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Neu auf dem Markt

Nilotinib, Panitumumab und Stiripentol

08.04.2008  16:59 Uhr

Neu auf dem Markt

<typohead type="3">Nilotinib, Panitumumab und Stiripentol

Von Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand

 

Mit Nilotinib und Panitumumab kamen im Januar zwei neue Krebsmedikamente auf den Markt. Nilotinib wird bei einer bestimmten Form der Leukämie eingesetzt, Panitumumab bei Darmkrebs. Der dritte Neuling ist ein Antikonvulsivum, das bei einer seltenen Form der Epilepsie zum Einsatz kommt.

 

Seit 2001 ist mit Imatinib (Glivec®) in der EU ein Wirkstoff zur Therapie von Patienten mit chronischer myeloischer Leukäme (CML) zugelassen. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, bei der  bestimmte weiße Blutkörperchen, nämlich die Granulozyten, unkontrolliert zu wachsen beginnen. Imatinib kann bei Patienten eingesetzt werden, die »Philadelphia-Chromosom-positiv« (Ph+) sind, das heißt, bei denen sich Gene so umgelagert haben, dass ein sogenanntes Philadelphia-Chromosom entstanden ist. Dieses produziert ein Enzym, das zur Entwicklung der Leukämie führt.

 

Nilotinib

 

Mit Nilotinib (Tasigna®, Novartis Pharma) ist seit Anfang des Jahres ein neuer Tyrosinkinase-Inhibitor auf dem deutschen Markt. Zugelassen ist er in der chronischen und akzelerieten Phase (siehe dazu Kasten) für die Zweit-Linien-Therapie bei Patienten mit CML, die Ph+ sind und die Imatinib nicht vertragen oder dagegen resistent sind. Das Enzym Abl-Tyrosinkinase, das von Leukämiezellen produziert wird und dazu führt, dass sich diese unkontrolliert vermehren, ist an der Krankheitsentstehung in hohem Maße beteiligt. Imatinib hemmt die Aktivität dieser Kinase des Onkoproteins Bcr-Abl, indem es mit hoher Affinität an die ATP-Bindungsstelle andockt. Dadurch trägt der Wirkstoff dazu bei, die Ausbreitung der Krebszellen einzudämmen.

Chronische myeloische Leukämie

Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist die zweithäufigste Form der chronischen Leukämien. Sie geht mit einer starken Vermehrung von weißen Blutkörperchen, insbesondere von Granulozyten und ihrer Vorstufen im Blut und blutbildenden Knochenmark einher, und ist in der Anfangsphase häufig symptomlos. Die CML verläuft klassischerweise in drei Krankheitsphasen. In der Ersten (chronische Phase) expandiert die granulozytäre Zellpopulation, weist aber noch die Fähigkeit zur Differenzierung auf. Die meisten Fälle werden in dieser Phase diagnostiziert. Danach geht die Erkrankung in ein Zwischenstadium, die beschleunigte oder akzelerierte Phase, über. Sie ist zum Beispiel durch zunehmende Blutarmut, Mangel an Blutplättchen und eine zunehmende Milzschwellung gekennzeichnet. Die dritte Phase, die Blastenphasekrise, ist durch massive Vermehrung der Leukozyten charakterisiert. Die Erkrankung ändert ihren Charakter von einem chronischen, eher langsamen Verlauf zu einem Verlauf, der dem einer akuten Leukämie entspricht. Unbehandelt versterben die Patienten meist innerhalb weniger Wochen.

Nilotinib ist als Kapsel mit 200 mg Wirkstoff erhältlich. Die empfohlene Tagesdosis beträgt zweimal zwei Kapseln peroral. Die Behandlung sollte solange fortgesetzt werden, wie der Patient daraus einen therapeutischen Nutzen zieht. Bei bestimmten Nebenwirkungen, die das Blutbild beeinträchtigen wie Neutropenie und Thrombozytopenie, muss die Dosis verringert beziehungsweise die Behandlung gegebenenfalls unterbrochen werden. Patienten sollten die zwei Dosen in einem Abstand von zwölf Stunden einnehmen. Zwei Stunden vor und eine Stunde nach Einnahme sollten Patienten nichts essen, da Nahrungsaufnahme die Bioverfügbarkeit von Nilotinib erhöhen kann.

 

Starke CYP3A4-Hemmer wie Ketoconazol, Itraconazol, Moxifloxacin, Clarithromycin, Telithromycin, Ritonavir sowie Grapefruitsaft können die Serumkonzentration von Nilotinib erhöhen. Die Kombination mit dem Zytostatikum ist daher nicht empfehlenswert. Gleiches gilt für CYP3A4-Induktoren wie Johanniskraut, Carbamazepin, Phenytoin und Rifampicin, da diese die Serumkonzentration von Nilotinib senken können.

