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Medizin-Apps

Wenn Handys heilen dürfen

03.02.2016  09:26 Uhr

Von Jennifer Evans / Apps haben längst die Welt der Medizin erobert. Manche sprechen sogar bei Leiden wie Krebs oder Diabetes Empfehlungen an den Patienten aus. Doch irren sich die digitalen Helfer, kann das schwere Folgen haben. Kritiker fordern verlässliche Qualitätsstandards von der Politik. Ergebnisse einer aktuellen Studie könnten strengere Maßnahmen nach sich ziehen.

Über das Smartphone lassen sich schon lange grafische Auswertungen über die tägliche Schrittzahl und individuelle Ernährungsgewohnheiten oder eine Erinnerung an die Medikamenteneinnahme abfragen. Solange nur diese Informationen zusammengetragen und aufbereitet werden, können Apps wenig Schaden anrichten. 

 

Geben die technischen Überwacher allerdings Patienten Ratschläge, müssen diese, rechtlich gesehen, auch medizinisch zertifiziert sein. Werden beispielsweise mit der Handykamera Tumoren in der Haut aufgespürt, Insulingaben bei Diabetes-Patienten berechnet oder Herzfunktionen über Algorithmen ausgewertet, könnte eine Fehleinschätzung für Betroffene lebensgefährlich sein.

 

Neue Regelungen, um Sicherheitsrisiken künftig entgegenzuwirken, sind daher Aufgabe der Politik. Die Verantwortung ist dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bewusst. Auf Anfrage der PZ sagte das BMG: »Wir verfolgen und erörtern die Fragestellungen aufmerksam, die sich im Zuge des zunehmenden Einsatzes von Apps ergeben.« Da in Deutschland bislang keine unabhängigen und strukturierten Übersichtsarbeiten zum Thema Gesundheits-Apps vorlägen, finanziere das Bundesgesundheitsministerium eine umfassende Studie, die das Gesamtspektrum des Themenfeldes Gesundheits-Apps aufarbeite, so das Ministerium.

 

Die Ergebnisse der sogenannten Charismha-Studie (Chances and Risks of Mobile Health Apps) sollen laut Ministerium im Frühjahr veröffentlicht werden. Geprüft würden die Softwareanwendungen derzeit auf Datenschutz, Transparenz und medizinische Qualität. Das beauftragte, interdisziplinäre Team von Wissenschaftlern des Peter-L.-Reichertz-Instituts für medizinische Informatik beleuchtet außerdem die Funktionen der Apps inwieweit sie den Nutzer in puncto Diagnose, Therapie und Prävention von Krankheiten unterstützen. Gesamtziel der Studie sei, neben der strukturierten Aufbereitung auch eine Basis für künftige Handlungsschritte abzuleiten, so das BMG.

 

Bislang können App-Entwickler die strengen Auflagen in Hinblick auf Sicherheit und Wirksamkeit für Medizinprodukte leicht umgehen, indem sie in der Produktbeschreibung lediglich von einer Gesundheits- oder Fitness-App sprechen. Eine Kontrolle von einer offiziellen Stelle erfolgt derzeit nicht. Somit drängen ungehindert ständig ohne Genehmigung neue Apps auf den Markt, die sich jeder herunterladen kann – und genau darin liegt die Gefahr. Erst nach Markteinführung entscheiden Überwachungsbehörden, ob eine Zertifizierung als Medizinprodukt möglicherweise fehlt und dann nachgeholt werden muss.

 

Weitsicht ist gefragt

 

Für Hersteller – und Patienten – ist es daher relevant, sich schon im Vorhinein an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Um das zu gewährleisten, fordern Kritiker strengere Regeln von der Politik. Seit vergangenen Oktober existieren lediglich Orientierungshilfen und Abgrenzungsleitlinien des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), wann eine App als Medizinprodukt einzustufen ist und damit den Regelungen des Medizinproduktegesetztes (MPG) unterliegt. Demnach ist auschlaggebend, ob die App auf die Entscheidungen weiterer therapeutischer Maßnahmen einwirkt, Medikamentendosierungen berechnet oder Patientendaten überwacht oder sammelt und deren Ergebnisse dann die Diagnose oder Therapie beeinflussen.

