzt rund 4400 Fälle zurückgegangen. Auch weltweit sind die Zahlen rückläufig. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist rund ein Drittel der Weltbevölkerung mit einem der Tuberkuloseerreger infiziert. Jährlich stecken sich rund neun Millionen Menschen an. Davon entwickeln 5 bis 10 Prozent eine behandlungsbedürftige Erkrankung. 2010 starben weltweit 1,4 Millionen Menschen an Tuberkulose. Damit bleibt TB die Infektionskrankheit, die die meisten Todesopfer fordert. Besonders gefährdet sind Menschen mit schlechtem Allgemeinzustand und/oder verminderter Immunabwehr.

Der häufigste Tuberkuloseerreger beim Menschen ist das Mycobacterium tuberculosis. Es gibt eine Reihe weiterer Familienmitglieder des Bakteriums, die beim Menschen pathogen wirken. Sie werden unter der Bezeichnung Mycobacterium-tuberculosis-Komplex zusammengefasst. Daneben gibt es weitere für den Menschen nicht oder nur fakultativ pathogene Arten. Eine Ansteckung erfolgt zumeist über Kontakt zu Patienten, die an einer offenen Tuberkulose erkrankt sind. Die Infizierten verbreiten nicht nur beim Husten, sondern bereits beim Sprechen ein erregerhaltiges Aerosol. Man geht davon aus, dass eine Ansteckungsgefahr besteht, solange sich Erreger im Sputum nachweisen lassen. Lungentuberkulose ist mit rund 80 Prozent zwar die häufigste, jedoch nur eine von zahlreichen Erkrankungsformen. Grundsätzlich können alle Organe befallen sein. Die Symptome nach der Inkubationszeit von acht Wochen sind meist unspezifisch: ein wenig Husten mit oder ohne Auswurf, ein wenig Fieber, gelegentlich Brustschmerzen. Experten raten, bei länger als drei Wochen andauerndem Husten einen Arzt aufzusuchen.

 

Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Behandlung beginnen bereits bei der Diagnostik. Da das Bakterium sich mit rund 18 Stunden relativ langsam teilt, benötigt der Nachweis in Kulturen sechs bis acht Wochen. Der Test aus dem Sputum gelingt nur bei offener Tuberkulose oder aus Gewebeproben. Er hat den Vorteil, dass mit der Kultur auch Resistenztests durchgeführt werden können. Dies sollte bei jedem Erstisolat erfolgen. Mithilfe verschiedener Färbemethoden lassen sich die Bakterien auch mikroskopisch identifizieren. Eine wichtige Rolle bei der Diagnose spielt immer noch die Röntgenuntersuchung. Ein Hauttest (Tuberkulin-Test) liefert schnelle, aber wenig zuverlässige Ergebnisse. Neuere Entwicklungen stellen immunologische Verfahren dar, die jedoch ärmeren Ländern – und gerade dort erkranken die meisten Menschen – meist nicht zur Verfügung stehen.

 

Die Behandlung der Tuberkulose erfordert immer eine Kombinationstherapie. Zum einen, da verschiedene Erreger des Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes auf die verschiedenen Substanzen unterschiedlich gut ansprechen. Zum anderen, weil sie sich in verschiedenen Organen oder Zellen in verschiedener Menge anreichern, in denen sie jeweils unterschiedlich gut erreichbar sind. Die zur Verfügung stehenden Arzneimittel haben sich in den vergangenen 50 Jahren praktisch nicht geändert (Tabelle 1). Allerdings befanden sich 2011 nach Informationen des Verbands forschender Pharmaunternehmen elf neue oder für andere Zwecke zugelassene Wirkstoffe in klinischen Studien. Sie sollen die Therapie bei resistenten Erregern verbessern oder die Behandlungsdauer verkürzen. Zum Beispiel strebt Bayer eine Zulassungserweiterung des Gyrasehemmer Moxifloxacin an. Klinische Studien könnten 2013 abgeschlossen sein; eine Zulassung 2014 erfolgen.

Tabelle 1: Standardmedikamente

Substanz Abkürzung Abkürzung international Dosierung (täglich)
Isoniazid INH H 200-300 mg
Rifampicin RMP R 450-600 mg
Pyrazinamid PZA Z 1500-2500 mg
Ethambutol EMB E 800-2000 mg
Streptomycin SM S 600-1000 mg

Die Behandlung stellt große Anforderungen an die Disziplin der Patienten. Sie müssen davon überzeugt werden, ihre Medikation trotz möglicherweise subjektiv wenig belastender Symptome und trotz belastender Nebenwirkungen (Tabelle 2) über mehrere Monate konsequent durchzuhalten.

