Für Apotheker selbstverständlich |
26.09.2005 00:00 Uhr |
In seinem einführenden Referat stellte Dr. Rainer Hess, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), heraus, dass die Nutzenbewertung noch in den Kinderschuhen stecke, aber langfristig die Arzneimittelqualität verbessern und Kosten einsparen werde.
»Nutzenbewertung von Arzneimitteln findet auf zwei Wegen statt«, so Hess. Zum einen in der Festbetragsgruppenbildung und zum anderen durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG). Die Festbetragsgruppen werden in drei Stufen unterteilt. Stufe 1 umfasst Arzneimittel eines Wirkstoffes, Stufe 2 vergleichbare Wirkstoffe, einschließlich der patentgeschützten, und in Festbetragsgruppen der Stufe 3 sind Mittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung zusammengefasst.
Ausgenommen von der Festbetragsregelung werden therapierelevante Verbesserungen. Ein Zusatznutzen liegt immer dann vor, wenn das Mittel aus medizinischer Sicht die Therapie verbessert oder weniger Nebenwirkungen auftreten. Ein Nachweis dafür müsse aber unbedingt erbracht werden, sagte Hess. Entweder durch eine arzneimittelrechtliche Zulassung, einen Konsens der Fachleute oder Studien. Bevorzugt sollten es valide Endpunktsstudien in Form direkter Vergleichsstudien sein. Wenn es diese nicht gibt, sollten zumindest placebokontrollierte Studien, einen indirekten Nachweis erbringen. »Hier spielt der Gemeinsame Bundesausschuss eine wichtige Rolle, weil er anders als der pharmazeutische Hersteller nicht nur ökonomisch denkt, sondern auch rational«, so Hess.
Die größte Sicherheit geben evidenzbasierte Studienunterlagen der Stufe 1 mit patientenbezogenen Endpunkten wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität. Unterlagen der Evidenzstufe 1 liegen allerdings nur in 30 Prozent aller Fälle vor. Niedrigere Evidenzstufen erhöhen das Risiko für Fehleinschätzungen.
Das IQWiG arbeitet in der Regel auftragsgebunden. Der Gemeinsame Bundesausschuss, ein Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern entscheidet, welche Präparate in der Nutzenbewertung beurteilt werden sollen. Antragsberechtigt gegenüber dem G-BA sind das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Spitzenverbände der Krankenkassen als Träger des G-BA.
Zudem können Patientenorganisationen und die Patientenbeauftragte des Bundes die Auftragserteilung an das IQWiG beantragen. Das Institut recherchiert den aktuellen Kenntnisstand, wertet das wissenschaftliche Material aus und prüft anschließend, ob der Wirksamkeitsnachweis hinreichend erbracht ist. Auch in der Bewertung evidenzbasierter Leitlinien epidemiologisch wichtiger Krankheiten, an der Erstellung von Arzneimittelempfehlungen zu Disease-Management-Programmen und an der Bereitstellung verständlicher Bürgerinformationen zur Qualität und Effizienz ist das Institut beteiligt.
Wie Hess herausstellte, beurteilt das IQWiG nur den Nutzen, nicht aber die Kosten. Für die Kosten-Nutzen-Bewertung ist der G-BA zuständig, der die wissenschaftliche Ausarbeitung des Instituts seiner Entscheidungsfindung zu Grunde legt, ohne daran aber gebunden zu sein.
Bis Anfang 2005 erteilte der Gemeinsame Bundesausschuss dem IQWiG zwölf Einzelaufträge, zum Beispiel die Bewertung des therapeutischen Nutzens von Clopidogrel versus Acetylsalicylsäure oder die sektorübergreifende Bewertung des Nutzens von L-Methionin. Eine Standardtherapie in Krankenhäusern, die in der ambulanten Therapie ausgeschlossen werden soll. Zusammenfassend machte Hess deutlich, dass der Nutzenbewertung von Arzneimitteln zukünftig eine erhebliche Bedeutung zukommen wird. In der Konsequenz wird sie sich durch Therapiehinweise für die Ärzte, Verordnungseinschränkungen und Patienteninformationen (ein spezielles Patienten-Informationssystem befindet sich derzeit im Aufbau) auf die Qualität der Versorgung positiv auswirken.
Die Berufsverbände der Apotheker sind bislang nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten. Aus der Sicht von Hess ist dies auch selbstverständlich, da sie keine unmittelbaren Kosten verursachen und keine Finanzverantwortung übernehmen. Eine stärkere Einbindung der wissenschaftlichen Institutionen der Apotheker in die Nutzenbewertung von Arzneimitteln hält er dagegen für realistisch und sinnvoll. Das IQWiG brauche für seine Arbeit ein Netz starker Partner. Einer könnte das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) sein.
