Fälschungen keine Chance lassen |
04.10.2004 00:00 Uhr |
»Medikation ist janusköpfig«, betonte Dr. Frank Diener, Geschäftsführer für Wirtschaft und Soziales der ABDA. Sie trage zur Heilung bei, könne jedoch auch zur Verschlechterung der Gesundheit führen sowie Behandlungskosten in die Höhe treiben. Das Ausmaß der Problematik belegen zum Beispiel dänische Studien, denen zufolge eine von 15 Krankenhauseinweisungen einen Arzneimittelbezug hat und vermeidbar gewesen wäre.
Zu bedenken gab Diener, dass das jetzige Arzneimittelsicherheitssystem nicht auf neue Akteure wie Drogeriemärkte oder Versandhändler eingestellt ist. »Wer diese trotzdem zulässt, baut Fehlertoleranzen in ein funktionierendes System ein“, sagte der ABDA-Geschäftsführer. Allen neuen Akteuren sei zudem eines gemeinsam: das Profitstreben! Deshalb forderte Diener unter dem Beifall der Delegierten ein Verbot der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel außerhalb der Apotheke. Darüber hinaus konnten sich die Delegierten in einem Antrag darauf einigen, dass in Zukunft zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit Chargennummer und Verfallsdatum, wie bereits bei der Pharmazentralnummer, maschinell lesbar auf der Verpackung angebracht sein sollen. Dadurch sei ein lückeloses Verfolgen jeder Charge möglich, was vor allem für Rückrufe bedeutend ist, sagte Diener. Welche Technologie die Hersteller für die neue Kennzeichnung einsetzten sei zweitrangig.
Eine risikobehaftete, nicht kontrollierbare Form der Arzneimittelverbreitung sei die Ausgabe von Ärztemustern. Nach dem Vorbild eines amerikanischen Modellversuchs soll deshalb nach Meinung der Apothekerschaft zukünftig die Abgabe von Ärztemustern nur noch gegen einen Gutschein über den HV-Tisch der Apotheken erfolgen.
„Seit 1996 überwacht das Bundeskriminalamt Arzneimittel-Fälschungen auf dem deutschen Markt“, sagte Kriminalhauptkommissar Klaus Gronwald vom Referat für Umweltkriminalität des BKA. Bei den meisten handelt es sich um gefälschte Primär- oder Sekundärverpackungen aus Osteuropa oder Afrika. Bisher hätte man gegen Fälschung der Verpackung oder Beipackzettel keine gesetzliche Handhabe gehabt. Dies habe sich aber mit der 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes geändert, nach der nun auch „hinsichtlich ihrer Identität oder Herkunft falsch gekennzeichnete Arzneimittel“ als Fälschungen gelten. Außerdem wurde das Strafmaß bei Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz verschärft. Straftaten können nun mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren, in schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahren geahndet werden.
Das Ausmaß der Fälschung kann variieren von vertauschten Beipackzetteln oder gefälschten Verpackungen über veränderte Wirkstoffe bis hin zu fehlendem Wirkstoff. Fälschungen völlig ohne Arzneistoff seien in Deutschland, anders als zum Beispiel in den USA, aber noch nicht aufgetaucht, sagte Gronwald. Bisher hätten alle entdeckten Falsifikate ähnliche Wirkstoffe und Zusammensetzungen besessen wie das Original, so dass keine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung bestand.
„Seit 1996 sind dem BKA insgesamt 24 Fälle von Arzneimittelfälschung mit Deutschlandbezug bekannt geworden“, sagte Gronwald. „Dies sieht nicht viel aus“, so der Referent. Doch hinter jedem Fall stünden zum Teil mehrere gefälschte Präparate und pro Präparat bis zu 70.000 gefälschte Packungen. Und dies seien nur die bekannten Fälle, die Dunkelziffer läge enorm hoch. Bis zu 27 Milliarden US-Dollar könnten der Pharmaindustrie nach Schätzungen des BPI jährlich durch Arzneimittelfälschungen verloren gehen. Gefälscht würden eine Reihe von Präparaten wie bluttfettsenkende Mittel, HIV-Therapeutika und Antibiotika.
