Der Reformprozess wird weitergehen |
04.10.2004 00:00 Uhr |
Die Apothekerschaft müsse sich darauf einstellen, dass die Liberalisierung noch nicht zu Ende sei. Nach einem guten halben Jahr GMG in der Praxis zog Braun eine erste Bilanz. Neben rein kostendämpfenden Maßnahmen wie höhere Patientenzuzahlungen und Herstellerrabatte brachte das neue Gesetz auch einige tiefgreifende strukturelle Änderungen wie Versandhandel und Aufhebung des Mehrbesitzverbots mit sich. Auf diese habe sich der Berufsstand weitestgehend gut eingestellt, so der Hauptgeschäftsführer der ABDA.
Durch die Sparmaßnahmen und einen schwachen Anstieg des Beitragsvolumens habe die GKV im ersten Halbjahr 2004 etwa 2,5 Milliarden Euro Überschuss erzielt. Dies lange angesichts des Schuldenberges allerdings nicht aus, die Beiträge wie erwünscht zu senken, sagte Braun. An den Einsparungen war der Arzneimittelbereich mit 1,4 Milliarden Euro überproportional stark beteiligt. Der Ausgabenanteil für Arzneimittel sank von 17 auf 13,9 Prozent, während in anderen Bereichen kaum eingespart wurde.
Mit der Erhöhung der Patientenzuzahlungen habe die Bundesregierung „einen Fehler der Vergangenheit ausgemerzt“, sagte Braun. Mittlerweile sei das Zuzahlungsvolumen auf 5 Milliarden Euro gestiegen und habe das Niveau von 1998 erreicht. Für den Berufsstand bedeutete die Neuregelung einen enormen Kraftaufwand. So klärten die Apotheker mit massiven Kampagnen, in denen elf Millionen Informationsbroschüren verteilt wurden, die Bevölkerung über die Änderungen auf. Die bisherige Regelung sei für Finanzschwache allerdings unzumutbar. Für chronisch Kranke, Sozialhilfeempfänger und Heimbewohner müsste eine Regelung zur gleichmäßigeren Belastung gefunden werden, forderte Braun.
Deutlich bemerkbar mache sich auch die Ausgrenzung der OTC-Produkte aus der Erstattungspflicht, die Braun als „reine Kostendämpfungsmaßnahme“ bezeichnete, die aus medizinischer Sicht nicht nachzuvollziehen sei. Das Verordnungsvolumen der OTC-Arzneimittel sei um 50 Prozent gesunken, insgesamt sei der OTC-Markt um 12 Prozent geschrumpft. Die Sparmaßnahme werde sich allerdings als Kostenbumerang erweisen, prognostizierte der ABDA-Hauptgeschäftsführer.
Einen weiteren tiefen strukturellen Einschnitt stelle die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung dar. Das im Berufstand so heftig kritisierte Kombimodell habe aber bislang die Erwartungen erfüllt. Die Renditequote im GKV-Bereich konnte mit ihm auf dem Niveau von 2003 stabilisiert werden. Außerdem mache die Unabhängigkeit vom Arzneimittelpreis den Apotheker als pharmazeutischen Berater glaubwürdiger.
Der im Berufsstand so gefürchtete Versandhandel spiele in Deutschland bisher keine große Rolle. Neben 600 bis 800 Apotheken mit Versandhandelserlaubnis hätten sich etwa ein Dutzend professionelle Versender etabliert. Während diese sprunghaft steigende Umsätze angeben, liegt der GKV-Umsatz mit Versandhändlern laut Angaben des BMGS bei etwa 2 Promille – was im Gesamtjahr etwa 40 Millionen Euro ausmacht. Gefährlicher als den Versandhandel selbst bewertete Braun Randerscheinungen wie Pick-up-Stationen in Drogeriemärkten, Kooperationen mit Kaufhausketten oder Auktionsportale im Internet. Diese Auswüchse, bei denen Unternehmen um jeden Preis – auch gegen gültiges Recht – in den Markt eindringen wollten, seien sicher nicht im Sinne der Gesetzgeber.
