»Arzneimittelhersteller sind systemrelevant« |
Jennifer Evans |
02.04.2020 16:12 Uhr |
Container in China: Nach dem wochenlangen Lockdown sind viele Container nicht nach Europa zurückgekehrt. Der BAH rät zu Rücktransporten. / Foto: Adobe Stock/chungking
Einige Mitgliedsunternehmen haben nach BAH-Angaben im Zuge der Coronavirus-Krise bereits über logistische Schwierigkeiten geklagt. Andere gehen davon aus, dass ihnen etwaige Störungen bei den Transportwegen unmittelbar bevorstehen. Um die Lieferketten in der aktuellen Situation zu stabilisieren, ist es aus Sicht des Verbands daher »zwingend erforderlich« kurzfristig einzugreifen.
Mit Blick auf den freien Warenfluss innerhalb der Europäischen Union (EU) schlagen die Arzneimittelhersteller an den Grenzen nun Durchfahrtspuren für Lastwagen und Lieferfahrzeuge vor, um die Situation zu entschäfen. Insbesondere für Transporte mit systemrelevanten Gütern sei dies sinnvoll, heißt es in dem Positionspapier. Staus oder andere Wartezeiten sind demnach für den Gütertransport inakzeptabel. Auch Lkw-Kontrollen sollten derzeit auf Stichproben oder Verdachtsmomente limitiert sein.
Sicher ist der Verband außerdem, dass durch einen schnelleren Warenverkehr auch mehr Kapazitäten beim Transportpersonal frei werden. Dieses sei »übermäßig lang in den vorgenannten vermeidbaren Verkehrsstaus gebunden«. Eine Entlastung wäre zudem, diese Personen »als versorgungskritisches Personal« bevorzugt zu testen und zu behandeln, um unnötige Quarantänen und damit überflüssige Ausfälle zu verhindern.
Unmittelbar auf die Produktion wirke sich die Personalsituation in grenznahen Gebieten wie zu Frankreich oder zur Schweiz aus. Trotz Pendlerschein dauere die Einreise ins Nachbarland bis zu zwei Stunden. Vor diesem Hintergrund fordert der BAH die Bundesregierung auf, europaweit die Grenzen zumindest für den Güter- und Warenverkehr sowie für den Grenzübertritt von Berufspendlern baldmöglichst wieder zu öffnen.
Als kritisch bewerten die Hersteller auch die aktuelle Verfügbarkeit von Kühlcontainern. Nach dem wochenlangen Lockdown in China seien dort viele Container gebunden. Der BAH rät dazu, notfalls Rücktransporte von leeren Containern – auch ohne Beladung mit in China hergestellten Gütern – zu organisieren. Reedereien, die solche Rücktransporte übernehmen, sollten in den Augen des Verbands eine entsprechende Vergütung erhalten.
Damit nicht genug: Als dringlich erachtet der BAH zudem, dass die »Systemrelevanz der Arzneimittel- und Medizinprodukte-Hersteller bundesweit einheitlich anerkannt wird«. Schließlich stellten diese über Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente und Medizinprodukte die Produktion sowie die Auslieferung die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicher. Anerkannt hätten dies aber bislang nur die Landesregierungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
Die Vorteile, die sich aus einer Systemrelevanz ergeben, liegen für die Arzneimittelhersteller auf der Hand. So könnten die Unternehmen auch an Sonn- und Feiertagen arbeiten sowie die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden erhöhen. Ein entsprechender Passierschein würde ihnen darüber hinaus die Anwesenheit des Personals garantieren – auch bei Grenzschließungen, Quarantänemaßnahmen oder Ausgangssperren.
Erhöhte Produktions- und Transportkosten sollten nicht zu einer »weiteren Reduzierung an potenziell verfügbaren Arzneimitteln« führen, meint der Verband. Dieses Problem hatte kürzlich bereits auf der Tagesordnung beim Jour Fixe Liefer- und Versorgungsengpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gestanden. Nach Auffassung des BAH sollte es künftig mehr Anreize für die pharmazeutische Industrie geben, Produktionsstätten wieder in die EU zu verlegen. Auch Rabattausschreibungen könnten dem Positionspapier zufolge so modifiziert werden, dass europäische Standorte bevorzugt berücksichtigt werden. Selbst bei der Abgabe von Medikamenten könne man hier Anpassungen vornehmen, heißt es. »Es könnte aufgeführt werden, dass bei der Abgabe eines Arzneimittels eine Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen wäre, das in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union produziert wurde.«
Erneut betont der BAH, dass Exportverbote aktuell unbedingt zu vermeiden sind. Der Verband hatte bereits kürzlich vor einer Kettenreaktion gewarnt. Er befürchtet, ausländische Märkte könnten durch eine Minderversorgung ihrerseits ebenfalls mit einer Beschränkung für den deutschen Markt reagieren. »Nationale Alleingänge« sind laut Positionspapier daher unbedingt zu vermeiden.
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