Allergiekarriere vorzeitig beenden |
Christina Hohmann-Jeddi |
15.07.2020 08:00 Uhr |
Die Freude über den Sommer wird bei Allergikern durch Niesreiz und juckende Augen getrübt. / Foto: Getty Images/Bernd Friedel/EyeEm
»Allergien sind in unserer Gesellschaft durchaus häufig«, stellte Privatdozent Dr. Sven Becker von der HNO-Klinik der Universität Tübingen beim Online-Allergietag des Deutschen Allergie- und Asthmabunds (DAAB) am 21. Juni klar. So entwickeln etwa 14,8 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens eine allergische Rhinitis und 8,6 Prozent allergisches Asthma. Unter einer Allergie versteht man eine Überreaktion des Immunsystems auf eigentlich harmlose Substanzen: Auslöser sind bei den aerogenen Allergien vor allem Pollen (86 Prozent) gefolgt von Hausstaubmilben (39 Prozent), anderen Tieren (14 Prozent) und Schimmelpilz (13 Prozent).
Wie diese Zahlen schon zeigen, bleibt eine Allergie häufig nicht allein. »Eine typische Allergiekarriere beginnt schon im Kindesalter zum Beispiel mit einer Hausstauballergie«, berichtete Becker. Als Schulabgänger habe der Allergiker dann noch eine Sensibilisierung gegen Frühblüher hinzubekommen und im jungen Erwachsenenalter reagiere er zusätzlich auch auf Gräserpollen. »Zum Teil haben wir dann vier oder mehr Allergene, die Beschwerden machen.« Diese Ausweitung des Allergiesprektrums kann durch eine kausale Therapie, die spezifische Immuntherapie (SIT), verhindert werden.
Diese auch als Hyposensibilisierung bekannte Therapie soll das Immunsystem trainieren, das Allergen wieder zu tolerieren. Hierfür wird wiederholt das Allergen in geringen Mengen appliziert. Dies bewirkt, dass die dendritischen Zellen im Körper weniger die T-Helferzellen vom Typ 2 (Th2) aktivieren, die für die Allergiesymptome wie laufende Nase, Juck-und Niesreiz sowie Augentränen verantwortlich sind. Stattdessen werden T-Helferzellen vom Typ 1 und regulatorische T-Zellen aktiviert. In der Folge unterbleibt die Bildung von Allergen-spezifischen IgE-Antikörpern und entsprechend auch die Mastzelldegranulation.
Bei der subkutanen spezifischen Immuntherapie (SCIT) wird dem Allergiker das Allergen vom Arzt gespritzt. / Foto: Adobe Stock/Roman
Das Allergen kann im Rahmen der SIT entweder gespritzt werden, was als subkutane spezifische Immuntherapie (SCIT) bekannt ist, oder in Form von Tropfen oder Tabletten unter die Zunge gelegt werden, was man als sublinguale Immuntherapie (SLIT) bezeichnet. »Beide Therapieformen müssen für mehr als drei Jahre angewandt werden«, sagte Becker. Bei der SCIT erhält der Patient in ein- bis zweiwöchigen Abständen das Allergen beim Arzt in aufsteigender Dosierung gespritzt, bis eine Maximaldosis erreicht ist. Dann folgen Injektionen mit dieser Dosis alle vier bis sechs Wochen für mehr als drei Jahre. Das sollte die Symptome des allergischen Schnupfens vor allem bei Pollen- und Hausstauballergien auf Dauer erheblich senken.
Es gibt auch verkürzte Therapieschemata, bei denen vier bis sechs Spritzen kurz vor dem Pollenflug verabreicht werden, informierte Becker. »Dabei ist zu beachten, dass die kumulative Gesamtdosis für den therapeutischen Effekt entscheidend ist.« Mit den verkürzten Schemata habe man daher nur etwa ein Jahr Ruhe.
Bei der sublingalen Immuntherapie erhalte der Patient die erste Allergendosis beim Arzt mit anschließender 30-minütiger Überwachung. Den Rest der Therapie könne der Patient selbst zu Hause durchführen. Hierfür ist täglich einmal das Allergen in Form von Tablette oder Tropfen einzunehmen.
Am erfolgversprechendsten ist eine Therapie, wenn die Erkrankungsdauer gering ist und die unteren Atemwege noch nicht stark beteiligt sind, wenn sich also noch kein Asthma entwickelt hat. Daher sei es gut, die SIT möglichst im jungen Lebensalter, vielleicht schon im Teeniealter zu beginnen, sagte Becker. »Im Prinzip ist die Behandlung schon ab fünf Jahren möglich.«
Wichtig für den Therapieerfolg seien weiterhin eine hohe kumulative Dosis und die Adhärenz. Diese sei wie bei vielen Dauertherapien aber nicht gut. Bei der SCIT breche rund ein Drittel der Patienten die Therapie im ersten Jahr ab, beendet werde sie lediglich von 42 Prozent. Bei der SLIT seien die Daten noch schlechter, obwohl keine Arztbesuche nötig sind: Hier hörten fast 50 Prozent im ersten Jahr auf und nur 16 Prozent beendeten die Therapie.
Was ist bei einer SIT während der Coronavirus-Pandemie zu beachten? »Bei einer Covid-19-Erkrankung sollte eine begonnene SCIT und SLIT pausieren und der Beginn einer Therapie verschoben werden«, sagte Becker. Bei der Abwägung, ob eine SCIT oder SLIT initiiert werden sollte, sei die sublinguale Therapie in Corona-Zeiten zu bevorzugen, da sie die Zahl der Patienten-Arzt-Kontakte deutlich senke. Becker betonte jedoch, dass beide Therapieformen ähnlich gut wirksam seien und die Therapieform nach der Präferenz des Patienten gewählt werden sollte.
Eine SIT sollte bei Patienten mit starken Beschwerden begonnen werden, um die Erweiterung des Allergiespektrums zu verhindern und auch den »Etagenzuwachs«, sagte der Mediziner. Bei rund 30 bis 40 Prozent der Patienten mit allergischer Rhinitis entwickele sich zusätzlich zu den Nasensymptomen auch ein allergisches Asthma.
Der richtige Zeitpunkt, um eine SIT zu beginnen, ist nach der Pollensaison. Bei Gräserallergikern starte man im Herbst, bei Frühblühern entsprechend früher, so der Experte. Der Start einer Therapie bei Hausstaub-Allergie sei ganzjährig möglich. Bis die ersten Effekte der kausalen Therapie einsetzten, sei es nötig, die Patienten weiterhin adäquat symptomatisch zu behandeln. Mittel der Wahl hierzu seien Antihistaminika und nasales Cortison. Letzteres habe den Vorteil, dass es auf alle Symptome der allergischen Rhinitis wirke, inklusive der nasalen Obstruktion. Das Cortisonspray müsse aber langfristig angewendet werden, die volle Wirksamkeit entfalte es erst nach zwei bis drei Tagen. Studien hätten gezeigt, dass die Präparate nicht immer korrekt angewendet würden. Statt sie längerfristig einzusetzen, wendeten Patienten sie an einzelnen Tagen bei Beschwerden an – »und dann in zu hoher Dosierung«, berichtete Becker.
Sorgen müssten sich Allergiker wegen der Cortison-Anwendung während der Coronavirus-Pandemie nicht machen, denn das Spray erhöhe die Infektanfälligkeit nicht. Vielmehr stabilisiere Cortison die Membranen der Epithelzellen, könne Entzündungen in der Nase reduzieren und somit die Infektanfälligkeit eher senken. »Die Sprays sollten eher einen protektiven Effekt haben«, so Becker.