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Werke von Armin Mehling

»... auf diesem Papier geschehen Wunder«

Ein Konvolut hochwertiger Arbeiten des Apothekers und Künstlers Armin Mehling (1924 bis 2008) konnte mit Unterstützung des Fördervereins Deutsches Apotheken­Museum e.V. für den Museumsbestand erworben werden. Die Sammlung umfasst etwa 60 kleine und großformatige Zeichnungen, Aquarelle und Collagen aus den Jahren 1967 bis 2002.
Claudia Sachße
28.12.2021  09:00 Uhr

Zu dem vielfältigen Konvolut gehören 18 gerahmte Arbeiten sowie mehr als 40 ungerahmte Zeichnungen und Skizzen (Inv.-Nr. VII B 1253.01-61). Sie stammen aus dem Nachlass des mit Mehling eng befreundeten Ehepaars Rosemarie und Fried Alstaedter. Die Arbeiten wurden wohl mehrheitlich auf Ausstellungen erworben, bildeten teils aber auch persönliche Geschenke und tragen persönliche Widmungen. Zum Erwerb gehört auch eine umfangreiche Korrespondenz Mehlings mit den Alstaedters, die von 1967 bis 2006 reicht (Inv.-Nr. VII A 2254, Mappen I-XVIII).

Mehlings erste große Einzelausstellung in Deutschland fand 1967 in der Galerie von Aenne Abels in Köln statt. Hier lernten er und das in Köln lebende Paar sich kennen. Rosemarie Alstaedter war als Apothekerin (auch publizistisch) und im Bereich Kunst bei der Bayer AG in Leverkusen tätig. Die Kunstsammlung der Bayer AG erwarb zwei Arbeiten auf der Kölner Ausstellung. Kleine Beiträge erschienen in der Zeitschrift »Pharmaberichte Bayer« und 1980 präsentierte die Bayer AG eine Auswahl aus Armin Mehlings Werken im Verwaltungsgebäude.

Mehlings Briefe zeigen, dass aus der anfänglich fachlichen Bekanntschaft und gemeinsamen Kunstbegeisterung eine Jahrzehnte lange intensive Freundschaft erwuchs. Sie geben gleichzeitig tiefe Einblicke in sein privates und künstlerisches Leben.

Schüler, Soldat und ­Apotheker

1924 im unterfränkischen Karlstadt geboren, erhielt Mehling früh eine musikalische Erziehung. Mit 17 Jahren wurde er im Zweiten Weltkrieg zur Luftwaffe eingezogen. Wegen »fliegerischen Ungehorsams« – Flugübungen in Bodennähe – wurde er neun Monate arrestiert. 1943 musste er als Jagdflieger an die Ostfront, wurde sieben Mal abgeschossen, mehrfach verwundet und verantwortete mehr als 30 Abschüsse gegnerischer Flugzeuge.

Nach dem Krieg studierte er an der Universität Würzburg Kunstgeschichte und Philosophie und fast zeitgleich Pharmazie und Chemie in dem Wunsch nach gesicherter Existenz. Nach seiner Approbation 1952 arbeitete er einige Jahre als Apotheker in Kulmbach. 1959 heiratete er nach Neumarkt/Oberpfalz und betrieb bis 1976 die dortige Stadt-Apotheke. In seiner raren freien Zeit war er intensiv künstlerisch tätig.

Inv.-Nr. VII B 1253.33 / Foto: Deutsches ApothekenMuseum
Inv.-Nr. VII B 1253.15 / Foto: Deutsches ApothekenMuseum
Inv.-Nr. VII B 1253.29 / Foto: Deutsches ApothekenMuseum

Immer größere gesundheitliche Beschwerden zwangen ihn zur Aufgabe des Apothekerberufs und persönliche Gründe auch zum Wegzug aus Neumarkt. In seinem neuen Zuhause im oberbayerischen Hofheim (Murnau) widmete er sich als freischaffender Künstler nun ausschließlich der Malerei und Kalligraphie.

Sein reiches Schaffen wurde in den folgenden Jahren häufig von längeren krankheitsbedingten Pausen unterbrochen. Schmerzen in Armen und Händen erschwerten das Schreiben und Malen zusätzlich. Dennoch erlebte er in den 1980er- und 1990er-Jahren eine sehr erfolgreiche künstlerische Zeit. Stark landschaftsverbunden, wurde er ein begeisterter Fliegenfischer an bayerischen Flüssen und Seen – und entließ seine Fänge immer wieder in die Freiheit. Auf seinem Steinway-Flügel spielte er bis ins hohe Alter. Am 19. Dezember 2008 starb Armin Mehling in seinem Haus in Hofheim.

