Attacken nach Sex, Sport oder Eis |
| Christina Hohmann-Jeddi |
| 07.11.2025 18:00 Uhr |
Wenn Training Kopfschmerzen auslöst, kann ein primärer Anstrengungskopfschmerz dahinter stecken. / © Getty Images/Petra Debeljak
Starke Anstrengungen wie körperliches Training sind mit heftigen, plötzlich einschießenden Kopfschmerzen verbunden – hinter diesen Phänomenen kann eine seltene primäre Kopfschmerzform stecken. Denn neben den Erkrankungen Migräne, Spannungs- und Clusterkopfschmerz gibt es noch eine Reihe von weiteren primären Kopfschmerzformen, die wenig bekannt sind.
Unter primären Kopfschmerzerkrankungen werden Kopfschmerzen verstanden, die selbst eine Erkrankung darstellen und nicht Symptom einer anderen Erkrankung sind. In der Kopfschmerzklassifikation der International Headache Society (IHS) sind die seltenen Arten in Kapitel 4 »Andere primäre Kopfschmerzerkrankungen« zusammengefasst.
»Früher dachte man, sie seien selten, inzwischen nimmt man an, dass sie häufiger sind als ihr Bekanntheitsgrad vermuten lässt«, berichtete Professor Dr. Stefan Evers, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge, Ende Oktober beim Schmerzkongress in Mannheim. Beschrieben werden die Erkrankungen in der neuen Leitlinie »Die Therapie anderer primärer Kopfschmerzerkrankungen« der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), die 2024 unter Mitarbeit der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft und der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft erschienen ist.
Prinzipiell seien diese primären Formen gutartige Erkrankungen, manche könnten aber die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken, berichtete Evers, der die Erstellung der Leitlinie koordiniert hat. Ein Beispiel ist der primäre Hustenkopfschmerz, bei dem Husten eine Kopfschmerzattacke auslöst. »Der Schmerz schießt ein, verschwindet dann aber innerhalb von Sekunden bis Minuten wieder.« Die Attacken können auch durch das Valsalva-Manöver (Druckausgleich der Ohren bei zugehaltener Nase), beim Niesen oder Schnäuzen auftreten.
Hustenkopfschmerz hat relativ häufig eine zugrunde liegende Ursache, ist dann also eine sekundäre Kopfschmerzform. Dies trifft auf etwa 40 Prozent der Fälle zu. Mögliche Ursachen wie Chiari-Malformation Typ 1 (Missbildung der Schädelgrube), intrakranielle Hypotonie oder Tumoren müssen daher diagnostisch ausgeschlossen werden.
Die akuten Attacken müssen in der Regel nicht behandelt werden. Zur Prophylaxe kann eine Therapie mit dem nicht steroidalen Antirheumatikum (NSAR) Indometacin versucht werden. Laut Leitlinie werden tägliche Dosen von 25 bis 250 mg Indometacin empfohlen, wobei nach Erreichen der Schmerzfreiheit beziehungsweise nach drei Monaten Behandlungsdauer Dosisreduktionsversuche erfolgen sollten. Obligat ist ein konsequenter Magenschutz mit einem Protonenpumpenhemmer. In Einzelfällen können auch Acetazolamid, Naproxen oder eine Senkung des Liquordrucks versucht werden.
Beim primären Anstrengungskopfschmerz reagiert der Patient auf körperliche Anstrengung etwa beim Sport mit Kopfschmerzen. Typischerweise tritt diese Erkrankung im jungen Erwachsenenalter auf; sie kann zusammen mit Migräne vorliegen. Gerade bei einer ersten Attacke sind andere Ursachen der Kopfschmerzen wie Aneurysmata, arteriovenöse Malformationen, intrakranielle Blutungen oder eine koronare Herzerkrankung auszuschließen.
Was kann man gegen den Kopfschmerz tun? »Betroffen sollten nicht in großer Hitze trainieren und die körperliche Aktivität langsam steigern«, riet Evers. Zudem könne eine Kurzzeitprophylaxe von 25 bis 50 mg Indometacin – eine Stunde vor dem Training – hilfreich sein.
