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Bundessozialgericht

Schmerzhafte Retaxierung

08.02.2011  17:48 Uhr

Von Siegfried Löffler, Kassel / Ein Apotheker aus Süddeutschland muss eine schmerzhafte Retaxierung verkraften. Von Juli bis Dezember 2005 gab er ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel mit dem Wirkstoff Thalidomid (früher bekannt als Contergan) an eine Versicherte ab. Es ging um einen Betrag von rund 20 000 Euro, den die zuständige Ersatzkasse nicht erstatten wollte.

Während das Sozialgericht Konstanz und das Landessozialgericht Baden-Württemberg der Klage des Apothekers stattgaben, wurden beide Urteile von der höchsten Instanz wieder kassiert. Der Erste Senat des Bundessozialgerichts (BSG) stellte in seiner Entscheidung vom 28. September (Aktenzeichen: B 1 KR 3/10 R) klar, dass der Zahlungsanspruch des Apothekers für die Medikamentenlieferung analog §§ 387 ff BGB durch Aufrechnung mit einem der Ersatzkasse zustehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Apotheker in gleicher Höhe erloschen ist.

Der Apotheker hatte für eine im Jahr 2007 ge­stor­bene krebskranke Versicherte nach Vorlage vertragsärztlicher Rezepte das zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland und der EU nicht zu­gel­assene Arzneimittel im Einzelimport außer­halb der EU beschafft. Nachdem sich Thalido­mid bei der Behandlung eines multiplen Mye­loms, an dem die Versicherte litt, als wirksam erwiesen hatte, erhielt der Wirkstoff in den Jah­ren 2003 beziehungsweise 2006 in Australien und den USA eine Zulassung zur Behandlung dieser Krankheit. In Deutschland und der EU ge­schah das erst 2008 mit besonderen Ein­schrän­kungen. Da war die Frau aber bereits gestorben.

 

Die Ersatzkasse setzte sich beim BSG mit dem Argument durch, die Versicherte habe eine für Einzelimporte erforderliche vorherige Geneh­migung nicht vorlegt. Eine Ende Mai 2006 erfolgte Zusage zur Kostenübernahme bis zum 30. April 2007 habe keine Rückwirkung für bereits belieferte Arzneimittelverordnungen entfaltet. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kommt es für die Beurteilung von Leistungspflichten und Ansprüchen der Versicherten allein auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Versorgung an, während »nachträglich gewonnene Erkenntnisse dafür ohne Belang sind«, heißt es beim Gericht.

 

Grundsätzliches Importverbot beachten

 

Alle Senate des BSG, die sich mit dem Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) befassen, sind sich darin einig, dass »Leistungserbringer die Vergütung für unter Verstoß gegen Vorschriften erbrachte Leistungen selbst dann nicht beanspruchen können, wenn diese Leistungen ordnungsgemäß erbracht worden und für die Versicherten geeignet und nützlich sind«. Vergütungsansprüche bestehen nur dann, »wenn für die Apotheke ohne Weiteres klar ist, dass die Belieferung zulasten einer Krankenkasse zulässig ist«. Apotheken müssen nach Meinung der Richter das grundsätzliche Importverbot von nicht in Deutschland und der EU zugelassenen Arzneimitteln beachten, in ihre Prüfung aber auch Ausnahmen, wie etwa eine Sondergenehmigung durch die Krankenkasse, einbeziehen.

 

Der Apotheker aus Baden-Württemberg zahlte mehr als 20 000 Euro Lehrgeld, weil er – so steht es wörtlich in der BSG-Grundsatzentscheidung – »seiner gesetz- und vertragsmäßigen Prüfungspflicht« nicht genügte. Die Begründung der Bundesrichter: »Als er Thalidomid 2005 an die Versicherte abgab, fehlte es an einer Genehmigung der Ersatzkasse. Ebenfalls war zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Arzneimittels von Juli bis Dezember 2005 nicht klar und belegbar, ob das Mittel zur Behandlung der bei der Versicherten bestehenden Krankheit angezeigt war und der Leistungspflicht der GKV unterlag.« ­

 

Kasse muss zustimmen

 

Nach der Entscheidung des BSG folgt im konkreten Fall aus dem am 1. Juli 2005 zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband geschlossenen »Arzneilieferungsvertrag« (ALV) keinesfalls, dass die Versicherten »eine Genehmigung ihrer Ersatzkasse einholen müssen, damit der betroffene Apotheker seine Leistung vergütet erhält«. Die Vertragspartner des ALV haben nicht die Befugnis, GKV-Versicherten in einer Regelung des Leistungserbringungsrechts Pflichten aufzuerlegen, die gesetzlich nicht vorgeschrieben sind.

 

Daraus folgt, dass sich in derartigen Fällen die Apotheker um die Genehmigung der Ersatzkasse bemühen müssen. Der konkrete Fall zeigt, dass trotz kassenärztlicher Verordnung ein Sachleistungsanspruch erst dann besteht, wenn die Krankenkasse vorher zugestimmt hat. / 

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