Tabelle 2: Mögliche Nebenwirkungen der Standardmedikamente

Substanz häufig selten
Isoniazid Transaminasenerhöhung Akne Hepatitis, kutane NW, Polyneuropathie
Rifampicin Transaminasenerhöhung Cholestase Rotfärbung von Körperflüssigkeiten (Kontaktlinsen) Hepatitis, kutane NW, Thrombopenie, Übelkeit, Fieber, »Flu-like«-Syndrom
Pyrazinamid Transaminasenerhöhung Übelkeit, Erbrechen Flush-Syndrom, Myopathie Arthralgie, Hyperurikämie Hepatitis, kutane NW
Ethambutol retrobulbäre Neuritis, Arthralgie, Hyperurikämie
Streptomycin Gleichgewichtsstörungen, Tinnitus, Hörverlust, Kutane NW

Bei nicht ausreichender Dosierung oder Behandlungsdauer droht die Entwicklung resistenter Erregerstämme, von denen man bereits heute mehrere kennt und unterscheidet: Erreger, die gegen mindestens einen der fünf Standardarzneistoffe (Tabelle 1) resistent sind, bezeichnen Experten mit »jeglicher Resistenz«. Ihr Anteil lag laut Robert-Koch-Institut 2009 in Deutschland bei 11,4 Prozent. Multiresistent (MDR-TB) heißen Erreger, die gleichzeitig gegen die beiden wichtigsten Erstrang-Arzneimittel – Isoniazid und Rifampicin – resistent sind. Dies waren hierzulande 2,1 Prozent.

Das erscheint auf den ersten Blick nicht viel. Experten reagierten jedoch alarmiert, denn die Rate liegt über dem europäischen Durchschnitt. Liegt eine MDR-TB vor, muss eine Therapie nach Austestung der individuellen Resistenzen erfolgen und durch mehrere weitere Arzneimittel ergänzt werden.

 

Resistent, resistenter, totalresistent

 

Mittlerweile gibt es eine Steigerung der Multiresistenz: Sie wird als extrem resistente Tuberkulose (XDR-TB) bezeichnet. XDR-TB-Stämme sind zusätzlich gegen Zweitlinien-Therapien mit einem Fluorchinolon und mindestens einem injizierbaren Antituberkulotikum – Amikacin, Capreomycin, Kanamycin – resistent. Bisher nur als Einzelfälle wurden Erregerstämme entdeckt, die gegen praktisch alle Antituberkulotika (XXDR-TB) oder sogar komplett alle verfügbaren Arzneistoffe (total TDR-TB) resistent sind. Einen solchen Erreger fanden Forscher diesen Januar in Indien. Die Gefahr durch resistente Stämme, die durch den Mangel an Behandlungsalternativen noch verstärkt wird, hat weltweit Wissenschaftler alarmiert. In einem ausführlichen Beitrag im Fachmagazin »The Lancet« hatten sie 2010 entschlossenes und geschlossenes Handeln, eine Nutzung der bereits vorhandenen Möglichkeiten und finanzielle Unterstützung angemahnt (doi: 10.1016/S0140-6736(10)60410-2). Bereits im Jahr 2008 habe man 440 000 Fälle resistenter Tuberkulosen gezählt, aber nur bei 7 Prozent davon sei der genaue Erregertyp identifiziert worden. Wiederum nur ein Fünftel von diesen 7 Prozent sei nach aktuellen WHO-Standards behandelt worden.

 

Für Europa hat die WHO einen Aktionsplan mit großen Zielen aufgelegt: So soll eine Viertelmillion neuer MDR-Fälle und 13 000 neuer XDR-Fälle verhindert und bei 127 000 von 225 000 neu diagnostizierten MDR-TB-Fällen eine erfolgreiche Behandlung sichergestellt werden, um eine weitere Ausbreitung von Resistenzen einzudämmen. Die Autoren äußern verhaltenen Optimismus, dass mittels des Plans die Ausbreitung resistenter Stämme in den Griff zu bekommen sei. /

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