Ist Sex ein Auslöser von Kopfschmerzattacken, spricht man von einem primären Sexualkopfschmerz. »Dabei baut sich der Schmerz entweder langsam bei steigender Erregung auf oder setzt explosionsartig kurz vor oder mit dem Orgasmus ein«, informierte Evers. Letztere sei die häufigere Form. Der Schmerz kann unterschiedliche Ausprägungen haben und bi- oder unilateral oder okzipital (am Hinterkopf) auftreten. Die Beschwerden halten in der Regel 30 Minuten, maximal 24 Stunden an.
»Es gibt zwei Erkrankungsgipfel«, sagte Evers. Einer liege bei etwa 20 Jahren, wobei mehr Männer betroffen seien, und einer liege bei etwa 50 Jahren, bei dem mehr Frauen erkrankten. »Zum Glück ist das kein lebenslanges Problem«, sagte der Mediziner. Viele Patienten hätten nur eine Episode. Nur eine Minderheit der Patienten zeige über mehrere Jahre diese Beschwerden.
Auch hier müssten wieder bei erstmaligem Auftreten andere, zum Teil gefährliche Ursachen wie Subarachnoidalblutung, eine Gefäßdissektion (Riss der Gefäßwand) oder ein reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom als mögliche Ursachen ausgeschlossen werden. Red Flags, die für symptomatische Kopfschmerzen sprechen, seien Bewusstseinstrübung, Erbrechen und visuelle oder sensomotorische Ausfälle. Zur Diagnostik werden eine Bildgebung des Gehirns mittels CT oder MRT und eine Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Arterien eingesetzt.
Die akuten Kopfschmerzen müssten beim primären Sexualkopfschmerz in der Regel nicht therapiert werden. »Bei länger andauernden Attacken kann ein Behandlung mit Indometacin oder Triptanen versucht werden. Andere NSAR sind meist unwirksam«, berichtete Evers. Bei wiederkehrenden Attacken sei eine Prophylaxe mit Propanolol Mittel der Wahl. Alternativ kommen Metoprolol und Atenolol, Topiramat oder der CGRP-Antikörper Erenumab infrage. Für Letzteren liegen aber noch wenig Daten vor. Außerdem senke eine passivere Rolle bei der sexuellen Aktivität das Risiko für Attacken.
Die wohl bekannteste der seltenen Kopfschmerzformen ist der kältebedingte Kopfschmerz, der durch Kältereize auf den Kopf etwa beim Skifahren, die Inhalation kalter Luft oder den Verzehr von kalten Speisen oder Getränken ausgelöst werden kann. »Die letztgenannte Form wird anschaulich auch als Ice Cream Headache bezeichnet«, berichtete der Neurologe Dr. Torsten Kraya von Klinikum St. Georg in Leipzig.
Die österreichische Kaiserin Elisabeth, auch Sisi genannt, hatte sehr langes Haar, das sie in aufwendigen Flechtfrisuren trug. / © Getty Images/ilbusca
Der kältebedingte Kopfschmerz ist relativ weit verbreitet – verschiedenen Studien zufolge kommt er bei 8 bis 50 Prozent der Bevölkerung vor. Der meist beidseitige Schmerz kann intensiv sein, hält im Mittel aber nur 30 Sekunden an. »Diese Kopfschmerzform ist gutartig, deshalb ist eine differentialdiagnostische Abklärung nicht notwendig«, sagte Kraya. Das höchste Risiko bestehe bei raschem Verzehr von Slush-Eis.
Ebenfalls gutartig sind Kopfschmerzen, die durch Einwirkung von Druck auf den Kopf ausgelöst werden, etwa durch das Tragen von Hüten, Stirnbändern oder FFP2-Masken. Auch ein Zug am Kopf, etwa durch Zöpfe oder das Gewicht von langen nassen Haaren, kann diese Form von Kopfschmerzen auslösen. So soll die als Sisi bekannte Kaiserin Elisabeth von Österreich an Kopfschmerzattacken gelitten haben, wenn sie ihre bis zum Boden reichenden Haare wusch. Sie tat dies daher nur alle zwei bis drei Wochen und hängte die nassen Haare anschließend über ein spezielles Gestell, um den Zug auf den Kopf zu minimieren.