Der Künstler

Bereits während seiner Arrestierung in der Militärzeit begann Mehling zu ­malen, anfangs Aquarelle mit Landschaftsmotiven. Ab 1952 malte er regelmäßig – vorerst nur neben der Arbeit als Apotheker, obwohl er früh beides als »Beruf« sah: Tags arbeitete er in der Offizin, nachts im Atelier. Seine Briefe zeigen, dass die Arbeit in der Apotheke und der Mangel an Personal ihm wenig Zeit für die Kunst ließen. Viele Ausstellungsangebote konnte er nicht erfüllen. Ihm fehlte die Zeit und damit das »künstlerische Ungebundensein«, wie er in einem Brief am 27. Februar 1968 schrieb.

Mehling war ein zurückhaltend auftretender Künstler, der eher leise in der Kunstwelt agierte. In den 1950er-Jahren hatte er erste kleine Ausstellungen und trat der 1947 gegründeten Nürnberger Künstlergruppe »Der Kreis« bei.

Entdeckt und gefördert wurde er in den 1960er-Jahren zunächst in Holland. Künstlerfreunde empfahlen Mehling an die einflussreiche Galerie »Het Kunstcentrum« in Den Haag. Sie stellte bis zu ihrer Schließung 1974 mehrfach seine Arbeiten mit großen Erfolgen aus, ebenso wie weitere holländische Galerien und Museen.

Besprechungen namhafter Kunsthistoriker und Kunstkritiker folgten; sie rieten der deutschen Kunstwelt dringend, diesen Landsmann näher kennen zu lernen. Der Kunsthistoriker und Essayist Hans Redeker (1918 bis 1992) sah in ihm eine der »größten Offenbarungen unserer Zeit«; er habe längst das Recht auf internationalen Rang (1966). Der in Köln lebende Horst Richter (1926 bis 2018), unter anderem langjähriger Präsident des Internationalen Kunstkritikerverbandes, war von dem »rasche[n] Aufstieg eines professionellen Outsiders« (1968) tief beeindruckt; ebenso der Niederländer Dolf Welling (1919 bis 2015): »...der kam einfach so vom Mond gefallen...« (1974).

Mit dem Arzt und Kunstsachverständigen Peter Beckmann (1908 bis 1990), Sohn des Malers Max Beckmann (1884 bis 1950), verband ihn eine enge Freundschaft. Beckmann förderte Mehling und sprach auf vielen seiner Ausstellungen. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Max Bense (1910 bis 1990) betrachtete die Malerei Mehlings 1985 in einer kunsttheoretischen Besprechung unter dem Begriff der »ästhetischen Realität«. Bense sprach auch zur Ausstellungseröffnung 1987 in Kornwestheim.

Zwischen 1964 und 2004 fanden national und international über 70 Einzelausstellungen sowie zahlreiche Gruppenausstellungen mit großen Verkaufserfolgen statt. Mehlings Werke finden sich weltweit in zahlreichen privaten Sammlungen und öffentlichen Museen.

Mehling sah sich dennoch als »nebenberuflicher« Künstler von manchen Medien und Galeristen nicht genügend wertgeschätzt. Er schrieb an R. Alstaedter am 25. Oktober 1976: »Ich bin traurig darüber, daß man einen Künstler, der in der Einladung für Presse u. Kritiker mit dem Beruf eines Apothekers belastet ist, nicht ernst nimmt.«

Techniken und Materialien

Die Arbeiten sind auf meist kleinformatigem Papier oder Bütten mit verschiedensten Materialien und oft in Mischtechnik ausgeführt: Aquarelle, Zeichnungen und Kalligraphien mit Feder, Fettkreide, Watte, Tusche, Ruß, Benzin, chinesischem Lack oder Kollagen mit farbigen Papierstücken, seltener auch in Öl und Lack auf Leinwand. Mit Farben oder Kollagen gesetzte Schwerpunkte auf dem Papier werden verbunden mit zarten Liniengespinsten. Die sparsam akzentuierten, ausbalancierten Kompositionen von neben- und übereinander gelegten Farbfeldern sind völlig abstrakt oder mit gegenständlicher Abstraktion, die assoziative Bezüge erlauben.

Eine spezielle Ausdrucksform Mehlings sind »Wattebilder«. Dies sind mit Wattebäuschen erzeugte Farbballungen oder zu Spitzen gedrehte Watte, die feine Liniengespinste von großer Farbvielfalt erschaffen. Das Papier der Kollagen stammte oft aus profanen Zeitschriften; wichtig war die Lichtechtheit des Farbdrucks. Für eine der Kollagen fanden 1975 sogar Teile der Abbildung einer Offizin aus dem Deutschen Apotheken-Museum ihren Weg aufs Blatt.

Das Titelbild der gedruckten Beilage zeigt Ausschnitte aus Aquarellen, Tuschezeichnungen und Kollagen von Armin Mehling (Inv.-Nr. VII B 1253.18, 40, 52, 27, 11, 47, 16, 09, 48).

