Pharmazeutische Zeitung online
Multimorbidität

Eine Leitlinie für alles

28.01.2015  10:15 Uhr

Leitlinien zur Behandlung von Krankheiten gibt es viele, doch eine entscheidende fehlt: die zum Thema Multimorbidität. Angesichts der steigenden Zahl multimorbider Patienten wäre sie extrem wichtig, doch scheiterte die Erstellung bisher an der Komplexität der Fragestellung. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) unternimmt dennoch einen Versuch.

Immer mehr Patienten leiden an drei oder mehr chronischen Erkrankungen, sind also multimorbide. »Das liegt unter anderem an der demografischen Entwicklung, denn die Häufigkeit von Multimorbidität steigt ab dem 45. Lebensjahr«, sagte Professor Dr. Martin Scherer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Werden alle Krankheiten des Patienten einzeln leitliniengerecht behandelt, hat das nicht selten eine unübersichtliche Fülle an Medikamenten zur Folge, die der Betroffene zu unterschiedlichen Zeitpunkten am Tag einnehmen soll.

 

Leitlinien nicht blind befolgen

 

Wo es hinführen kann, wenn Leitlinien blind befolgt werden, ohne das Gesamtbild im Blick zu behalten, zeigte 2005 ein Team um Professor Dr. Cynthia Boyd im Fachjournal »JAMA« (DOI: 10.1001/jama.294.6.716). Die leitlinienkonforme Behandlung einer hypothetischen 79-jährigen Frau mit chronischer obstruktiver Lungenerkrankung, Typ-2- Diabetes, Osteoporose, Hypertonie und Osteoarthritis hätte zwölf verschiedene Medikamente umfasst, die die Dame in 19 Einzeldosen, verteilt auf fünf Zeitpunkte täglich hätte einnehmen sollen. Hinzu kamen noch 24 nicht pharmakologische Interventionen pro Tag und 28 weitere Verhaltensregeln bezüglich Lifestyle, Arztbesuche und Checks pro Jahr. »Da lebt man dann für die Erkrankungen«, kommentierte Scherer.

 

Um das zu vermeiden, wäre es im Einzelfall meist sinnvoll, von den Vorgaben der einzelnen Leitlinien abzuweichen. Doch wo setzt man da an? Welches Medikament kann man am ehesten weglassen? Diese Fragen soll eine Leitlinie zum Thema Multimorbidität beantworten, mit deren Entwicklung die DEGAM begonnen hat. Wie schwierig das ist, zeigte Scherer, der als Vizepräsident der DEGAM daran beteiligt ist, anhand eines Fallbeispiels.

 

Tritt bei Patienten mit Polypharmazie eine Komplikation auf, ist meist nicht eindeutig zu erkennen, worauf diese beruht. Möglich ist eine Interaktion zwischen zwei Arzneimitteln, es kann sich aber auch um eine Wechselwirkung zwischen einem Arzneimittel und einer Krankheit des Patienten handeln. Auch die Kombination der verschiedenen Erkrankungen des Patienten kommt als Ursache der Komplikation infrage.

 

Algorithmus statt Patentrezepte

 

Die Leitlinie Multimorbidität kann daher kein Patentrezept zur Lösung arzneimittel- beziehungsweise krankheitsbezogener Probleme bereithalten. Stattdessen soll es einen Algorithmus für das Vorgehen in diesen Fällen geben. »Im Zentrum muss dabei stets der Patient mit seinen Bedürfnissen stehen«, sagte Scherer. Identifiziert der Arzt bei der Fallanalyse mehrere Probleme, sollten als erstes die angegangen werden, die den Patienten am meisten belasten.

 

Eine solche intensive Beschäftigung mit dem Patienten, seinen Wünschen und Problemen braucht allerdings Zeit, und die ist in vielen Hausarztpraxen rar. »Wir haben bereits heute einen Hausarztmangel, und der wird sich in den kommenden Jahren noch massiv verschärfen«, so Scherer. Denn nicht nur die Patienten werden immer älter, sondern auch die Ärzte. Das Durchschnittsalter der Hausärzte betrage heute 53 Jahre, ein Viertel der Kollegen sei 60 Jahre oder älter. »Bis zum Jahr 2020 wird die Hälfte der niedergelassenen Hausärzte in den Ruhestand gehen, und nur die Hälfte dieser Ausfälle werden wir ersetzen können«, sagte Scherer.

 

Um die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln dennoch zu optimieren, brauche es eine bessere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen ärztlichen Disziplinen einerseits und zwischen Ärzten und anderen Heilberuflern andererseits. »Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte arbeiten am selben Patienten, haben aber meist wenig miteinander zu tun«, sagte Scherer. Er sprach sich dafür aus, den pharmazeutischen Sachverstand der Apotheker bei der Betreuung multimorbider Patienten künftig noch mehr zu nutzen.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.
THEMEN
Leitlinie

Mehr von Avoxa