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Angst vor Coronaviren

Ansturm auf Arztpraxen

Viele Fragen tun sich derzeit auf bei verunsicherten Menschen in Deutschland. Ihre Sorgen laden viele beim Hausarzt ab – doch die Zeit für solche Gespräche fehlt den Medizinern bei der Behandlung von Patienten. Regionale Covid-19-Zentren gelten als Lösung.
PZ/dpa
03.03.2020  11:34 Uhr

Weltweit haben sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen rund 90.900 Menschen in 73 Ländern nachweislich mit dem neuen Coronavirus infiziert. In Deutschland wurden demnach bislang 188 Fälle bestätigt, darunter 101 in Nordrhein-Westfalen, 36 in Bayern, 26 in Baden-Württemberg. Insgesamt sind 13 Bundesländer betroffen. Viele der Betroffenen bundesweit hätten sich in Nordrhein-Westfalen infiziert, sagte Schaade. «Mit weiteren Fällen, Infektionsketten und auch Ausbrüchen in Deutschland muss gerechnet werden.» Die Gefahr für die Bevölkerung in Deutschland werde aktuell als «mäßig» eingeschätzt. Die EU-Gesundheitsagentur ECDC hatte das Risiko durch das neue Coronavirus in der Europäischen Union am Montag auf moderat bis hoch heraufgestuft. 

Viele Menschen suchen derzeit aus Sorge vor dem neuen Coronavirus ihren Hausarzt mit Symptomen auf, die sie sonst daheim auskuriert hätten. Bei so manchem Hausarzt sorgt das für übervolle Wartezimmer – die im Zweifelsfall erst recht eine Brutstätte für Ansteckungen sein können, nicht nur SARS-CoV-2. Was tun? «Erst mal anrufen und nicht direkt in die Praxis rennen», sagt der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands, Christian Schmuck. Derzeit stehe bei den Hausärzten nicht die Lungenerkrankung Covid-19 selbst, sondern der Beratungsaufwand für verunsicherte Menschen im Vordergrund. «Die Verunsicherung ist das größte Thema.»

«Wir werden derzeit bombardiert mit Telefonanfragen und Patienten, die wegen Beschwerden vorstellig werden», bestätigt der Vorsitzende des Mediverbundes, der Allgemeinmediziner Werner Baumgärtner in Stuttgart. Auch beim Kölner Hausarzt Andreas Koch gibt es zeitweise eine lange Schlange von Patienten. Er hat eine schnelle Methode gefunden, um mögliche SARS-CoV-2-Infizierte von seinen sonstigen Patienten fernzuhalten. Alle regulären Termine hat er aus Kapazitätsgründen gestrichen und sich morgens vor die Tür gestellt, um jeden Wartenden einzeln abzufragen, wie der Allgemeinmediziner der Deutschen Presse-Agentur erklärt. «Im Moment ist meine Hauptarbeit, zu reden. Kommunikation.»

Von allen Patienten mit einem Erkältungsinfekt habe er sich die Namen aufgeschrieben und sie dann wieder nach Hause geschickt, erklärt Koch. Anschließend habe er sie angerufen und befragt – etwa zu Aufenthalten in Risikogebieten wie China, Iran und Norditalien und zu den genauen Symptomen. Darauf basierend entscheide er, ob er dem Patienten einen Hausbesuch abstatte oder ihn außerhalb der Sprechzeiten isoliert einbestelle. Großer Vorteil eines Hausarztes sei, dass er seine Patienten kenne und gut einschätzen könne.

Eine Alternative zum Anruf beim Hausarzt ist, sich mit Fragen zu einer möglichen Infektion an die bundesweite Rufnummer 116 117 des kassenärztlichen Notdienstes zu wenden. Allerdings war diese Nummer in den vergangenen Tagen zeitweise überlastet. Auch bei Rettungsdiensten mehren sich die Anrufe. Die Berliner Feuerwehr appellierte via Twitter bereits, Nachfragen zum Coronavirus nicht über den Notruf 112 laufen zu lassen. Wie in Berlin wurden vielerorts regionale Nummern für Fragen eingerichtet, umfassende Informationen bieten zudem das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihren Internetseiten.