Auf die Erlaubnis des Mehrbesitzes hat sich der Berufstand laut Braun gut eingestellt, wie die Zahl der Filialeröffnungen zeigt. Im ersten Halbjahr des Jahres seien 360 Filialen durch Übernahme (70 Prozent) oder durch Neugründung (30 Prozent) entstanden. Über den gefundenen Kompromiss, die Zahl der Filialen auf vier zu beschränken, zeigten sich der Bundeskanzler und weitere führende Politiker aber zunehmend unzufrieden. Ihnen geht die Marktfreiheit nicht weit genug, sie fordern unbeschränkten Mehr- und Fremdbesitz. Die Liberalisierung sei noch nicht abgeschlossen, warnte Braun. Daher sei es für die Apotheker wichtig, sich gut zu positionieren und Chancen, wie sie etwa das veränderte Vertragswesen bieten, zu nutzen. Der DAV und seine Landesverbände hätten erste Verträge mit Krankenkassen zum Hausapothekenmodell abgeschlossen. Braun forderte die Kollegen eindringlich auf, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, da sich die Kassen sonst andere Vertragspartner suchen könnten.
Abschließend erklärte er, dass sich ein völlig gegensätzliches Bild biete, wenn man die Bewertung des GMG durch Presse, Teile der Politik und der Krankenkassen mit der Sicht der Apotheker vergleiche. Während die Presse und Politiker die Apothekerschaft als Gewinner der Reform sähen, würde der Berufsstand die ABDA heftig und zum Teil polemisch angreifen. Doch „für innerverbandliche Querelen bleibt keine Zeit“, betonte Braun. Denn der Arzneimittelmarkt, vor allem der Markt der apothekenpflichtigen, nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel, stehe nach wie vor im Fokus verschiedener Interessen.
Die ABDA nehme die durch das GMG aufgeworfene Kritik allerdings sehr ernst. So habe die letzte ABDA-Mitgliederversammlung eine Kommission beschlossen, die sich mit Änderungsvorschlägen zur Struktur der Berufsorganisationen beschäftigen soll. Die ABDA forderte hierfür alle ihre Mitgliedsorganisationen auf, entsprechende Vorschläge bis Anfang September einzureichen. Eingegangen seien bisher nur Vorschläge von sechs Organisationen, berichtete Braun. Zwei weitere sähen derzeit keinen Änderungsbedarf. Die restlichen 26 Mitgliedsorganisationen reagierten bis heute überhaupt nicht.
Der innerverbandlichen Diskussion um die Struktur der ABDA lägen aber auch einige Klagen von Kollegen zu Grunde, die dem Bundesverband unter anderem undemokratische Strukturen und intransparente oder unkorrekte Haushaltsführung vorwerfen. Verschiedene Verwaltungsgerichte haben diese Klagen allerdings zurückgewiesen. Aus rechtlicher Sicht lägen keine Gründe vor, die Arbeitsweise der ABDA zu verändern, doch aus Gründen der innerverbandlichen Selbstkritik seien die eigenen Strukturen zu prüfen, sagte Braun. Nur so können sich die ABDA sinnvoll weiterentwickeln.
Kommentar: Uneins „Welche Meinung soll’s denn sein?“ Derzeit kann man aus dem Regierungslager eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen zum Thema Fremdbesitz bekommen – je nachdem wen man fragt.
So versicherte Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, dass die Bundesregierung den Fremdbesitz weder plane noch wolle. Was so beruhigend klingt, ist jedoch wenig verlässlich. Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder lässt keinen Zweifel daran, dass er mit der Regelung, die Zahl der Filialapotheken auf drei zu begrenzen, unzufrieden ist. In einer Plenarsitzung Anfang September bezeichnete er die Kompromisslösung als lächerlich und machte sich für die Zulassung von Apothekenketten stark. Die Gesundheitspolitikerin der Grünen, Biggi Bender, fand noch deutlichere Worte: Der Weg in Richtung Apothekenketten sei bereits vorgezeichnet, dies sei nur noch eine Frage der Zeit, sagte sie in einem PZ-Interview.
Anscheinend treffen die Herren und Damen zu diesem wichtigen Thema keine Absprachen mehr, oder sie halten sich nicht daran. Mit einer solchen Planlosigkeit ließe sich nicht einmal ein Klassenausflug organisieren oder ein Sommerfest veranstalten, geschweige denn das Gesundheitssystem sinnvoll reformieren.
Für die Apotheker ist dieses Wirrwarr, ob es nun auf Planlosigkeit oder mitunter auch auf Unaufrichtigkeit basiert, zutiefst unbefriedigend. Denn Unternehmer, wie es selbstständige Apotheker nun einmal sind, brauchen für ihre Planungssicherheit auch verlässliche Aussagen. Diese sind derzeit aber nicht zu kriegen.
Christina Hohmann
Redakteurin
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