 

Sollte einer oder mehrere dieser Punkte zutreffen, können Hersteller einen Antrag auf Abgrenzungs- beziehungsweise Klassifizierungsentscheidung beim BfArM vorlegen. Damit wird geprüft, ob es sich bei der jeweiligen Softwareanwendung um ein Medizinprodukt gemäß MPG handelt. Und, abhängig von der Entscheidung des BfArM bei der Klassifizierung, hat der App-Hersteller dann die Wahl zwischen verschie­denen Zertifizierungswegen, sogenannten Konformitätsbewertungsverfahren. Die meisten Medical-Apps finden sich in der Risikoklasse I. Damit darf der Hersteller nach Zulassung ein CE-Zeichen hinzufügen, das auch EU-Qualitätsstandards entspricht. Erlaubt wird das Zeichen nur für jene Neu­entwicklungen, die vorab eine solche Zertifizierung durchlaufen haben. Eine Prüfstelle, ob der Hersteller die Markierung schließlich am Produkt anbringt, gibt es bei Risikoklasse I allerdings derzeit nicht.

Kommentar

Allein gelassen

Dem Falschen vertrauen will keiner, schon gar nicht, wenn es um die große Liebe geht: die Gesundheit. Medizinische Apps müssen daher schärfer kontrolliert werden als bislang. Die meisten Programme halten nicht, was sie vollmundig versprechen. Forschungen der Universität Pittsburgh bestätigen unter anderem, dass von 46 Anwendungen nur eine die richtige Insulindosis für Diabetiker berechnet und dass in 30 Prozent der Fälle bösartige Melanome auf der Haut von Apps als unbedenklich eingestuft wurden. Das ist nicht nur fahrlässig, sondern gemeingefährlich. Solange die Zuverlässigkeit von solchen Apps nicht gesichert ist, werden Patienten allein im Regen stehen gelassen – mit allem, was die digitalen Helfer an Diagnosen und Therapievorschlägen so ausspucken. Apotheker sollten sich darauf einstellen, dass in Zukunft Patienten in die Apotheke kommen, die von einer App gemessene Blutdruck- und Blutzuckerwerte oder andere Vitalparameter gegenchecken lassen wollen. An dieser Stelle gehört es leider bis auf Weiteres dazu, Patienten auch über mögliche Messfehler aufzuklären. Fest steht: Apps ersetzen keinen Arzt und keinen Apotheker. Sie können dem Patienten lediglich als Begleiter dienen. Für Apps gilt – wie in der Liebe auch – Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser!

 

Jennifer Evans, 

Redakteurin Politik & Wirtschaft

 

Neuer Schwung

 

Die Mühe einer Zertifizierung lohnt sich aber für die Hersteller: Denn mit dem Innovationsfonds, der bis 2019 mit jährlich 300 Millionen Euro dotiert ist, sollen gezielt Projekte gefördert werden, die neue Wege der Versorgung beschreiten. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erklärte auf seiner Facebook-Seite im Internet, wie interessant das auch für Gründer im Bereich Digital-Health sein kann: »Junge Unternehmen, die Apps und vieles mehr entwickelten, bringen neues Denken und Schwung in unser Gesundheitswesen. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen: Wir alle wollen, dass die Produkte, die bei unserer medizinischen Behandlung eingesetzt werden, funktionieren und sicher sind.« Daher begreift Gröhe die rechtlichen Vorgaben für medizinische Qualität und Datensicherheit nicht als Hindernis, sondern als Chance. Experten schätzen sogar, dass Medical-Apps bei der Überwachung chronischer Krankheiten in Zukunft einen wichtigen Platz ein­nehmen. /

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