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Antikörper-Wirkstoff-Konjugate

Augentoxizitäten im Fokus

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate sind bei einigen Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium wichtige Therapieoptionen. Sie scheinen allerdings besonders häufig Nebenwirkungen am Auge zu haben, die in der Onkologie ansonsten eher selten vorkommen.
Annette Rößler
23.12.2024  16:20 Uhr

Als »signifikante Off-Target-Toxizität«, die allerdings noch »relativ unbekannt« sei, werden okuläre Nebenwirkungen von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (AWK) in einem aktuellen Beitrag auf der Nachrichtenseite »Medscape« bezeichnet. Andere Krebsmedikamente hätten diese Nebenwirkungen eher selten, weshalb Onkologen beim Einsatz von AWK einerseits die Aufmerksamkeit für Augentoxizitäten schärfen und andererseits enger als bisher mit Ophthalmologen zusammenarbeiten sollten.

AWK bestehen aus einem Antikörper, der an ein tumorspezifisches Oberflächenmerkmal bindet, und einem Zellgift, das nach Internalisierung des AWK in die Tumorzelle freigesetzt wird. Beide sind über einen Linker fest miteinander verbunden. Ohne die Kopplung an den Antikörper könnten die eingesetzten Wirkstoffe nicht verabreicht werden, da sie zu toxisch sind.

AWK kommen meist bei Patienten in fortgeschrittenen Stadien einer Krebserkrankung zum Einsatz; so ist etwa das gerade erst eingeführte Mirvetuximab Soravtansin (Elahere®) für die Therapie von Patientinnen mit Eierstock-, Eileiter- oder Peritonealkrebs bestimmt, die bereits eine bis drei Vortherapien hinter sich haben. Bei diesem Präparat sowie bei Belantamab Mafodotin (Blenrep®, in der EU nicht mehr im Handel) und dem in der EU noch nicht zugelassenen Tisotumab Vedotin (Tivdak®) enthalten die US-Fachinformationen besonders hervorgehobene Warnhinweise (boxed Warning) zur Augentoxizität. In der deutschen Fachinformation von Elahere werden okuläre Nebenwirkungen nicht gesondert hervorgehoben, aber mit einer Häufigkeit von bis zu 43 Prozent (verschwommenes Sehen) angegeben. Ebenfalls sehr häufig sind Keratopathie (29 Prozent), Trockenes Auge (27 Prozent), Katarakt, Photophobie und Augenschmerzen.

»Zielgerichtet« ist relativ

Doch wie können AWK, die ja dank der Antikörper-Komponente zielgerichtet Tumorzellen angreifen, im Auge Schaden anrichten? »Zielgerichtet« sei eben nur ein relativer Begriff, kein absoluter, erklärt Professor Dr. Kathy D. Miller, Onkologin an der Indiana University School of Medicine in Indianapolis, gegenüber »Medscape«. Das Antigen, auf das der Antikörper abzielt, könne auch auf der Oberfläche anderer Zellen zu finden sein. Außerdem könnten AWK auch systemisch toxisch wirken, etwa wenn der Linker nicht ausreichend stabil sei und verfrüht auseinanderbreche oder wenn das Zellgift aus der Tumorzelle in die unmittelbare Umgebung (Microenvironment) des Tumors gelange und von dort in den Blutkreislauf. Möglich sei auch, dass die zytotoxischen Wirkstoffe in der Tumorzelle zu ebenfalls giftigen Metaboliten abgebaut würden, die nach dem Tod der Zelle freigesetzt werden.

Handelt es sich also bei den Augentoxizitäten um einen Klasseneffekt der AWK? Laut einer Publikation im Fachjournal »Cancers« aus dem Jahr 2023 sind bestimmte Linker-Wirkstoff-Paare in diesem Zusammenhang besonders problematisch (DOI: 10.3390/cancers15030713). Genannt werden SPDB-DM4 (enthalten in Mirvetuximab Soravtansin sowie den beiden noch nicht zugelassenen AWK Cantuzumab Ravtansin und Coltuximab Ravtansin) und mc-MMAF (enthalten unter anderem in Belantamab Mafodotin). Das Auge sei für eine von AWK ausgehende Toxizität besonders empfänglich, da es stark durchblutet sei, sich schnell teilende Epithelzellen enthalte und verschiedene Oberflächenrezeptoren stark exprimiert würden, schreibt das Autorenteam um Dr. Toan D. Nguyen von der University at Buffalo in den USA.

Die Augentoxizitäten von AWK würden von den verordnenden Onkologen meist unterschätzt, sagt Miller. Das liege zum einen daran, dass diese Nebenwirkungen in den klinischen Studien zu wenig Aufmerksamkeit erhalten hätten. Zum anderen träten sie oft erst zeitverzögert auf; Patienten müssten also schon eine Weile mit einem AWK behandelt werden, bevor sich die Probleme einstellten. Außerdem seien es Nebenwirkungen, die andere Krebsmedikamente eher nicht hätten, sodass Onkologen nicht gewohnt seien, daran zu denken.

Dass sie mit dieser Vermutung wohl richtig liegt, zeigt ein Blick in die deutsche S3-Leitlinie »Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen«, die derzeit nach Überarbeitung in der Konsultationsfassung vorliegt. Sie enthält zwar ein eigenes kleines Kapitel zum Thema Augentoxizität, AWK als potenzielle Auslöser werden darin jedoch nicht genannt, sondern lediglich Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Diese verursachen aber deutlich seltener, nämlich bei circa 1 Prozent der behandelten Patienten okuläre Nebenwirkungen.

Laut Miller seien AWK-bedingte Nebenwirkungen am Auge sehr belastend für die Betroffenen. Und die Schäden könnten bleibend sein, etwa wenn es zu einer Narbenbildung komme. Ihrer Erfahrung nach seien stark vorbehandelte Patienten besonders häufig von okulären Nebenwirkungen betroffen, denn »die Inzidenz des Trockenen Auges ist bei unseren Patienten viel höher als wir glauben«. Onkologen sollten daher häufiger gezielt danach fragen beziehungsweise den Schirmer-Test machen, mit dem das Ausmaß der Tränenproduktion objektiv gemessen wird.

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