Anspannung durch Coronakrise kann krank machen |
Sorgen, Einsamkeit und Ungewissheit belasten die Menschen in Zeiten der Corona-Pandemie. Experten warnen vor den Auswirkungen auf die Psyche. / Foto: Shutterstock/tommaso79
Der Ruheforscher Hans-Günter Weeß warnt vor krankmachender Anspannung durch die Corona-Krise. »Bleiben Sie über Telefon und neue Medien in ausreichendem Austausch mit Freunden und Angehörigen, denn soziale Kontakte wirken sich entspannend aus«, rät der Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums im rheinland-pfälzischen Klingenmünster.
Viele würden die Corona-Krise als Situation erleben, in der sie sich noch nicht befunden haben. »Dieser gesellschaftliche Ausnahmezustand geht nicht spurlos an den Menschen vorüber. Das Coronavirus ist zwar eine körperliche Erkrankung. Aber viele Menschen haben große Nöte um Gesundheit, Job, Angehörige und Freunde. Diese Sorgen können zu einer psychischen Belastung und zu Schlafstörungen führen«, sagt der Buchautor (»Schlaf wirkt Wunder«).
Doch gerade in der aktuellen Situation sei ausreichender Schlaf bedeutsam, denn »Schlaf ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm des Menschen.« Besonders in den Gesundheitsberufen sei es wichtig, zwischen Schichten auf sich zu achten und für ausreichend Ruhe zu sorgen.
»Wem es gelingt, trotz der Herausforderungen durch das Coronavirus gelassen zu bleiben, erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine entspannte Nacht«, betonte Weeß. Für guten Schlaf könne hilfreich sein, sich Belastendes von der Seele zu reden oder zu schreiben. »Tauschen Sie sich mit dem Partner oder mit Freunden am Telefon aus oder schreiben Sie Ihre Sorgen und Nöte auf ein Blatt Papier oder in ein Tagebuch.«
Auch der Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Chemnitz, Stephan Mühlig macht deutlich: »Es ist eine noch nie da gewesene und für die meisten völlig ungewohnte Ausnahmesituation.« Die Corona-bedingte häusliche Isolation durch Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote stellt Familien, Paare und Singles vor sehr unterschiedliche Herausforderungen. »Es ist ein Stresstest für viele Beziehungen und Familien«, so Mühlig. Das Wichtigste sei: Ruhe bewahren. Sonst drohe schnell eine psychische Belastung, die man als »Lagerkoller« kenne.
Eine längere Isolation berge das Risiko für psychische Schäden, erklärt der Wissenschaftler unter Verweis auf frühere Epidemien oder die jüngsten Erfahrungen in China. »Dort hat sich gezeigt, dass die monatelange Ausgangssperre zu sozialem Stress führt, wenn Menschen über längere Zeit zusammen in ihrer Wohnung eingesperrt sind.« Die Folgen: Unruhe, Traumatisierung, Depressionen,Schlafstörungen oder Panikattacken.
»Das ist wahrscheinlich in unseren Genen, wir wehren uns gegen zu große Enge.« Wie stark der Stress werde, hänge von Art und Qualität der Beziehungen zwischen den Menschen sowie Toleranz und Umgang mit solche Situationen ab. In Beziehungen beispielsweise könne die Isolation schon bestehende Konflikte verschärfen, die dann eskalieren.
Große Sorge macht sich Mühlig um viele allein lebende ältere Menschen oder Alleinerziehende, die die Doppelbelastung Homeoffice und Kinderbetreuung nicht verkraften. Ältere seien in der derzeitigen Situation psychisch besonders gefährdet, auch weil sie nicht immer von Internet-Kommunikation profitierten. Es fehle am geübten Umgang mit der Technik. Auf sie müsse zugegangen werden, durch Anrufe, Kontakt- und Hilfsangebote, so Mühlig.
So erhöht sich zum Beispiel in Zeiten der Corona-Krise die Nachfrage bei einer Berliner Hotline für einsame Senioren. Das Anrufaufkommen sei zuletzt stark angewachsen, sagte die Initiatorin des sogenannten Silbertelefons, Elke Schilling, der Deutschen Presse-Agentur. An einzelnen Tagen hätten fünfmal mehr Menschen angerufen als zuvor, mehr als 160 statt 36. Man sei dabei, die Kapazitäten aufzustocken.
Im Vergleich zu Zeiten vor der Krise riefen nun etwas jüngere Menschen an, die noch keine lange Zeit der Einsamkeit hinter sich haben, so Schilling. Es handle sich um eigentlich noch fitte und bewegliche Senioren. Angesichts der Einschränkungen im öffentlichen Leben und der Aufrufe, soziale Kontakte einzuschränken, machten sie nun aber die Erfahrung, allein zu sein. Hinzu komme die Unberechenbarkeit der weiteren Entwicklung. Es gebe bei Anrufern auch Ängste, selbst mit dem Coronavirus infiziert zu sein, so Schilling.
Um einen »Lagerkoller»« entgegen zu wirken, rät Mühlig, den üblichen Tagesrhythmus beizubehalten, Struktur zu schaffen und emotionale Stabilität. Spaziergänge und anderweitige Bewegung an der frischen Luft stärkten das Immunsystem und sorgten für verbesserten die Durchblutung der Lunge. Auch Indoor-Training für 15 bis 30 Minuten täglich helfe der Immunabwehr und beim Stressabbau: von Kniebeugen bis Tai-Chi. Und es brauche Regel für das Zusammenleben und den Haushalt - gemeinsame Zeit und auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Der Ruheforscher Weeß rät außerdem, sich nur bei glaubwürdigen Quellen über den Stand der Pandemie zu informieren. »Vermeiden Sie aber eine exzessive Nutzung der Medien. Setzen Sie sich bewusst ein zeitliches Limit für Fernsehen und Social Media.« Die ständige Beschäftigung mit der Lage und das Warten auf Nachrichten erhöhten die psychische Belastung.
»Das Allerwichtigste ist, sich nicht verrückt zu machen», mahnt Mühlig. Vielmehr sollte man sich vor Augen führen, dass die Situation von begrenzter Dauer ist, Gesellschaft und Einzelpersonen die Herausforderungen bewältigen werden. »Dazu braucht es vor allem Zuversicht und Grundoptimismus, der auf einer sachlichen und realistischen Beurteilung der Lage beruht.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.