Erkältung und Grippe sind viel wahrscheinlicher

Besorgte Menschen sollten sich klar machen: Derzeit ist eine Erkältung oder ein grippaler Infekt um ein Vielfaches wahrscheinlicher als Covid-19. Gar nicht oft genug zu betonen ist zudem: Dass so viele Maßnahmen wie Schulschließungen und die Absage von Veranstaltungen veranlasst werden, liegt nicht daran, dass es sich bei der neuen Lungenkrankheit um eine besonders gefährliche handelt. Covid-19 sei eine milde Erkrankung, im Grunde eine Art Erkältung, die meist rasch überstanden oder von vorherein kaum zu spüren sei, betont der Berliner Virologe Professor Dr. Christian Drosten.

Der Hintergrund der Maßnahmen ist ein anderer: Eine ungebremste Infektionswelle könnte unter anderem volle Wartebereiche und Arztpraxen, belegte Intensivbetten und überlastete Gesundheitsämter bedeuten. Je besser es gelinge, die Rate der Ansteckungen kleinzuhalten, desto geringer werde der Druck auf das Medizinsystem und die Gesellschaft, so Drosten. Es mache einen riesigen Unterschied, ob eine Ausbreitungswelle eine Bevölkerung binnen weniger Wochen oder auf zwei Jahre verteilt zu großen Teilen erfasse.

In den nächsten Tagen wird die Zahl der Infektionen absehbar weiter deutlich steigen – und die Besorgnis in Teilen der Bevölkerung wird eher noch zunehmen. Dafür sind dann neue Lösungen gefragt. Der Verband der niedergelassenen Ärzte in Baden-Württemberg plädiert für zentrale Stellen zum Abklären einer möglichen Infektion mit dem Coronavirus. Auch Mathias Berndt, Chef des Hausärzteverbands in Niedersachsen, hält die Einrichtung regionaler Schwerpunkt-Praxen für nötig. «Wir müssen die Patientenströme trennen», betont der Allgemeinmediziner. In Niedersachsen ist die Einrichtung solcher regionalen Zentren bereits vorgesehen.

Auch die Berliner Charité hat am Campus Virchow-Klinikum eine separate Untersuchungsstelle für Menschen mit SARS-CoV-2-Verdacht eingerichtet. Bürger mit entsprechenden Sorgen, die sonst in die Notaufnahme gehen würden, sollen sich dorthin wenden. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hofft darauf, zügig zu einer großflächigen Struktur regional verteilter Zentren für Abklärungsfälle zu kommen.

Die Zentren könnten Notaufnahmen und andere Anlaufstellen wie Hausärzte entlasten – und das Personal dort schützen. Da es eine Impfung frühestens in einem Jahr geben wird, können sich Ärzte und Pfleger ebenso anstecken wie jeder andere Mensch auch. Er dürfe sein Team nicht gefährden, betont etwa der Kölner Hausarzt Andreas Koch. «Wenn wir in Quarantäne gesteckt werden, können wir nichts mehr tun.»

Nachschub-Problem für Schutzausrüstung

Ein wichtiger Aspekt sind knapp werdende Schutzmaterialien wie Atemmasken. Diese gingen derzeit in vielen Praxen zur Neige, sagt die baden-württembergische Landeschefin des NAV-Virchow-Bundes, Brigitte Szaszi, aus Sachsenheim. «Aufgrund der Produktionsausfälle in China stehen wir in diesem Bereich weltweit in absehbarer Zeit vor einem Nachschubproblem», so Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann kürzlich.

Und auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, sagt: «Der Grundbestand, über den die niedergelassenen Kollegen in ihren Praxen verfügen, wird bundesweit nicht ausreichen, wenn die Zahl der Verdachtsfälle steigen wird.» Man sei im Gespräch mit dem Bundesgesundheitsministerium und allen Beteiligten, um rasch Abhilfe schaffen zu können und Schutzbekleidung dort vorzuhalten, wo sie gebraucht werde. «Es muss Klarheit darüber herrschen, wie die Ärzte an das notwendige Material gelangen können», so Gassen.

Kapazitätsprobleme bei den Tests auf das Virus gibt es laut KBV-Chef nicht. «Wenn ein Arzt einen solchen Test aus medizinischer Sicht für angebracht hält, dann soll er ihn auch durchführen.» Es handele sich um einen Rachenabstrich, der in einem Labor ausgewertet werde. Etwa 200 bis 250 Labore sind derzeit nach Angaben des Berufsverbands Deutscher Laborärzte (BDL) bundesweit mit Tests auf SARS-CoV-2 beschäftigt. «Das sind zwei Drittel aller Labore und es werden jeden Tag mehr, die diese Tests auch machen können», sagt BDL-Sprecher Thomas Postina. Derzeit gehe es in den Laboren ruhig zu. «Die Labore sind nicht wegen des Coronavirus überlastet.» Die Tests auf Grippe spielten derzeit die weitaus größere Rolle.