Vielen Delegierten des Apothekertags geht dies nicht weit genug. Sie wollen, dass auch die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) eine größere Rolle spielt. So wurde aus dem Auditorium ein Sitz für einen DPhG-Vertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss gefordert.
Dass es in absehbarer Zeit dazu kommt, hält ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt für wenig wahrscheinlich. In der anschließenden Podiumsdiskussion unterstrich er die Aussage von Hess, dass eine direkte Mitarbeit im Bundesausschuss finanzielle Verantwortung voraussetze. Schmidt hält es für unwahrscheinlich, dass die Apotheker daran interessiert seien.
Während die Delegierten die Arbeit des IQWiG unterschiedlich bewerteten, hält sie der Pharmakologe Professor Dr. Klaus Mohr für absolut notwendig. Aus Sicht der DPhG seien neutrale industrieunabhängige Studien dringend nötig, um »den Nebel zu lichten«. Zu viele klinische Studien arbeiteten mit Surrogatparametern, wie Blutdruck- oder Cholesterinspiegelsenkung. Daraus werde dann illegitim die Wirksamkeit abgeleitet, obwohl der Einfluss auf Mortalität oder Morbidität nicht nachgewiesen werden könne.
Für eher vernebelnd als klärend hält Mohr auch die Neigung der Industrie in Studien mit Prozentzahlen zu arbeiten: »Wenn in der Placebogruppe von 1000 Patienten zwei einen Herzinfarkt erleiden und in der Verumgruppe einer, dann spricht die Industrie von einer Reduktion der Mortalität von 50 Prozent.« In absoluten Zahlen lese sich dies dann wesentlich unspektakulärer.
Pharmazeuten nicht außen vor
Auch wenn die Berufsorganisationen der Apotheker nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss sitzen, bedeutet dies nicht, dass Pharmazeuten völlig außen vor bleiben. Wie der Patientenvertreter im Bundesausschuss, Dr. Ulf Maywald, klarstellte, arbeiten in den Unterausschüssen zahlreiche Apotheker, allerdings im Auftrag der Krankenkassen, der Ärzte oder der Patienten. Auch Maywald, der selbst Apotheker ist, hält eine intensive Beteiligung der Apotheker an der Nutzenbewertung von Arzneimitteln für selbstverständlich. Er denkt dabei aber auch eher an das DAPI oder die DPhG.
Die ABDA sieht dies genauso. Die von Moderator Dr. Frank Diener gestellte Frage, wie die ABDA zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln stehe, beantwortete Schmidt eindeutig: »Wir Apotheker tun dies jeden Tag in der Apotheke.« Es sei völlig klar, dass sich der Berufsstand hier engagieren werde. Die praktischen Erfahrungen der Apotheker müssten unbedingt auch in die Bewertung der Arzneimittel einfließen.
In einem Antrag zum Arbeitskreis beschlossen die Delegierten, was Diener auch als Resümee des Arbeitskreises auf den Punkt gebracht hatte: »Wir wollen uns in die Nutzenbewertung einbringen.« Die Hauptversammlung sprach sich mit großer Mehrheit dafür aus, der Berufsstand solle sich vor allem über das DAPI stärker in die Nutzenbewertung von Arzneimitteln einbringen. Schmidt versprach, dass sich die ABDA für eine Einbindung des DAPI einsetzen werde.
Nutzen Was ist der Nutzen eines Arzneimittels? Leider konnte der Arbeitskreis 1 keine eindeutige Antwort darauf geben. Sicher ist der Nutzen eines Arzneimittels nicht nur die reine Wirkung. Die wird vorausgesetzt. Die Wissenschaft analysiert den Nutzen deshalb aus den Kriterien Morbidität, Mortalität und Lebensqualität. Dabei spielen die patientenbezogenen Endpunkte wie die Zufriedenheit des Patienten keine Rolle.
Aus meiner Sicht ist es aber notwendig, den Patientennutzen einzubeziehen, um den Gesamtnutzen eines Arzneimittels zu bewerten. Gerade was Patientennutzen anbelangt, kann die Apotheke wertvolle Arbeit leisten und Angebote machen, was wie selbstverständlich auch die Mitwirkung der Apotheker im Gemeinsamen Bundesausschuss bedingt. Das alleinige Ziel einer Nutzenbewertung sollte allerdings nicht sein, Arzneimittel von der Erstattung auszuschließen. Entscheidend ist vielmehr, das richtige Arzneimittel zur richtigen Zeit und in der richtigen Dosierung einzusetzen. Dann hat der Patient auch den Nutzen.
Professor Dr. Hartmut Morck
Chefredakteur
© 2005 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de