Alkoholabhängigkeit bei Frauen erkennen und behandeln |
Kiefer erklärt: »Leider herrscht da sozusagen die alltägliche Banalität. In einer Gesellschaft, wo alle trinken, braucht es keine Dramen, um mitzutrinken.« Alkohol zu trinken sei ein erlerntes Verhalten, fast alle machten erste Erfahrungen mit Alkohol in der Jugend oder als junge Erwachsene. Sie lernen vielleicht: »Alkohol kann entspannen und manche Dinge etwas erleichtern« – aber die meisten merken auch die negativen Folgen.
In den Folgejahren spiele exzessives Trinken oft kaum eine Rolle, weil es einfach nicht passt: Dann sei man mit Familien-, Lebensplanung und Beruf beschäftigt. »Das ist in der Regel alles inkompatibel mit heftigem Trinken, was auch gut ist«, so Kiefer. Die meisten trinken dann nur gelegentlich. Häufig wird Alkohol dann ein Thema, wenn die »Gelegenheit zum Trinken« wieder da ist. »Oder wenn Probleme da sind, bei denen Alkohol kurzfristig vermeintlich hilft«, so Kiefer.
Auch rund um Lebensübergänge etwa in der mittleren Lebensphase, wenn Belastungen im Beruf, der Partnerschaft und im Zusammenhang mit Kindern hinzukommen – auch und gerade für Frauen ein Thema. Dann erinnern sich viele an die Effekte, die Alkohol haben kann. »Und rutschen durch das Gefühl 'irgendwie tut mir das im Moment ganz gut' da rein.«
Dann kommt der Gedanke: »Ich muss immer Höchstleistungen erbringen und für die Kinder da sein. Aber ich bin auch ein Mensch und brauche Zeit für mich.« So beginne der sogenannte »funktionale Gebrauch«. Kiefer berichtet, dass Alkohol auch eine Art Selbstmedikation ist, etwa bei Angsterkrankungen oder Depressionen. »Manchmal kommen solche Befindlichkeitsstörungen oder psychischen Erkrankungen auch in einer bestimmten Lebensphase auf«. Ein weiterer wichtiger Faktor: Alkohol ist vergleichsweise billig und praktisch überall verfügbar.
Nicht unbedingt daran, wie viel man trinkt. »Wenn man den Schweregrad einer Alkoholabhängigkeit messen will, dann orientiert sich das kaum an den berichteten Trinkmengen«, erklärt Kiefer. »Das wichtigste Kriterium sind die negativen Konsequenzen, die man bereit ist in Kauf zu nehmen.« Wenn es schwerfällt, auf Alkohol zu verzichten und »wenn man merkt, es gibt Dinge, die besser laufen würden, wenn ich nicht trinke, aber man trinkt trotzdem. Dann hat man auch schon ein Alkoholproblem«, sagt der Mediziner.
Mia Gatow erzählt: »Ich hatte mir zehn Jahre eingeredet, dass ich weniger trinken muss.« Sie dachte, sie müsse »normal«, also wie andere Leute trinken. »So wie die Alkoholindustrie das ja auch immer verkauft, dass das ja alle Leute könnten.« Und wer das nicht kann, habe eine Art von persönlicher Schwäche. »Obwohl das natürlich überhaupt nicht stimmt.«
Tatsächlich kann das sogar symptomatisch für eine Alkoholerkrankung sein: »Wenn Sie feststellen, dass Sie Ihren Alkoholkonsum bewusst zu kontrollieren versuchen, weil Sie befürchten, zu viel zu trinken, kann dies ein Zeichen für ein problematisches Trinkverhalten sein«, schreibt die Stiftung Gesundheitswissen. Dies könne in schädlichen Konsum übergehen.
»Wenn Sie etwa sagen, eigentlich habe ich morgen was zu tun, aber heute ist so eine nette Feier, da trinke ich jetzt zwei Gläser Wein mehr. Wenn ich dann morgen nicht 100 Prozent performe, sondern 90 Prozent, ist das auch okay«, nennt Kiefer ein Beispiel Das deute bereits auf ein Alkoholproblem hin.