Heilsames Schweigen der Gene |
05.02.2007 13:24 Uhr |
<typohead type="3">Heilsames Schweigen der Gene
Von Christina Hohmann
Die Entdeckung der RNA-Interferenz, mit der sich einzelne Gene stummschalten lassen, hat bei der Pharmaindustrie hohe Erwartungen geweckt. Prinzipiell ließen sich mit der Methode viele Krankheiten therapieren: von Virusinfektionen über Krebs bis Chorea Huntington. Erste RNAi-Wirkstoffe befinden sich bereits in klinischer Erprobung.
Selten hat eine wissenschaftliche Entdeckung so schnell zu einem Nobelpreis geführt wie die Erstbeschreibung der RNA-Interferenz (RNAi). Im Dezember 2006 erhielten die Biologen Andrew Fire und Craig Mello, neun Jahre nach ihrer »Nature«-Publikation, diese Auszeichnung. Die Methode zum Stummschalten von Genen ist seitdem zu einem der wichtigsten Werkzeuge von Molekularbiologen geworden, um die Funktion von Genen zu untersuchen. Was die Methode, die das Fachmagazin »Science« 2002 zum »Durchbruch des Jahres« kürte, so besonders macht, ist ihre potenzielle therapeutische Bandbreite. Da sich durch die RNAi die Produktion jedes beliebigen Proteins ausschalten lässt, könnte sie bei einer Vielzahl von Krankheiten eingesetzt werden: So kann das Ausschalten von Onkogenen bei der Therapie von Krebserkrankungen helfen, und das Stilllegen von viralen Genen hemmt die Replikation von Viren wie HIV, RSV oder das Hepatitis-C-Virus.
Die RNA-Interferenz stellt vermutlich einen natürlichen Abwehrmechanismus gegen Viren dar. Wenn doppelsträngige Ribonukleinsäure (dsRNA), die dem Genom von Viren ähnelt, in die Zelle gelangt, springt das Programm an. Die Endonuklease Dicer bindet an die dsRNA und zerschneidet sie in etwa 21 Nukleotide lange Stücke, die sogenannten siRNA (small interfering RNA). Diese immer noch doppelsträngigen Fragmente lagern sich mit mehreren Enzymen zum sogenannten »RNA induced silencing complex« (RISC) zusammen. Zu diesem gehört auch die Endonuklease Argonaut, die einen Strang der siRNA zerschneidet. Dieser wird entfernt, und der andere Strang im Komplex dient als Vorlage, um komplementäre RNA-Stücke zu finden und zu zerstören. Wenn der Komplex auf eine komplementäre Boten-RNA (mRNA) trifft, wird diese zerschnitten und kann somit nicht mehr als Anleitung zum Bau eines Proteins verwendet werden. Wenn die dsRNA, die in die Zelle kam, von Viren stammt, wird auf diese Weise die Produktion viraler Proteine und die Replikation der Pathogene verhindert.
Nun versuchen Forscher, diesen Mechanismus zu nutzen, um an Krankheiten beteiligte Gene auszuschalten. Sofern sie die Sequenz des Zielgens kennen, können sie siRNA künstlich herstellen und in die Zellen einbringen, wo sie dann den Mechanismus in Gang setzen, der mit der Zerstörung der entsprechenden mRNA endet. Das gewünschte Gen ist stummgeschaltet.
Steiniger Weg bis zum Patienten
In Zellkulturversuchen hat sich die RNAi in Hunderten von Experimenten als erfolgreich erwiesen. Doch auf dem Weg von der Petrischale zum Patienten bestehen noch einige Hürden. Ein Problem ist die Stabilität: Nackte siRNA überlebt im Körper nicht lange, da sie von Endo- und Exonukleasen angegriffen wird. Außerdem können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Diese »Off-target-Effekte« können entweder darauf beruhen, dass die siRNA das Immunsystem unspezifisch aktiviert. Oder sie kommen dadurch zustande, dass wichtige Gene aus Versehen mitausgeschaltet werden, weil sie eine ähnliche Sequenz besitzen.
Das wohl größte Problem ist allerdings das gezielte Einbringen der siRNA in die gewünschten Organe und schließlich ins Zellinnere. In Venen injizierte siRNA wird schnell mit dem Blutstrom in die Leber transportiert und dort entsorgt. Eine systemische RNAi-Therapie gestaltet sich daher bislang schwierig. Deutlich einfacher sind dagegen isolierte Zielorgane zu erreichen wie etwa das Auge. Auch die Atemwege beziehungsweise die Lunge sind für die siRNA durch Inhalation oder nasale Applikation gut zu erreichen.