 

Zudem hat Nilotinib eine pH-Wert-abhängige Löslichkeit. Stoffe, die die Magensäure-Sekretion hemmen wie Antazida, H2-Blocker und Protonenpumpenhemmer sollten deshalb nicht gleichzeitig mit Nilotinib eingenommen werden.

 

Ferner wurde für Nilotinib eine Verlängerung des QT-Intervalls gezeigt. Vorsicht geboten ist daher bei Patienten, bei denen bereits eine Verlängerung der QT-Zeit vorliegt beziehungsweise bei Patienten, die Wirkstoffe einnehmen, die die QT-Zeit verlängern. Dazu zählen Antiarrhythmika wie Amiodaron, Chinidin und Sotalol, aber auch andere Wirkstoffe wie Haloperidol, Clarithromycin und Chloroquin.

 

Die Wirksamkeit von Nilotinib wurde in zwei Studien mit insgesamt 439 CML-Patienten untersucht, die Imatinib nicht vertrugen oder darauf nicht mehr ansprachen. Allerdings wurde die Behandlung mit keiner anderen verglichen.

 

Eine Studie umfasste 320 Patienten in der chronischen Phase. Als primärer Endpunkt galt die gute zytogenetische Remission, das heißt, dass der Anteil der weißen Blutkörperchen der Patienten, die das Philadelphia-Chromosom enthielten, auf weniger als 35 Prozent sinkt. Knapp die Hälfte der Patienten erreichte unter Nilotinib dieses Ziel.

 

In eine zweite Studie waren 119 Patienten einbezogen, deren Erkrankung in die akzelerierte Phase eingetreten war. Hauptindikator für die Wirksamkeit war der Anteil der Patienten, die eine hämatologische Remission zeigten. Dieses Ziel erreichten unter Nilotinib 50 der 119 Patienten (42 Prozent).

 

Die häufigsten Nebenwirkungen des Medikaments beziehen sich auf das Blutbild. So kann die Zahl der roten und weißen Blutkörperchen (Anämie beziehungsweise Neutropenie) sowie der Blutplättchen (Thrombozytopenie) verringert sein.

 

Zudem zählen Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Ausschlag und Juckreiz, Müdigkeit sowie erhöhte Lipase-Blutspiegel zu den häufigsten Nebenwirkungen unter Nilotinib.

 

Panitumumab

 

Mit Panitumumab kam Mitte Januar ein neuer, rein humaner monoklonaler IgG2-Antikörper für Patienten mit metastasiertem Darmkrebs auf den deutschen Markt (Vectibix® 20 mg/ml Konzentrat, Amgen). Die Tropfinfusion wird als alleinige Therapie angewendet bei Patienten, bei denen die Chemotherapie zum Beispiel mit 5-Fluorouracil, Oxaliplatin und Irinotecan nicht mehr wirkt. Voraussetzung ist, dass die Tumorzellen das EGFR-Protein (epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor) auf ihrer Oberfläche exprimieren und ein nicht mutiertes KRAS-Gen (Wildtyp) aufweisen.

 

Der Antikörper bindet mit hoher Affinität und Spezifität an die ligandenbindende Domäne des humanen EGFR, verhindert das Andocken endogener Liganden und die Autophosphorylierung des Rezeptors. Damit ist die Signalweiterleitung ins Zellinnere gestoppt. Die Bindung von Panitumumab an den Rezeptor löst mehrere Effekte aus: Verlagerung des Rezeptors ins Zellinnere, Hemmung des Zellwachstums, Induktion der Apoptose und verminderte Produktion von Interleukin-8 und EGF. Dieser Mechanismus funktioniert nur, wenn KRAS nicht mutiert ist.

 

Das KRAS-(Kirsten rat sarcoma 2 viral oncogene homologue)-Gen gehört zur Gruppe der Ras-Proto-Onkogene und kodiert ein kleines GTP-bindendes Protein, das in die Signaltransduktion involviert ist. Zahlreiche Signalmoleküle, so auch EGFR, aktivieren KRAS, das dann wiederum andere intrazelluläre Proteine aktiviert und dadurch Zellproliferation und -überleben sowie die Angiogenese anregt. Aktivierende Mutationen im KRAS-Gen führen zu einer ständigen Signalübertragung, die durch EGFR-Liganden nicht unterbrochen werden kann. Daher erscheint die Gabe eines EGFR-Antikörpers hier nicht sinnvoll.

 

Die Wirksamkeit von Panitumumab wurde in einer Hauptstudie mit 463 Patienten mit fortgeschrittenem Kolon- oder Rektumkrebs geprüft. Die Patienten bekamen das Medikament entweder zusätzlich zur besten supportiven Therapie (BSC) oder nur BSC. Primärer Zielparameter war die Zeitdauer, bis sich die Erkrankung verschlimmerte oder der Patient starb. Eine retrospektive Analyse zeigte, dass das progressionsfreie Überleben bei Patienten mit nicht-mutiertem KRAS-Gen unter Panitumumab durchschnittlich bei 12,3 Wochen lag, im Vergleich zu 7,3 Wochen bei alleiniger BSC. Patienten mit KRAS-Mutationen hatten keinen Vorteil von der Antikörpertherapie.