Deutlich belastender sind zwei Kopfschmerzerkrankungen, die Dr. Katharina Kamm vom Klinikum der LMU München vorstellte. »Beim schlafgebundenen Kopfschmerz wachen Patienten in der Nacht immer zur gleichen Zeit aufgrund von Kopfschmerzen auf.« Dies betreffe meist ältere Personen ab 65 Jahren, bei Jüngeren sei die Kopfschmerzform selten. Etwa zwei Drittel der Betroffenen seien Frauen. In der Regel haben Patienten mehr als 20 Attacken pro Monat, die in der Nacht, zum Teil aber auch bei einem Mittagsschlaf auftreten. Die Schmerzen sind moderat bis intensiv und zum Teil von Übelkeit, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit begleitet. Die Attacken dauern zwischen 15 Minuten und vier Stunden an.
Die Erkrankung müsse differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden vom Clusterkopfschmerz und sekundären Kopfschmerzformen, etwa bei nächtlichem arteriellen Bluthochdruck oder obstruktiver Schlafapnoe. Zur Therapie liegen bislang keine Studiendaten, sondern nur Fallberichte vor. »Demnach hilft vielen Patienten eine starke Tasse Kaffee in der Akutbehandlung oder schon prophylaktisch vor dem Schlafengehen«, berichtete Kamm. Alternativ könnten auch Coffeintabletten, Melatonin, Indometacin oder Lithium versucht werden. Mit Lithium müsse man aber gerade bei den älteren Patienten sehr vorsichtig sein, betonte dir Ärztin.
Gegen den schlafgebundenen Kopfschmerz soll eine Tasse Kaffee vor dem Schlafengehen helfen. / © Getty Images/blackCAT
Belastend ist auch der sogenannte neu aufgetretene, tägliche, anhaltende Kopfschmerz, den Kamm vorstellte. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er plötzlich innerhalb eines Tages einsetzt und konstant fortbesteht, ohne abzuklingen. Er sei keine Weiterentwicklung eines bestehenden Kopfschmerzes (etwa Migräne), sondern entstehe neu und sei therapeutisch sehr schwer zu beeinflussen.
»Die Schmerzen halten über Monate bis Jahre an und können migräne- oder spannungskopfschmerzartig sein«, so die Expertin. Zum Teil sind sie von Schwindel, Übelkeit, Photophobie oder Sehstörungen begleitet. Bei manchen Patienten ließen sich Auslöser der Erkrankung wie stressige Lebensereignisse, Infektionen oder Operation im Gesicht oder am Hals identifizieren.
»Die Therapie erfordert Durchhaltevermögen«, sagte die Ärztin. Durch eine Behandlung werde häufig nur die Schmerzintensität gesenkt und keine schmerzfreien Tage erreicht. Bei migräneartigen Schmerzen werden zunächst Wirkstoffe zur Migräneprophylaxe eingesetzt, bei der spannungskopfschmerzartigen Form trizyklische Antidepressiva. Opiod- und Nicht-Opioid-Analgetika seien in der Regel ohne Effekt. Zum Teil können Cortison, Botox-Injektionen oder Nervenblockaden versucht werden.
Bei Indometacin handelt es sich um ein klassisches NSAR – es wirkt über die unselektive Hemmung von COX-1 und COX-2 antiinflammatorisch und analgetisch. Warum es bei den seltenen Kopfschmerzformen besser wirkt als andere NSAR, ist aber noch nicht vollständig verstanden. Über die Cyclooxygenase-Hemmung hinaus sind offenbar noch weitere Mechanismen relevant, berichtete Dr. Oliver Summ von der Universität Oldenburg.
So scheint Indometacin die Wirkung von Stickstoffmonoxid (NO) direkt zu inhibieren. In Experimenten konnte der Wirkstoff die Wirkung von NO-Donatoren aufheben und eine Gefäßdilatation, die an Kopfschmerzattacken beteiligt ist, unterbinden. Darüber hinaus scheint der Wirkstoff den intrakraniellen Druck und den zerebralen Blutfluss zu senken.