Im Organ selbst stellt aber die Zellmembran noch eine Barriere für den Wirkstoff dar. Ein ganzes Bataillon verschiedener Methoden wird derzeit entwickelt, um diese zu überwinden. Zum einen können Zellen des Patienten isoliert, in Zellkultur mit der siRNA bestückt werden und dann dem Patienten wieder injiziert werden. Zum anderen können Viren als Genfähren benutzt werden, wie es bereits bei der Gentherapie versucht wurde. Diese Methode birgt aber auch Gefahren, da die Vektoren eine starke Immunreaktion oder Krebs auslösen können.
An einer ganz innovativen Methode arbeitet derzeit Judy Liebermann von der Harvard Medical School. Sie kombinierte monoklonale Antikörper mit dem Enzym Protamin, das Erbgut verpacken kann. Dieses Protein bindet die therapeutische siRNA, die somit huckepack ins Zellinnere gelangt. Wie die siRNA aufgenommen wird, ist nicht vollständig verstanden, doch in ersten Versuchen funktionierte die Methode gut. In HIV-infizierten Zellen konnte Liebermann die Virusreplikation mithilfe der an Antikörper gekoppelten siRNA unterdrücken (»Nature Biotechnology«, Band 23, Seite 709). Auch chemische Modifikationen der siRNA können hilfreich sein. Sie erhöhen nicht nur die Stabilität des Wirkstoffs im Körper, sondern verbessern auch die Aufnahme in bestimmte Organe. So konjugierten Forscher der Pharmafirma Alynlam eine lipophile Cholesterol-Gruppe an ihre gegen Apolipoprotein B gerichtete siRNA. Injizierten sie Mäusen das Molekül, sank sowohl die Produktionsrate von ApoB, das an der Synthese von Cholesterol beteiligt ist, in Leber und Dünndarm, als auch der Cholesterol-Spiegel der Tiere.
Erfolgreich in Phase I und II
Der erste erfolgreiche Einsatz der RNAi im Tierversuch gelang bereits im Jahr 2002: Anton McCaffrey und Mark Kay von der Stanford University konnten bei Mäusen die Reproduktion des Hepatitis-C-Virus unterdrücken. Viren sind ohnehin ein geeignetes Ziel für die neue Technik, da es sich bei der RNA-Interferenz um einen natürlichen Viren-Abwehrmechanismus handelt. Außerdem beeinflusst das Stilllegen von viralen Genen ausschließlich das Virus, kann also keine Off-target-Effekte hervorrufen. Gegen die meisten Viren gibt es bislang keine geeignete kausale Therapie. Das soll sich mit der RNAi ändern. Eine Gruppe um Ian MacLachlan von der Firma Protiva testet derzeit eine siRNA gegen das Ebola-Virus bei Meerschweinchen. Auch gegen das HI-Virus verfolgen Forschergruppen weltweit verschiedene Ansätze.
Am weitesten fortgeschritten ist ein siRNA-Wirkstoff namens ALN-RSV01 der Firma Alynlam, der sich gegen das Respiratorische Syncytialvirus (RSV) richtet. Der Wirkstoff wurde bereits in zwei doppelblinden Phase-I-Studien an 101 gesunden Freiwilligen getestet. Der nasal verabreichte Wirkstoff wurde nach Herstellerangaben gut vertragen und hat sich als sicher erwiesen. In Kürze sollen weitere Studien mit ALN-RSV01 folgen.
Bereits in Phase II der klinischen Entwicklung befindet sich ein RNAi-Therapeutikum, das sich gegen altersbedingte Makuladegeneration (AMD) richtet. Diese Erkrankung eignet sich für eine RNAi-Therapie besonders, da der Wirkstoff direkt ins Auge gespritzt werden kann. Durch diese direkte Applikation kann die siRNA unverpackt und ungeschützt verabreicht werden, da sie nicht im Blut zu ihrem Zielorgan gelangen muss. Außerdem ist die Ursache der Erkrankung bekannt: Der Vascular endothelial growth factor (VEGF) lässt Blutgefäße in den Bereich der Netzhaut einwandern, der für das scharfe Sehen verantwortlich ist, die Makula. Dadurch geht das Sehvermögen verloren.
In einer Phase-I-Studie hat die Firma Sirna ihren Wirkstoff Sirna-027 an 26 AMD-Patienten getestet. Bei rund 23 Prozent der Patienten verbesserte sich die Sehschärfe acht Wochen nach der Injektion. Bei den restlichen Patienten trat zumindest keine Verschlechterung des Sehvermögens ein, meldet der Hersteller. Auch eine Phase-II-Studie mit Patienten, die unter schwerer, fortschreitender AMD litten, brachte positive Resultate. Ein siRNA-Wirkstoff gegen Makuladegeneration könnte vielleicht schon 2009 auf den Markt kommen. Andere RNAi-Therapeutika, vor allem systemisch zu applizierende, werden noch deutlich länger auf sich warten lassen.