 

Etwa 90 Prozent der Patienten entwickelten Hautreaktionen, die aber meist leicht oder mäßig ausgeprägt waren. Häufig traten auch Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Erschöpfung, Dyspnoe und Husten auf. Bei weniger als 2 Prozent wurden Infusionsreaktionen beobachtet. Bei Patienten mit Lungenentzündung oder -fibrose ist das Medikament kontraindiziert.

 

Der neue Antikörper soll nicht mit Bevacizumab-haltigen Chemotherapien kombiniert werden. Darunter war das progressionsfreie Überleben in einer offenen Studie zur Erstlinientherapie verkürzt und mehr Patienten starben.

 

Die Zulassung wurde unter Auflagen erteilt. Dies bedeutet, dass die EMEA weitere Daten zum Nutzen des Arzneimittels erwartet, vor allem zu Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten mit Wildtyp-KRAS sowie zur Kombination mit Chemotherapie. Solche Studien laufen derzeit.

 

Stiripentol

 

Für Kinder, die an einer sehr seltenen Form der Epilepsie leiden, gibt es seit Januar eine neue Therapieoption. Stiripentol (Diacomit® 250 und 500 mg Pulver oder Hartkapseln, Desitin) ist zugelassen zur Behandlung von generalisierten tonisch-klonischen Anfällen bei Patienten mit sogenannter schwerer myoklonischer Epilepsie im Kindesalter (SMEI, Dravet-Syndrom), wenn die Anfälle mit Clobazam und Valproat nicht ausreichend kontrolliert werden können. Der neue Arzneistoff wird zusätzlich zu diesen beiden Antiepileptika gegeben. Da es nur sehr wenige SMEI-Patienten gibt, wurde Stiripentol als Orphan Drug eingestuft.

 

Die normale Tagesdosis beträgt 50 mg/kg Körpergewicht und kann auf zwei bis drei Gaben aufgeteilt werden. Die Behandlung beginnt mit niedrigeren Mengen und wird innerhalb von drei Tagen gesteigert. Die kleinen Patienten müssen das Arzneimittel immer zum Essen einnehmen, da es sich im sauren leeren Magen rasch zersetzt. Stiripentol darf aber nicht mit Milch oder Milchprodukten, Kohlensäure- oder Coffein-haltigen Getränken oder Fruchtsäften geschluckt werden.

 

Der Wirkstoff hemmt einige Cytochrom-Isoenzyme, unter anderem CYP2C19, -3A4 und -2D6, und damit den Abbau anderer Arzneistoffe, die von diesen Enzymen metabolisiert werden. So stiegen die Plasmaspiegel von Clobazam und seinem Metaboliten Norclobazam bei gleichzeitiger Gabe von Stiripentol um das Zwei- bis Fünffache. Die Wechselwirkung mit Valproat wird als gering angesehen. Bei Nebenwirkungen und Anzeichen von Überdosierung sollte der Arzt die Dosis der begleitenden Antiepileptika reduzieren. Mit Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital soll der neue Wirkstoff nicht kombiniert werden.

 

Wie Stiripentol genau wirkt, ist nicht bekannt. Im Tierversuch scheint es die Konzentration des inhibitorischen Neurotransmitters GABA zu erhöhen. Zudem potenziert es die Wirkung anderer Antikonvulsiva, indem es deren Abbau in der Leber bremst.

 

In den beiden Hauptstudien erhielten insgesamt 65 Kinder im Alter zwischen 3 und 18 Jahren entweder Stiripentol oder Placebo zusätzlich zu den Antikonvulsiva Clobazam und Valproat. Etwa 70 Prozent sprachen auf das Verum an, das heißt, die Anfallsrate ging um mindestens die Hälfte zurück. Unter Placebo waren nur 5 beziehungsweise 9 Prozent Responder. Häufige Nebenwirkungen sind Appetit- und Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit oder Schlafstörungen, Benommenheit, Reizbarkeit, Ataxie (Unfähigkeit zu koordinierten Muskelbewegungen), Dystonie (Muskelstörungen) sowie Hypotonie. 

 

In einem französischen Compassionate-use-Programm erhielten bereits Kinder ab sechs Monaten Stiripentol, wenn die Diagnose des Dravet-Syndrom gesichert war. Die europäische Zulassung fordert eine strenge Einzelfallentscheidung bei Kindern unter drei Jahren. Ohnehin verlangt die EMEA weitere Daten zur Wirksamkeit, vor allem für die Kombination mit den Höchstdosen anderer Antiepileptika.

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