Apotheken haben Sonderregeln besonnen genutzt |
Daniela Hüttemann |
12.04.2022 13:10 Uhr |
Nicht vorrätig, nicht lieferbar – das sorgt sowohl bei den Patienten als auch bei den Apotheken für großen Unmut und Mehraufwand. Umso wichtiger sind flexible Möglichkeiten, ein passendes Ersatzpräparat so schnell wie möglich anbieten zu können. / Foto: Adobe Stock/pikselstock
Relativ am Anfang der Pandemie, am 22. April 2020, trat die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (SARS-CoV-2-AMVersVo) in Kraft. Sie soll die schnelle Versorgung von Patienten mit notwendigen Arzneimitteln sicherstellen, wenn ein Medikament nicht direkt verfügbar ist. Um Arzt- und Apothekenkontakte auf das Nötigste zu reduzieren sowie bei Lieferengpässen haben die Apotheken dadurch mehr Freiheiten, von der ärztlichen Verordnung, Rahmen- und Rabattverträgen abzuweichen, damit sie Rezepte sofort beliefern können.
Apotheken dürfen, wenn Rabattarzneimittel oder preisgünstige Arzneimittel nicht in der Apotheke vorrätig sind, von der Abgabe-Rangfolge des Rahmenvertrags abweichen. Bei Nichtlieferbarkeit eines Präparats dürfen wirkstoffgleiche Arzneimittel, andere Packungsgrößen oder Wirkstärken abgegeben werden. Dies kann der Apotheker ohne Rücksprache mit dem Arzt entscheiden. Falls ein Wirkstoff gänzlich fehlt, kann der Apotheker nach Rücksprache mit dem Arzt ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel abgeben. Dazu dokumentiert die Apotheke einen »dringenden Fall« auf dem Rezept, was zuvor nur in einem deutlich enger gesteckten Rahmen möglich war.
Eine aktuelle pharmakoökonomische Analyse über den Zeitraum Juli 2019 bis Dezember 2020 durch das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) bestätigt nun, dass die Apotheken verantwortungsvoll mit diesen Freiheiten umgehen – ein gewichtiges Argument für die dauerhafte Beibehaltung der vereinfachten Abgaberegelungen, wie sie die Apothekerschaft vom Gesetzgeber fordert. Denn nach aktuellem Stand laufen diese Regeln am 31. Mai 2022 aus, und die alten, engeren Vorschriften zur Abgabe würden wieder gelten.
»Dank des größeren Entscheidungsspielraums können Apotheken Millionen Menschen sofort versorgen, ihnen doppelte Wege und Wartezeiten ersparen«, betont ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. »Bürokratische Abfragen beim Großhandel fallen weg, das spart auch beim Apothekenteam Zeit. Diese Vorteile gehen verloren, wenn die Ausnahmeregelung ausläuft. Das darf nicht passieren. Wir brauchen dauerhafte pharmazeutische ›Beinfreiheit‹, denn auch die Lieferengpässe dauern an. Die Krankenkassen müssen keine Angst vor Extrakosten haben, denn die DAPI-Analyse belegt, dass die Rabattvertragsquoten und somit die Einsparungen stabil bleiben.«
Im zweiten Halbjahr 2019 mussten die Apotheken durchschnittlich 2,6 Millionen Packungen pro Monat austauschen, weil sie nicht vorrätig oder nicht lieferbar waren. Im zweiten Halbjahr 2020 lag die Austauschquote bei 2,3 Millionen Packungen nur etwas niedriger, aber da nun durch die Neuregelung der Engpass nicht mehr in einem zeitaufwändigen Verfahren belegt werden musste, konnte die Wartezeit für den Patienten verkürzt werden.
Seit Inkrafttreten der SARS-CoV-2-AMVersVo hat die Abgabe dokumentierter »dringender Fälle« und damit einer beschleunigten Versorgung nach DAPI-Analyse der abgegebenen Medikamente zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sprunghaft zugenommen: von etwa 0,8 Millionen Packungen pro Monat im Beobachtungszeitraum vor Pandemiebeginn (Juli 2019 bis Februar 2020) auf 1,6 Millionen Packungen pro Monat ab April 2020. Umgekehrt halbierten sich die Fälle mit Wartezeit von etwa 2,0 Millionen pro Monat im Zeitraum Juli 2019 bis März 2020 auf 1,0 Millionen pro Monat im Zeitraum April bis Dezember 2020.
Das DAPI konstatiert zudem, dass die Rabattvertrags-Erfüllungsquote mit 94 Prozent unverändert hoch blieb. Ebenso habe sich die Importquote kaum geändert. Sie habe im gesamten Untersuchungszeitraum nie unter 5,2 Prozent gelegen – und damit deutlich über dem im Rahmenvertrag festgelegten Einsparziel von 2 Prozent. »Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass die Erweiterung der Substitutionsregeln gemäß SARS-CoV-2-AMVersVo keine relevanten negativen Auswirkungen auf die GKV-Ausgaben hatte«, folgert das DAPI.
Insgesamt zeige die Analyse, dass die Erweiterung der Aut-idem- und Aut-simile-Substitution in den Apotheken verantwortungsbewusst und mit konstantem Blick auf die Wirtschaftlichkeit eingesetzt wurden, heißt es weiter. Gleichzeitig ermöglichten diese Lockerungen bei Liefer- und Versorgungsengpässen auch außerhalb der pandemischen Situation eine schnelle und verlässliche Versorgung von Patienten mit den notwendigen Arzneimitteln. Die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände setzt sich daher dafür ein, die Möglichkeiten zur Auswahl eines verordneten Arzneimittels nachhaltig zu erweitern.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.