Fachapotheker Dieter Temme von der Behörde für Wissenschaft und Gesundheit in Hamburg kritisierte in seinem Vortrag, dass den Aufsichtsbehörden beim Vorgehen gegen den „Grauen Markt“ zum Teil die Hände gebunden sind. „Wir brauchen gesetzliche Handhabe“, sagte er. Doch der derzeitigen Gesetzgebung fehle im Vergleich zu früher die Exaktheit und Sorgfalt, so dass Gesetzestexte zu vage oder zum Teil falsch formuliert sind.
Als „Grauen Markt“ definierte er den Teil des Arzneimittelmarktes, der unüberschaubar, zum Teil auch illegal ist und verschiedene Aspekte der Arzneimittelsicherheit verletze. Als Beispiele nannte er Re- und Parallelimporte, bei denen mitunter die Quellen nicht nachzuvollziehen sind, sowie Einzelimporte durch Apotheken, die sogar die Einfuhr von Präparaten erlaubt, die im Herkunftsland nicht als Arzneimittel zugelassen sind. Weiterhin zählte er auch die Großhandelstätigkeit von Apotheken zum Grauen Markt, da sie keine Großhandelserlaubnis besitzen. Er könne sich aber vorstellen, dass diese in Zukunft in die Apothekenbetriebserlaubnis mit eingeschlossen werden könnte.
„Ein Schlüsselbegriff zum Thema Grauer Markt ist das Internet“, sagte Temme. So würden inzwischen Arzneimittel – legalerweise – von Privatpersonen in Internetauktionen versteigert oder verschreibungspflichtige Präparate ohne Rezept bei Versandhändlern angeboten. So sei der Bevölkerung das Bild vom Arzneimittel als Ware besonderer Art nicht zu vermitteln, betonte Temme.
Aktuell in der Diskussion ist auch das Thema Zweitverwertung von Arzneimitteln, gegen das sich die Hauptversammlung deutlich aussprach. Die Delegierten forderten in einem Antrag die Gesetzgebung auf, die Zweitverwertung nicht zuzulassen.
Kommentar: Keine hundertprozentige Sicherheit Der Graue Markt bei Arzneimitteln ist noch nicht trocken gelegt, so kann das Ergebnis des dritten Arbeitskreises zum Thema »Sichere Arzneimittelversorgung« zusammengefasst werden. Natürlich hat die 12. Änderungsnovelle zum Arzneimittelgesetz, die im August dieses Jahres in Kraft getreten ist, einige neue Maßnahmen zur Arzneimittelsicherheit festgeschrieben. Der Großhandel wird stärker überwacht, Arzneimittelfälschungen sind exakter definiert, und wer gegen die Bestimmungen verstößt, muss mit höheren Strafen rechnen. Experten glauben aber nicht, dass auf diese Weise eine hundertprozentige Sicherheit zu erreichen ist. Bei einem geschätzten Umsatz mit Arzneimittelfälschungen von rund 17 Milliarden Dollar weltweit, können die dem Bundeskriminalamt seit 1996 bekannt gewordenen 28 internationale Fälle nur als die Spitze des Eisberges definiert werden.
Für die Apothekerinnen und Apotheker besteht die größte Unsicherheit in der Frage: Wie erkenne ich eine Arzneimittelfälschung? Mit den herkömmlichen gesetzlich vorgeschriebenen Verpackungen ist das nicht möglich. Deshalb erscheint es dringend notwendig, die in den frühen 90er-Jahren eingeführte Kennzeichnung (Balkenstrichcode 29) durch intelligentere Lösungen zu ersetzen. Mit der für 2006 geplanten elektronischen Gesundheitskarte ist der Zeitpunkt genau richtig, synchron mit der Telematikeinführung über neue Codierungen nachzudenken. Die im Arbeitskreis vorgestellte Radio-Frequenz-Identifikation (RF-ID) wäre ein Schritt in Richtung höherer Arzneimittelsicherheit. Bleibt die Hoffnung, dass alle Beteiligten, vor allem die Industrie, dieser Richtung folgt.
Professor Dr. Hartmut Morck
Chefredakteur
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