Risikogruppen schützen

Achtsamkeit ist vor allem im Umgang mit Menschen der Risikogruppen gefragt: Krebskranken in Chemotherapie, alten Menschen und solchen mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auf Diabetes zurückgehenden Organschäden. Auf sie gehen die weitaus meisten Todesfälle zurück. Nach den derzeitigen Daten liegt die Covid-19-Todesrate bei 0,3 bis 0,7 Prozent, wie der Virologe Drosten sagt. Das bedeutet, dass von 1.000 Infizierten 3 bis 7 sterben. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate sogar noch darunter.

Sinnvoll kann es sein, den Besuch bei der Oma lieber zu verschieben, wenn man gerade in Norditalien war. Oder dem schwerkranken Nachbarn anzubieten, ihm den Einkauf im vollen Supermarkt zu ersparen. Experten raten zudem vor allem älteren und chronisch kranken Menschen, sich gegen Keuchhusten, Pneumokokken und Grippe impfen zu lassen. Das bietet zwar keinen direkten Schutz vor Covid-19. Ist aber jemand bereits an der Lunge erkrankt, wäre für ihn eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 besonders gefährlich, wie es etwa von der Berliner Gesundheitsverwaltung heißt.

Das neue Coronavirus ist dagegen für die allermeisten Kinder nach Angaben des niedersächsischen Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte keine große Gefahr. «Es betrifft in seinem komplizierten Verlauf vor allem ältere Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen. Dies sollten sich die Eltern immer wieder bewusst machen», sagte die Verbandssprecherin und Ärztin Tanja Brunnert aus Göttingen.

Die Kinder- und Jugendarztpraxen seien in dieser Jahreszeit ohnehin immer voll. «Wir sehen viel Influenza, grippeähnliche Erkrankungen, Magen-Darm-Infekte, Streptokokkeninfektionen und Hand-Mund-Fuß-Krankheit.» Die Angst vor dem Virus Sars-CoV-2, das die Krankheit Covid-19 auslösen kann, führe allerdings zu einer gewissen Unsicherheit bei den Eltern. Die Kinderärzte versuchen Brunnert zufolge grundsätzlich, Eltern in ihrem Selbstbewusstsein stärken, mit banalen Infekten ihrer Kinder auch allein zurecht zu kommen. Allerdings müssten Eltern häufig mit ihren Kleinen in die Praxis kommen, da sie eine ärztliche Bescheinigung für ihren Arbeitgeber brauchen.

Verharmloste Zahlen aus China?

Allein China hat nach offiziellen Angaben 80.280 Infizierte. «Das Geschehen verlagert sich etwas weg von China, und der Rest der Welt wird vermehrt betroffen», sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade am Dienstag in Berlin. Seit Montag seien in China offiziell 115 Fälle hinzugekommen, in den restlichen 72 Ländern 1.700 Fälle. Es handele sich weiterhin um eine dynamische und ernstzunehmende Situation.

Das wahre Ausmaß der Epidemie in China scheint aber unklar, da die Zählweise der nachgewiesenen Infektionen mehrfach geändert wurde, was sich auch spürbar auf die amtliche Statistik auswirkt. Wie das chinesische Magazin «Caixin» berichtete, können beispielsweise Personen, die nachweislich infiziert sind, aber keine Symptome der Krankheit zeigen, seit Anfang Februar nicht mehr als neu bestätigte Ansteckungen mitgerechnet, sondern anderweitig aufgelistet werden. Dabei können solche Personen auch ansteckend sein. Die Änderung hat eine Diskussion unter Experten ausgelöst.

Auch waren vor zwei Wochen klinische Diagnosen ausgenommen worden. Dabei stellt der Arzt nur anhand der Symptome oder der Vorgeschichte des Patienten die Infektion fest, ohne dass ein Test gemacht wird. Seither hat sich der täglich berichtete Anstieg der neuen Infektionen und der Todesfälle in der offiziellen Statistik Chinas auch deutlich reduziert. 

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