In den Aquarellen dominieren erdige Grün- und Brauntöne sowie Blautöne mit grau und schwarz getuschten Elementen. Dazu begegnen auch Nuancen von Gelb, Orange und Rosa sowie immer wieder Akzente mit Goldstaub. Die Kompositionen gleichen sich oft im Ablauf eines in der Bildfläche nach rechts oben gerichteten Bewegungsvorgangs, aber die sensibel gesetzten Punkte, Linien und Flecken ergeben immer wieder neue spannungsgeladene Strukturen.

Neben den ausdrucksvollen Farbkompositionen spielen kalligraphische Elemente eine große Rolle, die an die Ästhetik ostasiatischer Schriftzeichen erinnern. Im Duktus einer Handschrift vermitteln frei fließende, abstrakte Kalligraphien als nicht lesbare Schriften und nicht spielbare Noten dem Betrachter dennoch den Eindruck von Lyrik und Partituren. Dahinter steht Mehlings Wunsch einer »Übertragung der Handschrift als unverwechselbare Äußerung des menschlichen Individuums in die Bildende Kunst – wenn die Schrift ihrer Funktion als Kommunikationsmittel enthoben wird, wird sie zum graphischen und bildnerischen ­Erlebnis« (Mehling 2004).

Die oft miniaturhaft zarten Zeichnungen tragen keine Titel. Signaturschlüssel nennen meist das Entstehungsjahr, den Monat und die angewandten Techniken, verschiedentlich die Blattzahl im laufenden Monat, seltener Datum oder Tageszeit.

Viele verglichen Mehling als Apotheker auch mit einem Alchemisten: im Schöpferischen – Mehling mischte die Farben, Pigmente und Tuschen akribisch selbst an in weißen Porzellanreibschalen in einem weiß getünchten Atelier – wie im Hang zum Nächtlichen. Dafür mag die gewollte künstlerische Distanz zum Tag ein Grund sein, die anfängliche Notwendigkeit aus dem Beruf heraus sicher ein anderer.

Inv.-Nr. VII B 1253.37 / Foto: Deutsches ApothekenMuseum
Inv.-Nr. VII B 1253.39 / Foto: Deutsches ApothekenMuseum
Inv.-Nr. VII B 1253.51 / Foto: Deutsches ApothekenMuseum

Lyrisch-abstrakt und sympathisch

Mehlings lyrisch-abstrakte Kunst steht in der Tradition der »Art Informel«, lässt sich jedoch in ihrer Individualität keiner klaren Schule zuordnen. Beckmann (1979), Richter (1968), Welling (1974) und weitere Kritiker attestierten ihm eine Nähe oder vielmehr Seelenverwandtschaft zu Künstlern wie Paul Klee (1879 bis 1940), Wassily Kandinsky (1866 bis 1944), Wols (Wolfgang Schulze, 1913 bis 1951) oder Julius Bissier (1893 bis 1965) – mit einem ebenso revolutionären Beitrag zur Modernen Kunst.

Mehlings Leben als Soldat, Musiker, Kunsthistoriker, Philosoph und Pharmazeut spiegelt sich in seiner Kunst. Die musikalische Erziehung prägte sein Empfinden für Klänge und Töne, kreative Dissonanzen und Harmonien. Als Apotheker beschäftigte er sich mit Aspekten der Naturwissenschaften, insbesondere mit deren Methoden und übersetzte sie in »Bilder«. Nicht zuletzt seine Kriegserlebnisse als sehr junger Mann arbeitete Mehling über die Jahrzehnte in kreativen Schüben auf. Seine Bilder strahlen kraftvolle Dynamik, aber auch Fragilität und spürbare Melancholie aus.

Er selbst bezeichnete seine Arbeiten als »Psychogramme«. Es sind keine schnellen Bilder, sondern lange Gedankenprozesse, die Arbeiten in Mischtechnik dauerten teils über Wochen und Monate. Die Hinwendung zur Kunst war eine existenzielle Überlebens- und Überwindungsstrategie – wenn auch unterbrochen von teils langen Phasen, in denen ihm das Malen physisch und psychisch unmöglich war. Aufgeladen mit Erfahrungen, Emotionen und Ereignissen war er ein Besessener, getrieben von innerer Notwendigkeit, dies alles zu Papier zu bringen – und »auf diesem Papier geschehen Wunder« (Redeker 1966).

Jenseits aller theoretischen Einbindung seiner Arbeit in die postmodernen Kunstströmungen: Betrachtet man die Miniaturen, ist man unmittelbar eingenommen. Die zurückhaltende bis explosive Ästhetik, die Farben und die vielfältig eingesetzten Techniken gefallen und berühren; seine Kunst ist »unendlich sympathisch« (Welling 1966). Der Quell immer anderer Bilder sprudelte über die Jahrzehnte: »Der deutsche Meister des kleinen Formats« (Galerie Haudenschild + Laubscher, Bern 1968) hat mehrere Tausend dieser kleinen Wunder geschaffen.

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