Apotheken dienen der Daseinsfürsorge |
Brigitte M. Gensthaler |
27.06.2022 11:30 Uhr |
Der Vorsitzende des Thüringer Apothekerverbands, Stefan Fink, und der Thüringer Kammerpräsident Ronald Schreiber eröffneten den 16. Thüringer Apothekertag (Archivbild). / Foto: Alois Mueller.info@amfotos.com
Immer wieder werde hinterfragt, ob das wohnortnahe flächendeckende Netz mit etwa 18.500 Apotheken und 160.000 Mitarbeitern in Deutschland noch eine Perspektive habe, sagte Schreiber. Doch in der Pandemie habe sich klar gezeigt: »Ja, es hat eine Perspektive, denn es ist das einzige funktionierende System zur schnellen, effizienten und wohnortnahen Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln, aber auch mit vielen anderen Dingen.«
Der Apothekerberuf habe sich grundlegend gewandelt – vom Arzneimittelhersteller zum Ratgeber. Hatte die ABDA 1993 erstmals ihre Thesen zur Pharmazeutischen Betreuung vorgestellt, so geht es heute um das Medikationsmanagement. Das beste Beispiel sei ARMIN – Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, sagte Schreiber. Ein wichtiger Teil des Projekts war es, das Medikationsmanagement in Zusammenarbeit mit den Ärzten zu gestalten. Leider sei es nun ausgelaufen. »Doch wir wollen das, was wir im Modellprojekt gelernt haben, in die Regelversorgung überführen – dafür sind Modellprojekte da.«
Mit den pharmazeutischen Dienstleistungen breche ein neues Zeitalter an , denn erstmals gebe es Leistungen, deren Notwendigkeit der Apotheker selbst einschätzt und auslöst und die dann von den Krankenkassen bezahlt werden. Aktuell seien fünf Betreuungsangebote vereinbart – für Schreiber ist das »nur der Aufschlag«. Einen Zielkonflikt mit den Ärzten sehe er nicht. »Mit unseren heilberuflichen Partnern werden wir weiter konstruktiv zusammenarbeiten.« Sorgen bereitet ihm der Personalmangel, denn für das neue Aufgabenfeld brauche man mehr Apotheker und mehr PTA. Er hoffe auf den Ausbau des Pharmazeutischen Instituts in Jena.
Neben den vielen Pandemie-bedingt neuen Tätigkeiten werden pharmazeutische Dienstleistungen und auch die Grippeimpfungen das Versorgungsangebot der Apotheken an die Menschen nochmal deutlich erweitern, konstatierte Schreiber. Das Apothekensystem sei Teil der Daseinsfürsorge. »Was Apotheker können, können nur Apotheker. Und die können viel mehr als manche denken.« Dies habe der Berufsstand in der Pandemie bewiesen und werde es auch in Zukunft zeigen.
Dass der Apothekerstand gute Chancen in der Zukunft hat, stellte auch der Futurologe und Bestsellerautor Max Thinius fest und rief die Apotheker auf, ihre Zukunft in der Daseinsvorsorge aktiv selbst zu gestalten. »Sie werden dies noch viel intensiver tun als bisher, denn es gilt: Shift happens.«
Er sei überzeugt, dass es künftig »nicht ganz viel neue Technik, aber viele neue Strukturen« geben werde. Die Industrialisierung habe im vorletzten und letzten Jahrhundert enorme strukturelle Umwälzungen der Gesellschaft gebracht. »Wir sind alle industriell sozialisiert, aber seit 2010 gilt die Digitalisierung.« In der Industrialisierung hätten die Menschen große zentrale Systeme aufgebaut. Dagegen sei die Zeit der Digitalisierung charakterisiert durch viele kleine autarke Bestandteile, die sich immer wieder neu vernetzen. Die Apotheker haben nach Thinius´ Ansicht hier gute Chancen, da sie sich intensiv mit digitalen Prozessen auseinandersetzen.
Mit zunehmender Digitalisierung würden sich Stadtstrukturen ändern, erklärte der Futurologe. Laut Studien werden sich ab 2025 die kleinen und mittleren Städte stärker entwickeln und massiv wachsen, während die Großstädte stagnieren. Statt der Metropolen wachsen polyzentrale Strukturen, die digital stark verbunden sind. »Apotheken agieren heute schon polyzentral und haben beste Möglichkeiten, ihr Netzwerk in den Mittelpunkt zu stellen. Online- und offline-Apotheke werden sich mischen.« Es entstünden neue Systeme der Gesundheitsvorsorge, in denen Apotheker »ganz große Chancen haben und ihre polyzentrale Vernetzung ausspielen können«. Deutschland sei weltweit führend darin, die Digitalisierung im Sinne der Menschlichkeit umzusetzen.