Apotheken können AMTS erhöhen |
Sven Siebenand |
28.05.2024 11:30 Uhr |
Dr. Nina Griese-Mammen vom Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA referierte über AMTS bei der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen und ihrer Komorbiditäten. / Foto: PZ/Alois Müller
Ungefähr 5 Prozent aller Krankenhauseinweisungen erfolgen aufgrund von Nebenwirkungen, bis zu 70 Prozent davon gelten als potenziell vermeidbar. Darauf machte Dr. Nina Griese-Mammen vom Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran aufmerksam. »Arzneistoffe, die bei kardiovaskulären Erkrankungen zum Einsatz kommen, sind für circa 40 Prozent dieser unerwünschten Arzneimittelwirkungen verantwortlich«, informierte die Apothekerin.
Als Beispiele für Arzneistoffklassen mit einem erhöhten Risiko für Hospitalisierung nannte sie die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK), Vitamin-K-Antagonisten und Thrombozytenaggregationshemmer (TAH). »Wenn die Apotheken schauen, dass die Patienten diese Arzneimittel richtig anwenden, können sie dazu beitragen, arzneimittelbedingte Krankenhauseinweisungen zu vermeiden.«
»Es braucht mehr AMTS in Leitlinien«, forderte Griese-Mammen. Sie verwies darauf, dass ein Anfang dabei schon geschafft ist. In einigen Therapieleitlinien würden die Erstellung eines aktuellen Medikationsplans und die Durchführung einer Medikationsanalyse heute bereits empfohlen.
Eine pharmazeutische Dienstleistung, die erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation, passe haargenau dazu. »Mit dieser Dienstleistung können Sie viele der Probleme von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen adressieren«, so Griese-Mammen. Dieser Auffassung ist übrigens auch die Stiftung Warentest: »Nutzen Sie den kostenfreien Medikationscheck in der Apotheke«, lautet einer von fünf Patiententipps der Stiftung für den sicheren Umgang mit Medikamenten.
Ein weiterer Tipp der Stiftung ist das Anfordern eines Medikationsplanes. Auch Griese-Mammen ging auf die Bedeutung eines aktuellen Medikationsplans und eine korrekte Arzneimittelanamnese (»Medication Reconciliation«) ein. Dies sei eine Grundvoraussetzung für AMTS.
Als Beispiel für eine leider viel zu häufig beobachtete Auffälligkeit bei der Kontrolle von Medikationsplänen führte die Referentin den sogenannten Triple Whammy an. Unter einer Kombinationstherapie von Diuretika und Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) sollen nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wegen des erhöhten Risikos für ein akutes Nierenversagen nicht eingesetzt werden. Laut Barmer Arzneimittelreport 2023 erhielt aber jeder Vierte zwischen 65 und 79 Jahren und jeder Dritte ab 80 Jahren den Dreifachhammer, schilderte Griese-Mammen die Diskrepanz zwischen der Empfehlung und dem klinischem Alltag.
Am besten sei es, wenn dann auf das NSAR verzichtet wird und auf Alternativen wie Paracetamol, Metamizol oder Opioide ausgewichen wird. Ist das nicht möglich, dann sollten NSAR mit bestmöglichem Sicherheitsprofil in der niedrigsten wirksamen Dosis und so kurzzeitig wie möglich eingenommen werden. Dies seien Ibuprofen und Naproxen.
Besteht ein Kunde, etwa in der Selbstmedikation, auf einem NSAR, sollte sein Blutdruck kontrolliert werden. Auch an dieser Stelle kann eine pharmazeutische Dienstleistung der Apotheke zum Tragen kommen, die standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck.
Last, but not least wies Griese-Mammen darauf hin, dass die Angaben zu Kontraindikationen und Anwendungsbeschränkungen in der Fachinformation in manchen Fällen veraltet sind und mit den Leitlinienempfehlungen nicht übereinstimmen. »Das ist für die Praxis nicht optimal.«
In diesem Zusammenhang informierte sie über ein Modell aus den Niederlanden. Dort erstellt ein Expertenpanel zur Bewertung der Literatur Praxisempfehlungen. Ziel sei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Risiken für den Patienten und Warnhinweis-Ermüdung. Aus Sicht der Referentin sollte man darüber auch in Deutschland nachdenken.